Regierungskrise in Italien: Ein Bild purer Ohnmacht
Innenminister Salvini ist die Regie der von ihm angezettelten Regierungskrise völlig entglitten. Der Lega drohen Jahre auf der Oppositionsbank.
N ein, das war nicht Matteo Salvinis Tag, auch wenn er ihn so gründlich vorbereitet hatte. Nur ihm hatten es Italiens Senatoren ja zu verdanken, dass sie ihren Sommerurlaub unterbrechen und am Dienstagnachmittag zu einer Sondersitzung zusammentreten mussten.
Es war nicht sein Tag, denn die Parlamentarier verhandelten da über eine Regierungskrise, die allein er, der Lega-Chef und Innenminister, gewollt hatte, mit dem Ziel, zu schnellen Neuwahlen zu schreiten und von den Italienern mit der „ganzen Macht“ ausgestattet zu werden. Schon die Krise selbst sollte belegen, wie die Gewichte in der italienischen Politik verteilt sind, seitdem die rechtspopulistisch-fremdenfeindliche Lega bei den Europawahlen im Mai mit 34 Prozent triumphiert hatte: Salvini allein entscheidet, wohin die Reise für Italien geht, er diktiert die Spielregeln, er verteilt die Karten.
Doch er, der sich schon als übermächtig sah, gab dann in der fünf Stunden währenden Debatte das Bild purer Ohnmacht ab. Es begann schon damit, dass er sich auf die – komplett von den Ministern und Staatssekretären seines bisherigen Koalitionspartners von den Fünf Sternen besetzte – Regierungsbank drängeln musste. Es ging weiter damit, dass er förmlich um einen Handschlag des Ministerpräsidenten Giuseppe Conte betteln musste.
Der gewährte ihm generös diese Freundlichkeit, ja er redete ihn als „caro Matteo“, als „lieber Matteo“ an, doch dann stauchte er ihn, in stets ruhigem Ton, zusammen: als Politiker, der sich von Opportunismus leiten lasse, der bloß an die Vorteile „für sich und seine Partei“ denke, dem jeglicher Sinn für die Institutionen fehle, der mit seinem Griff nach der „ganzen Macht“ einfach nur „Sorgen bereite“. „Du bist unfair“, flüsterte Matteo da, ansonsten schnitt er Grimassen wie ein Schulbube.
Salvini hatte den anderen den Stuhl vor die Tür setzen wollen, den Regierungspartnern vom Movimento5Stelle (M5S – 5-Sterne-Bewegung), dem Premier Conte, ja mit den angesteuerten Neuwahlen dem ganzen Parlament. Doch dass die Regie der Krise ihm völlig entglitten ist, zeigte sich dann an einem letzten Verzweiflungsakt: Die Lega zog ihren Misstrauensantrag gegen Conte zurück, sie signalisierte so, dass sie sich nun auf einmal wieder eine Fortsetzung der Regierung vorstellen konnte.
Ein Bündnis aus der Angst geboren
Damit jedoch erlaubte sie Conte bloß den letzten vernichtenden Hieb: Er erklärte, Salvini sei mutlos, er habe nicht einmal den Schneid, zu dem Koalitionsbruch zu stehen, den er selbst vollzogen habe, Conte jedoch bleibe bei seinem Rücktritt.
Statt der erträumten Alleinregierung drohen der Lega nun Jahre auf der Oppositionsbank. Denn in der Debatte wurde auch deutlich, dass sowohl das M5S als auch die bisher oppositionelle, gemäßigt linke Partito Democratico (PD) sich eine Koalition vorstellen können. Und Conte skizzierte in seiner Rede auch gleich ein paar programmatische Grundlagen. Gegen den rechtsnationalistischen, EU-feindlichen Populismus der Lega stellte er ein klares Bekenntnis zur Union, er sprach von der Notwendigkeit, in Forschung und Bildung zu investieren, von der Notwendigkeit auch, Umweltfragen ein höheres Gewicht einzuräumen. In diesen Passagen klang er, als halte er nicht eine Abschieds-, sondern eine Antrittsrede.
Natürlich wäre dieses Bündnis vorneweg aus der Angst geboren: Aus der Angst der M5S- und der PD-Parlamentarier um ihre Sitze, aus der Angst aber auch vor einem Salvini-Italien, vor einem Land unter der Führung des Orbán-, Le Pen- und Putin-Fans. Angst gilt gemeinhin als schlechter Ratgeber, diesmal jedoch könnte sie sich als produktiv erweisen, unter einer Bedingung allerdings: dass es M5S und PD gelingt, einen überzeugenden Gegenentwurf zum rüden Rechtsnationalismus der Lega zu bilden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren