Repression gegen Adbusting: Wilder werben
In Berlin sind Adbustings, also politisch verfremdete Werbeplakate, keine Kleinigkeit: Sie sorgten für Hausdurchsuchungen und einen Gerichtsprozess.
K eine zehn Meter hinter Anna und Jan steht ein Mannschaftswagen der Polizei. Doch die im Wagen sitzenden Polizist:innen passen nicht auf. Weder schöpfen sie Verdacht, als zwei unscheinbare Personen mit Käppis, Warnwesten, Handschuhen und einer Plakatrolle aus Plastik über der Schulter in ihre Richtung gehen, noch als diese sich an der Werbevitrine einer Bushaltestelle zu schaffen machen. Der Kasten mit Glasscheibe liegt am Washingtonplatz direkt vor dem Hauptbahnhof – mit Blick auf das Kanzleramt. Trotz einer Unwetterwarnung sind an diesem Samstag recht viele Menschen unterwegs.
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Dennoch merkt niemand, dass exakt in diesem Moment die Kommunikationsguerilla zuschlägt: Jan öffnet die Werbevitrine mit einem modifizierten Sechskant-Rohrsteckschlüssel aus dem Baumarkt. Zusammen mit Anna hängt er das alte Plakat ab und steckt es an die Seite des Schaukastens. Dann öffnet Jan seine Plakatrolle und holt ein neues Poster raus. Zusammen befestigen die beiden das große, weiße Plakat im Schaukasten. „Kasernen zu Kinos, Kneipen und Krankenhäusern. 13. Juni – Tag ohne Bundeswehr – ausgedient“, steht darauf mit schwarzer Schrift. Darunter ist noch das Schwarze Kreuz der Bundeswehr zu sehen, in dem ein pinkfarbener Pfeil steckt.
Dann schließen sie den Kasten wieder, er rastet mit einem lauten Knacken ein. Nach nur einer Minute ist die Aktion vorbei. Statt einer Werbung für Harry-Potter-Hörbücher hängt nun ein antimilitaristisches Plakat hinter der Glasscheibe der Werbevitrine.
Anna und Jan sind Adbuster:innen. Ihre richtigen Namen wollen sie nicht verraten. Das Wort Adbusting kommt aus dem Englischen von „Advertisement“ wie Werbung und „to bust“ wie zerstören. Sie verfremden und überkleben Werbebotschaften im öffentlichen Raum, um staatliche Strukturen, insbesondere Sicherheitsbehörden wie Geheimdienste, Bundeswehr und Polizei zu kritisieren und lächerlich zu machen. Neben institutionellem Rassismus und Polizeigewalt sind häufig auch Sexismus, Kapitalismus, Konsum sowie die Allgegenwart von Werbung im Alltag selbst Ziel von Kritik in Adbustings.
Unterwegs sind Anna und Jan am Nachmittag des 13. Juni 2020. Eigentlich ist heute Tag der Bundeswehr, eine Art Tag der offenen Kasernentore, an dem sich das Militär als moderner Arbeitgeber präsentieren will. Weil aber in diesem Jahr wegen der Coronapandemie sämtliche Festivitäten und Akte der Selbstbeweihräucherung des Militärs ausfallen, feiern ihn Aktivist:innen mit ihrer Plakataktion erst recht – und zwar als „Tag ohne Bundeswehr“ und Sprüchen, die auf all die schlechten Eigenschaften des Militärs hinweisen sollen.
Glaubt man einigen Sicherheitsbehörden, sind Anna und Jan fast so etwas wie Linksterrorist:innen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz ordnet im Jahresbericht 2018 Adbustings im Kapitel „gewaltorientierter Linksextremismus“ ein – allerdings ohne jegliche Belege für die insinuierte Gewalttätigkeit dieser Protestform. Eine kleine Anfrage der Linken im Bundestag ergab Ende Februar 2020, dass in vier Adbusting-Fällen sogar das überregionale Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) informiert wurde. Das wurde 2011 als Reaktion auf das Behördenversagen nach der Selbstenttarnung des NSU gegründet, um Ermittlungen gegen Rechtsterrorismus zu verbessern.
