Rentenreform-Protest in Frankreich: Macron nimmt Eskalation in Kauf
Hunderttausende demonstrieren in Frankreich gegen die geplante Erhöhung des Rentenalters auf 64. Ein Generalstreik lähmt öffentliche Dienste und Verkehr.
![Feuerwehrleute demonstrieren mit Fahnen Feuerwehrleute demonstrieren mit Fahnen](https://taz.de/picture/6042752/14/Protest-1.jpeg)
Einige seien besonders früh aufgestanden, um einigermaßen rechtzeitig zur Arbeit zu erscheinen, viele andere blieben wie während der ärgsten Zeit der Corona-Epidemie im Homeoffice. Da laut den Gewerkschaften der Unterricht in 70 Prozent der Grundschulklassen wegen des Streiks gegen die Rentenreform ausfällt und die Schulkantinen zu bleiben, organisierten sich die Eltern untereinander oder mit den Großeltern für das Kinderhüten.
Mehrere Mittelschulen sind von Jugendlichen besetzt oder blockiert worden. Denn auch die Organisationen der Schüler*innen und Studierenden beteiligen sich an den Protesten gegen eine Reform, die ihre Eltern, aber auch sie selber betrifft.
In Frankreich sind sich die allermeisten solche Streiksituationen gewöhnt, sie konnten sich auf die seit Tagen angekündigten Behinderungen in den öffentlichen Diensten einstellen. Dies erklärt auch, dass für den Streik viel Verständnis geäußert wird. Ohnehin ist laut allen Umfragen eine große Mehrheit dagegen, zwei Jahre länger zu arbeiten. Die Rentenreform stellt ein Kernstück des Programms von Präsident Emmanuel Macron dar. Ab dem 6. Februar wird sein Kabinett die Anfang Januar vorgestellte Reform dem Parlament unterbreiten.
Gewerkschaften zum ersten mal seit zwölf Jahren vereint
Rund 20 Prozent der Befragten würden an den Protestaktionen teilnehmen. Längst nicht alle haben am Donnerstag Wort gehalten. Doch es sind auf jeden Fall viele Hunderttausende, sogar zwischen 1 und 2 Millionen laut den Gewerkschaften, die in circa 200 Städten auf die Straße gegangen sind. Für die Gewerkschaftsverbände, die erstmals seit zwölf Jahren gemeinsam gegen die Regierungspolitik marschierten, war der landesweite Protest das Minimum, was sie als Antwort auf den Angriff auf eine ihrer sozialen Errungenschaften erwarteten. Für die Regierung bedeutet der landesweite Protest eine Niederlage des sozialen Dialogs. Die sonst untereinander rivalisierenden Dachverbände haben sich gegen die Reform aufgelehnt und vereint. Sogar die Polizeigewerkschaften riefen zur Teilnahme an den Kundgebungen auf.
Niemand weiß, ob diese Protestaktionen nun andauern und ob sich die Fronten in diesem Konflikt noch weiter verhärten. Der Vorsitzende der CGT, Philippe Martinez, wollte die Karten nicht vorzeitig aufdecken, sagte aber: „Wir müssen härter vorgehen, die Streiks müssen fortgesetzt werden. Darüber aber müssen die Beschäftigten in den Betrieben beschließen.“
In den Erdölraffinerien, in denen am Donnerstag zu 70 bis 100 Prozent gestreikt wurde, haben die Gewerkschaften bereits eine Serie von mehrtägigen Streiks bis Anfang Februar angemeldet. Im letzten Herbst hatten ihre Streiks für Lohnforderungen in den Anlagen der Erdölgesellschaften dramatische Engpässe in der Treibstoffversorgung verursacht.
Fast ebenso sehr wie solche Streikfolgen für die Wirtschaft befürchtet die Regierung spontane Bewegungen, die unabhängig von den Gewerkschaften und Parteien ausbrechen. Wie ein Gespenst aus der jüngsten Vergangenheit sorgt die Erinnerung an die Gelbwesten, deren Proteste ab Ende 2018 mehrere Monate anhielten und zu einer Revolte eskalierten, für Befürchtungen. Innenminister Gérald Darmanin hatte zudem am Vortag ein besonders imposantes Polizeiaufgebot mit der angeblichen Präsenz von „tausend Blackblocks der Ultralinken“ begründet. Am Samstag ruft die Linksparteien La France insoumise mit anderen Organisationen zu einer nationalen Demonstration gegen die Rentenreform auf.
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