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Reichsbürgerin unter LinkenDer Schock sitzt tief

Die Honigfabrik ist ein linkes Hamburger Kulturzentrum. Vor einigen Wochen kam heraus: Eine Mitarbeiterin hat sich den Reichsbürgern angeschlossen.

Im Aufarbeitungsmodus: die Honigfabrik in Hamburg-Wilhelmsburg Foto: Miguel Ferraz Araújo

Hamburg taz | Der kleine Veranstaltungssaal im Erdgeschoss der Honigfabrik füllt sich. Es ist das erste Stück, das am Theatertag in dem Kulturzentrum in Hamburg-Wilhelmsburg aufgeführt wird. Bunt geschminkte Kinder strömen auf die noch freien Plätze vor der beleuchteten Bühne. Inmitten der vielen Kinder und Eltern sitzen auch einige Renter*innen, die darauf warten, dass das Theaterstück „3 Freundinnen“ beginnt. Die Kinder haben es sich selbst erarbeitet, im Rahmen der „Kinderkultur“, so heißt das Programm.

Die Honigfabrik ist altes Backsteingebäude mit Schornstein, erbaut 1906. Als Kulturort geht sie auf die linken Jugendbewegungen der 70er Jahre zurück. Falken, DKP und anderen Initiativen träumten damals von einem selbstverwalteten Zentrum, in dem Jung und Alt zusammenkommen. Seither versteht sich die Honigfabrik als ein Ort der Freiheit und Offenheit und setzt sich gegen jegliche Form der Ausgrenzung ein.

Wilhelmsburg, mit 53.000 Ein­woh­ne­r*in­nen die größte bewohnte Flussinsel Europas, galt lange als Hamburger Problemstadtteil: Das Bildungsniveau war niedrig und Perspektiven fehlten. Anfang der 2000er wollte man den Stadtteil aufwerten und Familien aus anderen Vierteln locken. Heute ist ein Viertel der An­woh­ne­r*in­nen unter 25 Jahre alt, viele von ihnen studieren. Steigende Preise, der Wohnungsmangel und die Verdrängung alteingesessener Wil­helms­bur­ge­r*in­nen sorgen immer wieder für Spannungen.

Die Hoffnung, mit der Honigfabrik einen Ort der Freiheit und Offenheit geschaffen zu haben, bekam Mitte Juni einen Dämpfer: Eine Recherche des „Bündnis gegen Rechts“ enthüllte, dass Maren B., eine Mitarbeiterin der Kinderkultur, Mitglied der rechten Sekte „Königreich Deutschland“ ist. Das Bündnis veröffentlichte Fotos, auf denen Maren B. beim Zukunftskongress der Sekte im Ladiges Hof in Holm zu sehen ist. Mit rund 70 Teil­neh­me­r*in­nen sollte es das wichtigste Treffen des Jahres werden, um die Strukturen deutschlandweit auszubauen.

Königreich Deutschland

Wir können es nicht fassen, dass wir nichts mitgekriegt haben

Stellungnahme der Mitarbeitenden der Honigfabrik vom 11. Juni

Das „Königreich Deutschland“ zählt zu den zahlreichen Splittergruppierungen der Reichsbürgerbewegung – sie lehnen die Legitimität der Bundesrepublik Deutschland ab oder leugnen deren Existenz, glauben an das Fortleben des Deutschen Reiches oder dass der deutsche Staat eine Firma ist. Manche planen gewaltsame Staatsumstürze, andere gründen eigene Hoheitsgebiete, in denen sie Scheinstaaten ausrufen – wie auch das „Königreich Deutschland“.

Bis heute konnte ihr Anführer, der selbsternannte „König von Deutschland“ Peter Fitzek, 4.000 bis 6.000 Mitglieder rekrutieren, die Zahlen schwanken je nach Quelle. Wer Mitglied werden möchte, muss sich einer „Staatsprüfung“ unterziehen, das Königreich bittet außerdem um eine Spende oder eine Kapitalüberlassung. Im Gegenzug erhalten seine Mitglieder einen „Staatsbürgerausweis“.

Laut „Bündnis gegen Rechts“ steht Fitzek in Verbindung zu „Querdenken 40“, der esoterisch-antisemitischen Anastasia-Bewegung, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft wird, Mitgliedern der AfD und dem Holocaustleugner Nikolai Nerling. Seit 2023 könnten verstärkte Aktivitäten im Hamburger Raum beobachten werden.

Maren B. hatte in der Honigfabrik bereits im Januar zum 31. 07. gekündigt, weil sie aufs Land ziehen wollte. Als sie von den Mitarbeitenden der Honigfabrik mit der Recherche konfrontiert wurde, gab sie zu, seit Dezember 2023 offizielles Mitglied bei den Reichsbürgern zu sein. Daraufhin kündigte das linke Kulturzentrum Maren B. fristlos. In den vergangenen Jahren hatte sie Aufgaben im Bereich der Kinderkultur übernommen.

Nichts mitgekriegt

„Die Honigfabrik ist vor den Kopf gestoßen und wir können es nicht fassen, dass wir nichts mitgekriegt haben“, schrieben die Mit­ar­bei­te­r*in­nen in ihrer Stellungnahme vom 11. Juni. „Was mit Gemeinschaft lockt und so unschuldig daher kommt wie das friedliche Leben auf dem Land, baut auf Ausgrenzung, Hass, Rassismus und Anti­semitismus – steht für all das, wogegen sich die Honigfabrik seit über 40 Jahren einsetzt.“

Doch wie konnte es passieren, dass eine Reichsbürgerin inmitten linker Strukturen unentdeckt blieb und mit Kindern arbeitete?

Bisher haben weder die Eltern noch die Kinder aus dem Kinderkulturbereich von Erfahrungen berichtet, an denen erkennbar gewesen wäre, dass sich Maren B. radikalisierte, dass sie andere ausgrenzte oder rechtes Gedankengut ihre Arbeit beeinflusste. Im Gegenteil, Maren B. wird einhellig als offene, klare und zugängliche Person beschrieben, der sich auch viele Familien anvertrauten, die von Rassismus betroffen sind.

„Das so etwas jetzt in einem Nah­raum passiert, an einem Ort, bei dem es ganz stark um Vertrauen geht, war für viele Eltern ein Schock“, sagt Sven Jan Schmitz, direkter Kollege und Nachfolger von Maren B. Viele Familien seien verunsichert, hätten ohnehin große Angst, Deutschland verlassen zu müssen. „Das sind Ängste, die die Kinder klar benennen“ und sich durch den Vorfall mit Maren B. weiter verstärkt hätten.

In der ersten Woche nach der Enthüllung setzten die Mitarbeitenden alle zwanzig Angebote der Kinderkultur aus und richteten stattdessen eine offene Anlaufstelle ein, um einen gemeinsamen Umgang mit der Situation zu finden. „Gerade für diejenigen Kinder, die davon erfahren haben und hierherkommen, wäre das Signal einer verschlossenen Tür fatal gewesen“, sagt Schmitz. Die offene Anlaufstelle konnten Eltern und Kinder nutzen, um sich über den Vorfall auszutauschen.

„Wir stehen im Moment vor voll­endeten Tatsachen und müssen sehen, wie wir damit umgehen“ sagt Oliver Menk, Leiter der Geschichtswerkstatt. Ein Tag bevor Maren B's Geheimnis an die Öffentlichkeit gelangte, organisierte er einen Stolpersteinrundgang in Wilhelmsburg. Er sieht erschöpft aus, die Überforderung ist ihm anzumerken.

Ringen um Worte

Auch die anderen Teammitglieder ringen um Worte, während sie über Maren B. sprechen: „Es ist einfach gruselig zu sehen, was man alles verheimlichen kann, wenn man es nicht nach außen tragen möchte“, sagt Finn Brüggemann, der für die Öffentlichkeitsarbeit des Kulturzentrums verantwortlich ist. Auch Schmitz fällt es schwer, sich zu erklären, wie Maren B. sich radikalisieren konnte, ohne dass es jemand mitbekam.

Maren B’s Absichten bleiben bisher unklar. Arbeitete sie in der Honigfabrik, weil sie die dort etablierten, linken Strukturen schwächen und mit rechtem Gedankengut unterwandern wollte? Oder radikalisierte sie sich allmählich, bis sie feststellen musste, dass ihre Ansichten in der Honigfabrik keinen Platz haben?

wochentaz

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Sicher ist: Es wird ein langer Prozess sein, das Geschehene aufzuarbeiten. Dabei möchten sich die Mitarbeitenden vor allem um diejenigen kümmern, die „von der rassistischen Erscheinung unserer Gesellschaft“ betroffen sind. Gemeinsam mit externen Trägern wie dem Mobilen Beratungsteam gegen Rechtsextremismus möchten sie beispielsweise Räume für migrantische Kinder gestalten, ihr Selbstbewusstsein stärken und sie sich sicher fühlen lassen.