Drei der Meldungen an das Terrorabwehrzentrum wurden vom Berliner Verfassungsschutz gemacht, wie kürzlich eine Kleine Anfrage der Linken im Abgeordnetenhaus ergab. Der Grund dafür: Auf Adbustings wurde dazu aufgerufen, sich an regulär angemeldeten Demonstrationen zu beteiligen. Bei einer davon ging es ausgerechnet um das Ende des NSU-Prozesses am 19. Juli 2018 – ganz so, als sei es „linksextremistisch“, gegen mangelnde juristische und staatliche Aufklärung von Rechtsterrorismus zu protestieren.
Die Berliner Staatsanwaltschaft zeigte nicht weniger Ermittlungseifer, als sie ein Verfahren wegen Adbusting sogar zur Anklage brachte. Drei Beamt:innen des Staatsschutzes waren an Ermittlungen über einen Zeitraum von vier Jahren beteiligt, wie eine weitere Linken-Anfrage nach einem unverhältnismäßig erscheinenden Prozess am Amtsgericht Tiergarten ergab. Ermittler:innen machten zwei Hausdurchsuchungen und glichen Fingerabdrücke an Plakaten in verschiedenen Bundesländern ab.
Anklage erhob die Staatsanwaltschaft wegen schweren Diebstahls und Sachbeschädigung, worauf im Falle einer Verurteilung zwischen drei Monaten und zehn Jahren Haft stehen. Auch aufgrund der während des Prozesses offenkundig werdenden Unverhältnismäßigkeit mit gestohlenen Werbeplakaten wurde das Verfahren im November 2019 gegen eine Auflage von 120 Sozialstunden eingestellt.
Aber es gibt noch weitere Adbusting-Fälle in Berlin, bei denen DNA-Spuren gesichert, Hausdurchsuchungen gemacht und Fingerabdrücke genommen wurden. Die taz konnte im Zuge von Recherchen mit einer Betroffenen sprechen und verschiedene Ermittlungsakten einsehen.
Insbesondere das auf Linksextremismus spezialisierte Dezernat des Staatsschutzes, das LKA 521, betreibt einen unverhältnismäßigen Aufwand bei der Verfolgung offenkundig geringfügiger Bagatelldelikte. Der Verfassungsrechtler Andreas Fischer-Lescano bezeichnet die überzogene Ermittlungspraxis als „hanebüchen“ und „unverhältnismäßig“ und spricht von einem „Justiz- und Politikversagen“.
Anna und Jan kennen die Repressionsgeschichten der Kolleg:innen. Wohl auch deswegen pumpt während ihrer Protestaktion jede Menge Adrenalin durch ihre Blutbahnen. „Der kritischste Moment ist nicht der, wenn wir die Vitrine öffnen und das alte Plakat abnehmen, sondern der, wenn wir das neue entrollen“, sagt Jan später, „ab diesem Zeitpunkt kann man sehen, dass wir keine Mitarbeiter der Werbefirma sind.“
Adbusting: Mit Adbusting bezeichnen Aktivist:innen das bewusste Verfremden, Überkleben oder Verfälschen von Werbeplakaten und -postern. In dem beim Unrast Verlag erschienenen Bildband „Unerhört! Adbusting gegen die Gesamtscheiße“ mit Analyseteil ordnen Aktivist:innen Adbusting als eine Protestform „irgendwo zwischen Kunst und Politik“ ein. Ein etwas weiterer Begriff für Adbusting ist auch Culture Jamming, eine sich mit Werbung und Logos beschäftigenden Kunstform. Dabei werden Werbestrategien und -formen übernommen und karikiert – häufig mit konsumkritischer Absicht.
Kommunikationsguerilla: Adbusting sieht sich häufig auch in der Tradition der Kommunikationsguerilla, in der durch Information, Desinformation oder subversive Kommunikation versucht wird, etablierte Denkstrukturen zu durchbrechen. Häufig wird etwa eine Tradition zu den antiautoritären Spontis der 70er hergestellt, ebenso gibt es eine Nähe zu Hackerkultur oder anarchistischen oder situationistischen Ansätzen. Heute aktive Gruppen sind etwa das Peng!-Kollektiv oder das Zentrum für Politische Schönheit.
