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Religiöse Rechte in den USAHerrschaft der Minderheit

Gastkommentar von Annika Brockschmidt

Die politisch-religiöse Rechte in den USA hat gesiegt. Nach dem Abtreibungsrecht widmet sie sich dem Abbau weiterer Bürgerrechte.

Stiller Protest nach der Entscheidung des Supreme Court Foto: Evelxn Hockstein/reuters

D as verfassungsmäßig geschützte Recht auf Abtreibung, das seit Jahrzehnten landesweit existierte, ist in den USA seit vergangener Woche Geschichte. Der Supreme Court legte die Entscheidung über das Recht auf Abtreibung in die Verantwortung der Bundesstaaten. Die Folgen für Frauen und Schwangere sind katastrophal und traten teils sofort ein. Insgesamt wird Abtreibung in etwa 26 Staaten ganz verboten oder so eingeschränkt, dass sie damit effektiv illegal wird.

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Doch das ist der religiösen und politischen Rechten noch nicht genug: Einzelne Bundesstaaten überlegen bereits, Schwangeren zu verbieten, eine Abtreibung in einem anderen Bundesstaat vornehmen zu lassen, wo sie noch legal sind. Andere versuchen, bestimmte Verhütungsmittel zu kriminalisieren und Abtreibung strafrechtlich als Mord verfolgen zu lassen. Ein kleiner Lichtblick: Bundesrichter haben entsprechende Gesetze in Louisiana, Utah und Texas gestoppt, wenn auch nur vorerst. Für den Moment nehmen die Kliniken dort nach Medienberichten ihre Arbeit also wieder auf, wenn auch eingeschränkt.

Für die amerikanische Rechte war der Freitag letzter Woche ein Jubeltag. Einige von ihnen tauchten vor dem Obersten Gerichtshof auf, samt den passenden Schildern. „Abtreibung ist rassistisch – überzeug mich vom Gegenteil!“und „Abtreibung ist Mord“, war da zu lesen. Das Urteil des Obersten Gerichtshofs ist das Ergebnis eines jahrzehntelangen politischen Projekts religiöser und erzkonservativer Gruppierungen. Für sie ist Amerika ein christliches Land – gegründet von und für weiße Christen.

Die Agenda gegen Abtreibungen entspringt auch einem empfundenen demografischen Druck

Nur ein Christ – und zwar einer, der ihre eigenen rechtskonservativen Ansichten teilt – kann ein „wahrer“ Amerikaner sein. Schwarze Rechtskonservative sind gern gesehen – allerdings nur, wenn sie das politische Projekt der weißen, christlichen patriarchalen Hegemonie unterstützen. So schützt man sich zugleich vordergründig vor (begründeten) Rassismusvorwürfen. Diese Verschmelzung von nationaler und christlicher Identität ist das Herzstück des christlichen Nationalismus.

White ­Supremacy als zentraler Bestandteil

Bekannte Figuren des weißen Evangelikalismus wie der Prediger Jerry Falwell begannen erst Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre damit, sich den Kampf gegen Abtreibung auf die Fahnen zu schreiben. Davor hatte die Bewegung unter anderem gegen die Aufhebung der Segregation an Schulen und den drohenden Verlust des steuerfreien Status segregierter christlicher Privatschulen mobilisiert – sowie gegen die Ausweitung der Bürgerrechte und Feminismus. Die Koalition, die sie mit rechten Katholiken eingingen – die schon seit Jahrzehnten legale Abtreibung bekämpften –, um sich gemeinsam auf einen Kreuzzug gegen Abtreibung zu begeben, war folgenreich: Sie hat unter anderem zur aktuellen Besetzung des ­Supreme Court geführt.

Es geht hier jedoch nicht um „ungeborenes Leben“, nicht um die Reduktion der Anzahl von Abtreibungen. Studien zeigen immer wieder, dass ein solches Verbot die Zahlen nicht sinken lässt – sondern die Anzahl derer, die bei illegalen Abtreibungen sterben, steigen lässt. Weshalb also will die religiöse Rechte Abtreibungen verbieten? Ihr geht es um Macht und Kontrolle: Innerhalb ihres Weltbilds haben Frauen (trans Männer, die ebenfalls schwanger werden können, existieren in dieser Vorstellung gar nicht) nur einen gottgegebenen Platz: zu Hause, als Mutter.

Das Amerika des weißen, christlichen Nationalismus ist ein zutiefst patriarchales. Denn auch beim weißen, christlichen Nationalismus geht es vorrangig um Macht. Um politische Macht, aber auch um den Erhalt einer kulturellen Deutungshoheit. Und auch wenn sich die Antiabtreibungsbewegung gern als Erbin der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung sieht und sich deren Vokabular aneignet, ist White ­Supremacy ein zentraler Bestandteil.

„Der Antiabtreibungsrhetorik liegt die Idee zugrunde, dass weiße Frauen mehr Babys bekommen sollten, um die weiße Nation aufzubauen“, sagte Dorothy Roberts, Direktorin des Penn Program on Race, Science & Society, gegenüber MSNBC. Die Agenda gegen Abtreibungen ist immer auch vor dem Hintergrund eines empfundenen demografischen Drucks zu sehen, den die amerikanische Rechte seit ihrer Entstehung spürt.

Der Krieg geht weiter

Schon damals war klar: Auf Dauer würde man keine numerischen Mehrheiten im Land mehr gewinnen können. Daher entschied man sich, statt die eigenen Positionen zu moderieren und mehr Wähler zu überzeugen, für den antidemokratischen Weg: die Festigung der Herrschaft einer Minderheit durch die Ausspielung oder Manipulation des amerikanischen politischen Systems.

Rolf Brockschmidt

Annika Brockschmidt hat Geschichte, Germanistik und War and Conflict Studies in Heidelberg, Durham und Potsdam studiert. Sie ist freie Journalistin und Autorin. Zuletzt erschien von ihr „Amerikas Gotteskrieger. Wie die Religiöse Rechte die Demokratie gefährdet“ (Rowohlt, 2021).

Es ist kein Zufall, dass die religiöse Rechte sich so um sinkende (weiße) Geburtenraten sorgt. Mittlerweile ist die Radikalisierung der Rechten so weit fortgeschritten, dass selbst der stille Teil laut gesagt wird. So, wie die Kongressabgeordnete Mary Miller es vergangene Woche auf einer Trump-Wahlkampfkundgebung tat: „Das war ein großer Sieg für weißes Leben“, verkündete sie anlässlich des Supreme-Court-Urteils unter dem Jubel der Menge, während Trump lächelte.

Doch das politische Projekt der religiösen und politischen Rechten ist noch längst nicht am Ende angelangt. Wer glaubt, sie würden sich mit diesem Sieg zufriedengeben, irrt – und hört ihnen nicht richtig zu. Clarence Thomas, einer der Obersten Richter, bestätigt in seiner Stellungnahme zur Abtreibung das, wovor Ex­per­t*in­nen gewarnt hatten: dass der Supreme Court sich jetzt mit der Legalität von Verhütungsmitteln (Griswold v. Connecticut), der Kriminalisierung von Homosexualität (Lawrence v. Texas) und der gleichgeschlechtlichen Ehe (Obergefell v. Hodges) befassen müsse – implizierend, diese Urteile seien ebenfalls falsch gefällt worden. Die religiöse Rechte hat einen großen Sieg errungen. Aber der Krieg geht weiter – den haben sie den seit den 1950er Jahren festgeschriebenen Bürgerrechten bereits erklärt.

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11 Kommentare

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  • "Schwarze Rechtskonservative sind gern gesehen – allerdings nur, wenn sie das politische Projekt der weißen, christlichen patriarchalen Hegemonie unterstützen."

    Ich glaube, dass das unzutreffend ist und den Kampf um das Recht auf Abtreibung nur erschwert - weil es nicht gut ist alles zu vermischen und so zu tun, als ob alles Gute zusammen vernetzt sei und alles Böse auch. Und weil es glaube ich falsch ist.

    Das ist sicher nicht einheitlich, aber durch "Nicht-Weiße" Migration werden Gesellschaften oft auch in bestimmten Punkten wieder konservativer. Von Schwarzafrika geht etwa eine gewisse "Rechristianisierung" Europas aus - Progressive Katholiken in D laufen unter anderem auch gegen Wände, weil sie global keine so große Rolle mehr spielen.

    Man sollte sich für das Recht auf Abtreibung einsetzen - aber dafür die Welt realistisch sehen, in der man versucht das durchzusetzen.

    In den USA hieße das (wahrscheinlich - bin kein Experte), dass es fürs Erste in jedem Bundesstaat einzeln zu erkämpfen ist, weil nach der Verfassung (zumindest lauf verfassungsgericht) das eben keine Bundesangelegenheit oder allgemeines Grundrecht ist. Es wäre wahrscheinlich besser sich darauf zu konzentrieren und zu hoffen, dass bei anderen Dingen Staaten ihre Souveränität auch positiv nutzen können: etwa dass NY das Tragen von Waffen verbieten kann und kein Bundesgessetz da reinzureden hat.

  • Mal wieder ein schwarzer Tag für die Bürgerrechte in den USA... und es geht weiter.

    Allerdings sei hier noch kurz angemerkt, dass es bei der Zustimmung bzw. Gegnerschaft von Abtreibungen in den USA unter schwarzen oder weißen Bürgern kaum einen unterschied gibt.

    Umfrage aus 2020:



    "Ist Abtreibung moralisch vertretbar?"



    Weiße US Bürger: 43 % Zustimmung



    Schwarze US Bürger: 46% Zustimmung

    [news.gallup.com/op...ans-abortion.aspx]

    Auch wenn die weißen Nazis in den USA das maßgeblich vorantreiben ist es glaube ich nicht so leicht zu sagen wer da alles mit hinter steht, denn Religion und deren ideologische Dogmen spielen unabhängig von der Hautfarbe eine leider viel zu große Rolle in der US-Bevölkerung.