Elten wollen bei der Aufarbeitung helfen

Ist es möglich, dass es Strukturen in der Honigfabrik gibt, die den Vorfall begünstigt haben? Die Mitarbeitenden wollen dem nachgehen, ihre Werte neu definieren und Veranstaltungen anbieten, die über die Reichsbürgerszene aufklären.

Viele Eltern hätten bereits angeboten, die Aufarbeitung mitzugestalten, berichtet Schmitz. „Man spürt, dass Wilhelmsburg gewachsene Strukturen hat, die sich mit antirassistischer Arbeit auseinandersetzen.“ Es besteht also Hoffnung, dass linke Strukturen auch nach Rückschlägen wie diesem widerstandsfähig und vertrauenswürdig bleiben können.

Auf der Bühne der Honigfabrik wird es unruhig: Die „3 Freundinnen“ reisen in die Zukunft, weil sie damit beauftragt wurden, die Welt vor dem Bösen zu retten. Dort begegnen sie sich selbst und müssen feststellen, dass sie ihre Träume und Freundschaften im Alter vernachlässigt haben. „Sei nett zu den Menschen da draußen“, rät die eine; „Mach das, was dich glücklich macht“, die andere. Dann nehmen sie sich sanft in den Arm – die Welt ist wieder ein besserer Ort. Zumindest hier auf der Bühne.

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15 Kommentare

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  • So sehr ich die Bestürzung verstehen kann, wenn liebgewonnene Gewissheiten wie die ideologische Homogenität der eigenen Blase ins Wanken geraten - manche Äußerungen können auch Angst machen. Das Kulturzentrum als "Ort der gedanklichen Freiheit" führt sich doch selbst ad absurdum, wenn seine Protagonisten in dem Anspruch leben, dass ihre Mitstreiter kein Innenleben haben sollten, das von außen undurchschaubar bleibt. Gleiches gilt für die außerordentliche Kündigung wegen ideologische Unvereinbarkeit. Und der Gipfel ist die Befürchtung, Opfer einer jahrelangen Unterwanderung zu sein, statt zu erkennen, dass die Mitarbeiterin eigentlich völlig stringent gehandelt und nach dem Beitritt zu der rechtsdrehenden Sekte (oder wie auch immer man diese Organisation sonst nennen möchte) ihre Stelle zum nächstmöglichen Zeitpunkt räumen wollte.

    • @Normalo:

      Ein linkes Projekt sollte ein Ort sein, an dem sich die Beteiligten so sicher fühlen, dass sie ohne Angst Differenzen äußern können und darüber diskutiert werden kann. Insofern lässt sich die Verunsicherung der Aktiven durchaus verstehen.



      Der Anspruch sollte ja sein, dass derartigen rechte Ansichten schon im Aufkommen etwas entgegnet wird und das auf eine Weise, die nicht einer Vorverurteilung oder einem Ausschluss gleichkommt. Ich weiss allerdings nicht, ob es da viel hilft, Aufklärung spezifisch über Reichsbürger zu leisten oder ob es nicht besser wäre, Formate allgemeiner Kritik und offener Fragen zu entwickeln.



      Dass jedoch die Mitgliedschaft im "Königreich Deutschland" unvereinbar ist mit einer vertrauensvollen Arbeit mit vor allem migrantischen Kindern, ist selbstverständlich und nichts Absurdes, wie Sie behaupten.



      Sie würden ja auch kaum zu einer Ärzt:in gehen wollen, die ihrem "Arbeitgeber" über ihren Zustand Bericht ablegt, oder?

  • Es ist ein schmaler Grat zwischen gesunder alternativ denkender Skepsis am Bestehenden (meist eher links verortet) und falscher Gewissheit in der Sekte (unpolitisch oder heute eher im Rechtsextremen zu finden, vgl. dabei auch die "linke" K-Gruppe selig).