Und Anna und Jan haben Pech: Unglücklicherweise rollt genau in dem Moment, als die Vitrine mit dem neuen Poster wieder geschlossen ist, und die beiden zügig von der Bushaltestelle weggehen, ein Polizeiauto heran und hält an einer roten Ampel direkt vor den beiden Aktivist:innen.
Nach einigen langen Sekunden schaltet die Ampel auf Grün. Dann fährt das Polizeiauto wieder an. Zum Glück für die beiden Aktivist:innen haben die Beamt:innen die Aktion nicht bemerkt. Später sagt Jan: „Die Warnwesten machen unsichtbar. Die funktionieren fast wie der Unsichtbarkeitsmantel bei Harry Potter.“ Anna sagt: „Das sind so die kleinen Momente, die Spaß machen: Dass wir uns das getraut haben, obwohl die Polizei in der Nähe war.“
Nach der Werbevitrine vor dem Hauptbahnhof überqueren die beiden in ihren Warnwesten auf der Fußgängerbrücke die Spree und laufen durchs Regierungsviertel. Auch dort warten noch ein paar Schaukästen. Insgesamt tauchen an diesem Tag innerhalb des Berliner S-Bahn-Rings 29 solcher Plakate in Vitrinen der Wall GmbH auf – einige davon haben Anna und Jan aufgehängt. Weitere Poster befinden sich vor Schloss Bellevue, am Checkpoint Charlie, am Zoo und vielen weiteren prominenten Orten. Der Tag der Bundeswehr ist auch in anderen Städten für Kommunikationsguerillas Großkampftag: Ähnliche Aktionen finden in Dresden, Freiburg und Hildesheim statt.
Lediglich einige Passant:innen merken zunächst, dass irgendetwas an der vermeintlichen Bundeswehrwerbekampagne faul ist. An der Bushaltestelle in der Nähe des Kanzleramtes steht eine Familie mit drei Kindern direkt neben dem Schaukasten mit dem neuen Poster und wartet auf den Bus. Nachdem die Vitrine wieder verschlossen ist, betrachtet ein Junge das Plakat: Ein Multiple-Choice-Kästchen lädt zur Rekrutierung: „Vorbildung: Nazi-Prepper, Sexist, Gewaltaffin (Mehrfachnennung erwünscht!)“. Der Junge, er ist vielleicht zwölf, hält eine Tüte Snacks in der Hand und kann sich keinen Reim drauf machen, wie es scheint.
Beim Aufhängen eines weiteren Plakats an der Bushaltestelle gegenüber hält ein Fahrradfahrer und schaut interessiert dabei zu, wie Anna und Jan ein „Bei uns kannst du auch ohne Corona sterben“-Poster aufhängen. Irritiert blicken sich die beiden um, als der Mann vom Rad steigt. Ein Zivilpolizist? Nein: Er habe Sympathie für die Aktion, sagt der Radfahrer. Er habe bereits ein verfälschtes Plakat in der Nähe entdeckt und es fotografiert. Polizist:innen hätten etwas ratlos davor gestanden und nicht gewusst, was sie machen sollten, berichtet er, bevor er weiterfährt und noch „viel Spaß“ wünscht.
Ob sie schon mal von der Polizei beim Adbusting erwischt wurden? „Nein“, sagt Jan, einmal sei es allerdings sehr knapp gewesen.
Besonders schwerer Fall des Diebstahls
Frida Henkel (richtiger Name der Redaktion bekannt) ging es da anders. Im Rahmen der Recherche erreicht die taz sie per Telefon. Sie erzählt, dass sie zusammen mit einer Freundin im Juni 2019 bei einer Adbustingaktion von zwei Zivilpolizisten erwischt wurde. Sie wollten ebenfalls tagsüber ein verfremdetes Plakat der Bundeswehr aufhängen. Darauf war statt des Slogans „Dienst an der Waffe geht auch ohne Waffe“ zu lesen: „Kein Dienst an der Waffe geht ohne Waffe – Mach, was wirklich zählt: Rheinmetall blockieren! Bundeswehr kaputtmachen!“ Sie sei wegen besonders schweren Falls des Diebstahls angezeigt worden, so Henkel.