    • @Teleshopper:

      Könnten Sie das mit der "Hautfarbe" nochmal erklären ? Der US-amerikansiche Mythos von "Rasse" basiert doch schlicht darauf, dass, wer die letzten paar Jahrhunderte nur europäische Vorfahren hatte, als "weiß" kategorisiert wird, eine einzige sagen wir senegalesiche Urgroßmutter unter ansonsten gleicher Verwandtschaft Sie jedoch plötzlich in eine andere Schublade schubst: "schwarz". Was für ne Logik soll das sein, selbst wenn es völlig wertfrei gemeint sein sollte ????

      • @lesnmachtdumm:

        Nein das kann ich Ihnen leider nicht erklären. Ich sehe das ähnlich wie Sie und halte diese harte Differenzierung zwischen Schwarz/Weiß auch für quatsch.



        Ich habe hier nur die Einteilung aus der vorliegenden Umfrage übernommen um auf das im Artikel erwähnte Narrativ von "Weißen" Gesetzten gegen "Schwarze" einzugehen und aufzuzeigen, dass es selbst in dieser engstirnigen Differenzierung auch nicht eindeutig verteilt ist.

  • Danke für das Aufzeigen von Entwicklungen und Weitung der Perspektive. Danke für den Kommentar.



    "Einzelne Bundesstaaten überlegen bereits, Schwangeren zu verbieten, eine Abtreibung in einem anderen Bundesstaat vornehmen zu lassen, wo sie noch legal sind."



    Land der freien=Land der Rechten und patriarchalen Männer?!



    "Für sie ist Amerika ein christliches Land – gegründet von und für weiße Christen."



    Wenn das der offizielle Standard würde, hat die USA ihre Existenzberechtigung verwirkt. Das ist Rechtfertigung gewaltsamer Landnahme, Genozid an indigenen Menschen, sowie Kontinuitäten von Rassismus gegen Black People and People of Color.



    "So, wie die Kongressabgeordnete Mary Miller es vergangene Woche auf einer Trump-Wahlkampfkundgebung tat: „Das war ein großer Sieg für weißes Leben“, verkündete sie anlässlich des Supreme-Court-Urteils unter dem Jubel der Menge, während Trump lächelte."



    Was für widerliche Haltung, was für widerliche Menschen!

  • Die Befürchtungen der Autorin teile ich nicht.



    Zwar haben die Republikaner den Obersten Gerichtshof gestohlen, aber das wird ihnen nichts nutzen. Die große Mehrheit der Amerikanerinnen, weiß, schwarz, divers, wird sich ihr verfassungsgemäßes Recht auf Schwangerschaftsbeendigung nicht nehmen lassen. Sie werden massenhaft Demokraten wählen und zusammen mit vielen solidarischen, uneigennützigen Männern, cis und trans, die Republikaner marginalisieren. Der Jubel der Reaktion wird schneller verhallen, als sich viele vorstellen können, vielleicht schon bei den nächsten Midterms. Die Entscheidung des Supreme Courts wird sich für Rechte, Christen, Lebensschützer usw. als Phyrrhussieg erweisen. Die wahre Mehrheit wird obsiegen, davon bin ich fest überzeugt!

    • @Callcenter-Agent:

      So optimistisch wäre ich da nicht. Wahlen werden durch sehr viele Punkte entschieden. Die Menschen sind auch oft konservativ - was die "wahre" Mehrheit ist, ist nicht so klar und wandelbar. Ich glaube der bessere Ansatz ist, möglichst viele von guten Kompromissen zu überzeugen.

    • @Callcenter-Agent:

      Deswegen wurde ja auch dieser rechte Immobilienunternehmer mit Pälzer Migrationshintergrund nicht zum Präsidenten gewählt. Weil die Mehrheit das nie zulassen würde. *tätschel*

    • 9G
      95820 (Profil gelöscht)
      @Callcenter-Agent:

      Satire bitte immer kennzeichnen.

    • @Callcenter-Agent:

      Ich drücke ihrem Optimismus wirklich die Daumen. Aber die Umfragen bzgl. der Midterms -1- sprechen leider eine andere Sprache. Gerade wir im Ausland, die wir nahezu keinen Einfluss haben, müssen auf die US-Zivilbevölkerung hoffen.

      Eine waschechte Theokratie, autokratisch (etwa mit De Sanctis) oder oligarchisch, ist mE nahezu unaufhaltsam. Sie entspräche aktuellen globalen Entwicklungen. Der SC bietet dazu das geeignete juridale Rückgrat, da es offensichtlich am moralischen fehlt.

      Hier muss man mir nicht zustimmen, aber in eigener, unpopulärer Sache: wer tief graben will, und tatsächlich tiefer und tiefer kommt, mag mir zustimmen: das Problem ist Herrschaft a priori.

      -1-



      (www.google.com/amp...istoric-loss/amp/)

  • Clever mit der OPUS DEI Frau Amy Coney Barrett und Clarence Thomas -Black , Kapos einzusetzen...