    Ich wünsche jedem und jeder da herauszufinden.



    Reden wir zeitig achtsam mit Menschen, dass sie erst gar nicht aus der Kurve fliegen (ich habe es ein- zweimal hinbekommen, aber es war auch Arbeit, und ohne Zuhören und menschlichen Respekt läuft's nicht).

  • Also unter den ganzen Reichsbürgervereinen ist „König“ Peter Fitzek der Erste irgendwie noch der lustigste (im Sinne von skurril/absurd), sein „Königreich Deutschland“ ist wirklich eher eine Mischung aus Landkommune, Sekte und alternativem Wirtschaftsbetrieb. Klar ist es wichtig sowas kritisch zu beobachten, vor allem wenn es da ideologische Verbindungen zu extremistischeren Strömungen gibt. Aber viele seiner Anhänger*innen sehen wirklich mehr nach trommelnden und yogapraktizierenden Sozialarbeiter*innen aus, warum sollten die nicht achtsam und wertschätzend mit migrantischen Kindern umgehen? Nicht jeder Verschwörungsmystiker hegt Hass gegenüber anderen Kulturen, hier wurde mit der fristlosen Kündigung meines Erachtens überreagiert, zumal der Vertrag ja eh Ende diesen Monats ausgelaufen wäre…stattdessen hätte ich lieber in einem gemeinsamen Gespräch versucht herauszufinden was genau sich diese Mitarbeiterin von dieser obskuren Vereinigung erwartet.

  • Ich finde das auch nicht so dramatisch , man kann ja auch nicht seine Mitarbeiter durchleuchten . Und es wurde reagiert. Meiner Erfahrung nach sitzen im sozialen Bereich genau so viele Rechte wie in jedem anderen auch .

  • Und, hat mal jemand sie gefragt oder mit ihr gesprochen?

    • @Mustardman:

      Gute Frage

    • @Mustardman:

      Gute Frage

      • @Syltfreund:

        Vermutlich nicht, dann könnte die Ratlosigkeit ja noch anwachsen….

        Die Frau entspricht offenbar nicht dem klischeehaften Bild von Rechten…

  • Ich denke, dass Befürchtungen oder Gedanken wie "wollte sie den Laden unterwandern und linke Strukturen schwächen" usw. zwar nicht gänzlich unbegründet sind - ausschließen kann man sowas letztlich nie - aber vielleicht auf einer nicht unbedingt hundertprozentig zutreffenden Einschätzung bzgl. gerade dieser Gruppierung beruhen. Basierend auf den Rechercheartikeln und Dokumentationen, die ich über Fitzek und sein "Königreich" gelesen/gesehen habe, scheint es mir, dass der auch im Artikel verwendete Begriff "Sekte" schon sehr gut zutrifft. Der esoterische Eskapismus und das von manchen offenbar so wahrgenommene "Charisma" von Fitzek scheinen bei vielen Mitgliedern der Sekte eine sehr große Rolle zu spielen, vielleicht sogar eine größere als die politischen Inhalte. Wobei natürlich außer Frage steht, dass diese Inhalte reaktionär bis rechtsradikal sind.

    • @Kawabunga:

      Einfach mal auf den Kalender schauen. Zeitgleich zum Eintreten bei den Reichsbürgern hat sie gekündigt.

  • Da man den Mitmenschen nicht in die Köpfe schauen kann, merkt man ja nichts, wenn sie ihre abseitigen Ansichten nicht kundtun oder sich entsprechend verhalten. Was will man da tun?



    Die Aufregung in dieser Form kann ich jetzt nicht verstehen, man hat die Frau ja entlarven können, sogar bevor sie im Kulturzentrum jemanden mit ihrem Wahn beeinflussen konnte.

    • @Axel Schäfer:

      Was sie offensichtlich gar nicht versucht hat. Sie wollte zudem von sich aus gehen.

      Ich verstehe die Aufregung und den Drang, dass jetzt aufwändig auszuarbeiten, ebenfalls nicht.

    • @Axel Schäfer:

      Sie hat es ja nicht mal versucht. Sie hatte bereits selbst gekündigt.



      Ein ganz schöner Sturm im Wasserglas.

      • @Herr Lich:

        Grund des Sturms ist doch eher die Erschütterung, dass die Realität komplexer ist als die eigenen Klischees