Im Nachgang hatte sie mit Post, also einer Vorladung oder einem Strafbefehl, gerechnet. Aber es kam härter, wie Henkel erzählt: Drei Monate später stand im Morgengrauen ein halbes Dutzend Polizist:innen für eine Hausdurchsuchung vor der Tür ihrer Wohnung, in der sie zusammen mit ihrer Mutter wohnt.
Allerdings ist Henkel nicht anzutreffen, weil sie sich zu diesem Zeitpunkt bei ihrem getrenntlebenden Vater aufhält. Die Polizist:innen durchsuchen die Wohnung dennoch nach Beweismitteln wie Plakate, Werkzeug, Kameras, Handys und Tablets – finden aber nichts. Zeitgleich durchsuchen sie ebenso erfolglos die Wohnung ihrer Freundin. Danach schüchtern die Polizist:innen Henkels Mutter ein und fragen nach dem aktuellen Aufenthaltsort ihrer Tochter, wie Henkel erzählt. Ihre Mutter sagt den Polizist:innen, dass sich ihre Tochter beim Vater befinde. Die Beamt:innen wollen daraufhin auch die Wohnung des Vaters durchsuchen. Laut Henkel sagen sie der Mutter, dass sie unter keinen Umständen ihre Tochter warnen dürfte.
Kurz darauf befinden sich die Polizist:innen auch vor der Haustür ihres Vaters und wecken dort Henkel. „Ich dachte, ich bin im falschen Film“, sagt sie. „Es ist vollkommen unverhältnismäßig und übertrieben, so krass in meine Privatsphäre einzudringen – die haben uns doch auf frischer Tat ertappt, dann braucht man doch keine Hausdurchsuchungen – was für Beweise brauchten die denn noch?“, fragt Henkel.
Sie fühlt sich auch Monate nach der Hausdurchsuchung noch empfindlich in ihrer Privatsphäre verletzt. „Die haben Fotos von allen Räumen gemacht, sogar von Wäschekammer und vom Wäscheständer. Dort sind total viele irrelevante Sachen, die niemanden was angehen“, sagt sie. Weil Henkel die Situation so schnell wie möglich beenden will, gibt sie den Polizist:innen fünf Plakate, die sich in der Wohnung befinden. Werkzeug sei keines dagewesen. Dafür beschlagnahmten die Polizist:innen allerdings noch Henkels Smartphone. „Noch schlimmer aber finde ich, dass meine Eltern da mit reingezogen wurden und dass die Polizei es wagt, wegen Adbustings meiner Mutter zu drohen“, so Henkel.
Nachdem die taz mit Henkel telefoniert hat, schickt sie eine Kopie des Durchsuchungsbeschluss. „Wegen besonders schweren Falls des Diebstahls“, steht auf dem Dokument. Die Ermittlungen geführt hat die für Linksextremismus zuständige Staatsschutzabteilung des LKA, das Dezernat 521.
Fragwürdige Prioritäten
Es ist nicht das erste Mal, dass der Berliner Staatsschutz mit einer fragwürdigen Prioritätensetzung auffällt. So hatte der Berliner Staatsschutz wenige Monate vor dem Anschlag 2016 auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz die Observation des islamistischen Terroristen Anis Amri eingestellt – um stattdessen zwei Linke aus der Hausbesetzerszene um die Rigaer Straße 94 zu beobachten. Ebenso sorgte ein ehemaliger Mitarbeiter des Berliner Staatsschutzes für Schlagzeilen, weil er 2017 offenbar Drohbriefe gegen 42 Linke schrieb und dafür sensible Informationen aus der Polizeidatenbank sammelte. Er soll damit gedroht haben, persönliche Daten an rechtsextreme Organisationen weiterzuleiten. Seine Freundin, ebenfalls Polizistin beim Staatsschutz, half ihm wohl dabei.
Das Verfahren gegen Henkel wird drei Monate nach der Durchsuchung im Dezember 2019 immerhin eingestellt. Ihre Freund:innen hätten ihr gratuliert, aber bei ihr sei Wut und das Gefühl zurückgeblieben, erheblich in ihrer Privatsphäre verletzt worden zu sein, sagt Henkel. Nach langem Nachdenken will sie jetzt gegen die Durchsuchung klagen. Zusammen mit ihrem Anwalt bereitet sie gerade rechtliche Schritte gegen die Maßnahme vor.
Sie dürfte dabei keine allzu schlechten Chancen haben, wie der Juraprofessor Andreas Fischer-Lescano einschätzt. Der Rechtswissenschaftler von der Uni Bremen ist empört über die Ermittlungspraxis und beharrt auf seinem Verfassungsblog auf der Unverhältnismäßigkeit solcher Repressionen gegen Adbusting. Die taz zeigte Fischer-Lescano den Durchsuchungsbeschluss von Henkel, den ein Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Tiergarten unterschrieben hat. Fischer-Lescano sagt: „Dass ein Gericht sich für so etwas hergibt, hätte ich nicht für möglich gehalten. Es ist ja eine Sache, wenn Sicherheitsbehörden wie die Polizei durch Kritik getriggert werden. Aber dass sich ein Gericht auf so dünner Grundlage an solchen Grundgesetzwidrigkeiten beteiligt, finde ich skandalös.“
„Hausdurchsuchungen wegen Adbusting sind völlig unverhältnismäßig“, sagt Fischer-Lescano. Solange man das Plakat nicht entwende und der Zustand also reversibel sei, liege nicht einmal eine Straftat vor, so Fischer-Lescano zur taz. Und bei der Entwendung eines Plakats „liegt schon gar kein schwerer Diebstahl vor, weil das voraussetzt, dass der Wert eines Plakats die Bagatellgrenze übersteigt“.
Das Bundesverfassungsgericht sage klar, dass es bei Ermittlungen eine Verhältnismäßigkeit geben müsse. Eine Hausdurchsuchung sei ein schwerer Eingriff in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung und in die Privatsphäre. „Das ist bei solchen Bagatellsachen bereits in der Ermittlungsarbeit unzulässig. Ebenso sind genetische Tests in solchen Verfahren unverhältnismäßig“, sagt Fischer-Lescano.
Aber auch die hat es in Fällen von Adbusting in Berlin bereits gegeben, wie verschiedene linke Gruppen immer wieder durch Pressemitteilungen und Veröffentlichungen auf Indymedia darlegen. Eine Gruppe, die kontinuierlich von überzogener Repression wegen Adbusting berichtet, heißt Plakativ. Über sie hat die taz Einblick in anonymisierte Teile mehrerer Ermittlungsakten zu verschiedenen Fällen bekommen.
Die eingesehenen knapp 90 Seiten zeigen: Auch in weiteren Fällen ermitteln die Staatsschützer:innen des für Linksextremismus zuständigen LKA 521 übereifrig: Nachdem die Polizei vor rund einem Jahr auch in Tempelhof fünf verfälschte Plakate der Bundeswehr sichergestellt hat, lässt sie die Poster mit Aufschriften wie „Die Bundeswehr macht den Franco A.“ spurensicher verpacken und unterzieht sie kriminaltechnischen Untersuchungen. Die Ermittlerin weist die Suche nach daktyloskopischen Spuren, also Fingerabdrücken, an und bittet das Labor um die Sicherung von DNA-Rückständen.
Aktenkundig für Plakativ ist der Fall deshalb geworden, weil der Staatsschutz die Tempelhofer Plakate mit einem anderen Fall, nämlich dem von Henkel, verknüpfte. In beiden Fällen war die selbe Ermittlerin tätig. Die Akten zeigen auch, dass die Zivilpolizisten, welche Henkel und ihre Freundin erwischen, zuerst gar nicht wissen, um welche Straftat es sich bei Adbusting handeln soll. Erst nach einer Rücksprache mit dem LKA 521 fertigten sie eine Strafanzeige gegen die beiden an. Am Ende hat die Ermittlungsakte 120 Seiten.
Sachschaden für ein Plakat: 150 Euro
Sogar die Wall GmbH wird eigens von der Kriminaloberkommissarin angeschrieben und soll ein beiliegendes Formular ausfüllen und angeben, ob sie Strafantrag stellen wolle und „wie hoch der entstandene Sachschaden ist“. Die Wall GmbH lässt sich nicht lange bitten und erstattet Anzeige gegen eine Aktion, die sie angesichts ihrer rund 4.000 Werbevitrinen in Berlin von sich aus wohl gar nicht mitbekommen hätte. Als Sachschaden gibt die Firma für ein Plakat stattliche 150 Euro an.
Auf Nachfrage der taz schreibt Wall, dass der Preis von Plakaten je nach Material und Format variiere – zwischen einstellig und knapp dreistellig. Die Verteidigung des zur Anklage gebrachten Adbustingverfahrens vom vergangenen Oktober ging in der Verhandlung hingegen von einem Sachwert von fünf Euro pro Plakat aus.
Im Wissen darum, dass ein Plakat jedenfalls kein allzu „besonders schwerer Diebstahl“ ist, reiten Ermittler:innen in der Akte dann vor allem auf dem politischen Tatmotiv herum. Ganz so, als wenn Staatskritik oder in diesem Fall Bundeswehrkritik erschwerend zum Diebstahl eines Posters hinzukäme und Meinungsbekundungen auf Plakaten per se strafbar seien.
„Antimilitarismus ist eines der traditionellen Themenfelder militanten linken Szene“, steht in einem fünfseitigen Zwischenbericht, mit dem ein Durchsuchungsbeschluss angeregt werden soll. „In der Bundeswehr sieht sie eine Organisation zur Durchsetzung imperialistischer Politik und kapitalistischer Interessen im Ausland.“ Werbekampagnen der Bundeswehr seien geeignete Ziele zur Sachbeschädigung, heißt es ganz so, als sei es verboten, gegen Waffenexporte und Militarisierung zu demonstrieren.
Genau diese Argumentation ist aus Sicht des Rechtswissenschaftlers Fischer-Lescano besonders problematisch, wie er sagt: „Es darf keine Strafverschärfungen wegen des Inhalts von Meinungsäußerungen geben, solange diese sich im Bereich der Meinungsfreiheit bewegen.“ Man könne seit Jahren beobachten, dass in Sicherheitsbehörden die Bereitschaft steigt, staatskritische Tätigkeiten von Links mit aller Härte zu verfolgen, während in anderen Bereichen Mittel und Bereitschaft fehlen. Fischer-Lescano sagt: „Es ist schon sehr auffällig, wie akribisch gegen Links ermittelt wird und was es doch immer wieder für Fehlstellen bei Ermittlungen gegen Rechts gibt – von den Neuköllner Brandanschlägen bis hin zu weiteren Untergründen.“
Tatsächlich ist das LKA 521 auch nur zuständig, wenn Polizeibeamt:innen politische Motive hinter Adbustings vermuten. Würden die Schaukästen einfach nur eingeschlagen oder Plakate ohne erkennbaren politischen Hintergrund geklaut, würden die Ermittlungen laut Linken-Anfrage bei den zuständigen Polizeiabschnitten bleiben – und wohl in der Regel ohne größeren Ermittlungsaufwand ergebnislos eingestellt. Wie kann es also bei einem noch geringeren Schaden von einem entwendeten Werbeplakat sein, dass dennoch ein Durchsuchungsbeschluss gegen Henkel erging? Das Amtsgericht Tiergarten erklärt auf Anfrage erst die Nichtzuständigkeit und dann auf allgemeine Nachfrage zum Tatbestandsmerkmal, dass man bereits von besonders schwerem Diebstahl ausgehen könne, wenn ein Gegenstand „durch ein Schloss gegen Wegnehmen besonders gesichert gewesen“ sei. Fragen zum konkreten Beschluss könne das Amtsgericht allerdings nicht beantworten.
Die Argumentation der Staatsanwaltschaft ist nicht weniger abenteuerlich: Gegen Henkel habe es den Verdacht auf besonders schweren Diebstahl und des Verdachts auf Sachbeschädigung gegeben, wie es von der Staatsanwältin Mona Lorenz auf Anfrage der taz heißt. Der Anfangsverdacht reiche bei Straftaten für eine Hausdurchsuchung aus. Bei der Aktion „soll ein nicht geringer Schaden entstanden sein, worunter auch die mangelnde Vertragserfüllung des Schaukasteninhabers fällt“, schreibt die Staatsanwaltschaft – nur um daraufhin mitzuteilen, dass das Verfahren mittlerweile wegen Geringfügigkeit eingestellt worden sei.
Die Polizei antwortet auf eine Anfrage der taz zur Verhältnismäßigkeit der Ermittlungen bei Adbustings bis Redaktionsschluss nicht.
Vergeudung von Steuermitteln
Der Staatsrechtler Fischer-Lescano sagt dazu: „Der Durchsuchungsbeschluss ist ein Justizversagen.“ Es sei „hanebüchen“, einen solchen Ermittlungsaufwand zu betreiben, wenn schon die Strafbarkeit unklar sei: „Das ist eine Vergeudung von Steuermitteln und ein Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen.“
Immerhin: Im gerade veröffentlichten Verfassungsschutzbericht für 2019 taucht Adbusting nicht mehr auf. Dazu dürfte auch anhaltende Kritik in Medien und Politik geführt haben. Die Adbusting-Gruppe Plakativ freut sich darüber. Ein Sprecher, er nennt sich Klaus Poster, sagt kurz nach der Veröffentlichung: „Gewonnen! Das zeigt: Geheimdienstliche Hetze ist ein stumpfes Schwert gegen Kommunikationsguerilla.“ Aber irgendwie sei es auch schade, findet er: „Gerade 2020 ist der Geheimdienst ein beliebtes Ziel geworden und die Aktionen haben mehr Aufmerksamkeit als je zuvor erhalten.“ Abzuwarten bleibt, ob nun auch der Verfolgungsdruck sinkt.
Anna und Jan jedenfalls denken nun erst recht nicht daran, mit Adbusting aufzuhören. Jan sagt: „Adbusting ist von dem Recht auf freie Meinungsäußerung genauso geschützt, wie es das Recht gibt, die Stadt mit Werbung vollzuklatschen.“ Und sie sind damit offenbar nicht allein. Im Gegenteil: In Berlin kam es in diesem Jahr gefühlt zu mehr Aktionen als in den Jahren zuvor. Gerade während des Lockdowns schien Adbusting eine der wenigen nichtdigitalen Protestformen zu sein, die noch funktionierten.
Allerdings werden Anna und Jan wegen des hohen Verfolgungsdrucks auch weiterhin ordentlich Adrenalin ausschütten, wenn sie mit ihren Warnwesten unterwegs sind. Und das wohl auch zu Recht: Wenig später, unweit des Brandenburger Tors, wollen sie ein letztes Plakat für heute aufhängen: „Und dann gibt es die Bundeswehr nur noch im Museum – ausgedient“, steht drauf. Dieses Mal ist die Aktion ob des fließenden Verkehrs und damit auch zahlreicher Zeugen an der Straße Unter den Linden noch waghalsiger.
Direkt gegenüber eines Klohäuschen, an dem die Werbevitrine ist, sitzen mehrere Polizist:innen in einem Polizei-Bus – keine zehn Meter vom Plakat entfernt, aber ohne direkten Blick auf den Schaukasten. Und plötzlich biegt ein weiteres Polizeiauto auf die Straße ein und fährt geradewegs auf Anna und Jan zu, während sie bereits das Plakat ausgerollt haben. Sie bemerken das Polizeiauto und drehen sich in Richtung des Wagens um.
Ihre Bewegungen wirken nun auf einmal hektisch – erneut schaut sich Jan zum Polizeiauto um, als der Wagen an der Ampel auf Höhe des Plakats anhält. Die beiden bleiben direkt vor dem Plakat stehen und wurschteln weiter an dem Glaskasten herum. Die Ampelphase dauert eine gefühlte Ewigkeit.
Doch Anna und Jan haben noch einmal Glück: Die Ampel springt auf Grün, das Polizeiauto fährt weiter. Schnell verschließen die beiden die Vitrine, gehen eiligen Schrittes weiter und verschwinden hinter der nächsten Ecke.
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