Italiens Regierungskrise: Ein kühnes Experiment

RegItaliens Sozialdemokraten wollen mit ihrem Eintritt in die Regierung Schlimmeres verhindern. Es könnte ihnen sogar gelingen.

Nicola Zingaretti in nachdenklicher Pose

Nicola Zingaretti ist erst seit März 2019 PD-Chef. Jetzt wird es ernst für ihn Foto: imago images/Independent Photo Agency Int.

Jetzt sieht es also doch danach aus, dass Italien in Zukunft von der populistischen Partei Fünf Sterne gemeinsam mit dem sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) regiert wird. Nach tagelangem Gezerre bis hin zur offenen Feindseligkeit bewegen sich die beiden aufeinander zu, anscheinend gewillt, unter dem alten Premier – Giuseppe Conte – eine neue Regierung aufzulegen.

Es wäre mehr als nur eine neue Regierung– eine solche Koalition ist Wagnis, ein kühnes Experiment. Denn bis vorgestern waren das Movimento 5 Stelle (M5S – 5-Sterne-Bewegung) und der PD nur durch eines verbunden: Abneigung, Hass, Feindschaft. Und natürlich stellt sich die Frage, ob da eine Koalition entsteht, die durch nichts als den Selbsterhaltungswillen und die Angst vor Neuwahlen zusammengehalten werden würde.

Noch vor drei Wochen, als der rechtspopulistische Lega-Chef Matteo Salvini aus heiterem Himmel die Regierung platzen ließ, verkündete PD-Chef Nicola Zingaretti, es gebe keine Alternative zu Neuwahlen. Doch sowohl sein Vorgänger und innerparteilicher Gegenspieler Matteo Renzi, der die Parlamentsfraktionen kontrolliert, als auch viele Zingaretti-Gefolgsleute zogen da nicht mit, setzten durch, dass der PD versucht, mit den Fünf Sternen ein Bündnis zu schmieden.

Die Logik dieses Projekts leuchtet ein: Es geht hier um nichts weniger als darum, den Griff Salvinis nach der „ganzen Macht“ (so er selbst) zu verhindern – also zu vermeiden, dass einer der wichtigsten EU-Staaten komplett in die Hände eines italienischen Viktor Orbán fällt.

Dieses Übel konnte immerhin verhindert werden. Doch wie wirkt sich ein solches Bündnis auf die eigenen Erfolgsaussichten aus? Diese Frage muss sich vor allem Zingaretti stellen. Er ist erst seit März 2019 als Parteichef im Amt, ihm war es gelungen, einen leisen Aufschwung einzuleiten, als er den PD bei den Europawahlen auf gut 22 Prozent führte, nachdem er bei den nationalen Wahlen 2018 auf nur noch 18,7 Prozent abgestürzt war.

Jetzt hingegen hätte die neue Koalition erst einmal die eher unschöne Aufgabe, den Staatshaushalt 2020 zu verabschieden – und da steht die unpopuläre Aufgabe an, Milliarden einzusparen. Eben diese „staatspolitische“ Verantwortung nannte Renzi, als er den Regierungseintritt des PD forderte. Doch gerade mit solchen höheren Verantwortungen hat der PD mehr als schlechte Erfahrungen gemacht. Im November 2011 verzichtete er – damals als sicherer Sieger gehandelt – nach dem Sturz Silvio Berlusconis auf sofortige Wahlen, um stattdessen mitten in der Eurokrise das Blut-, Schweiß- und Tränenkabinett Mario Montis mitzutragen. Die Wahlen vom Februar 2013 sahen dann den Triumph der Fünf Sterne.

Ein gleicher Abstieg des PD auch diesmal lässt sich nur verhindern, wenn die Partei es schafft, gemeinsam mit dem M5S ein ehrgeiziges Reformprogramm anzuschieben. Dafür sind die Voraussetzungen gar nicht einmal so schlecht. Ob die Steuerpolitik – Entlastung der unteren und mittleren Einkommen statt der von Salvini zugunsten der Gutverdiener angestrebten Flat Tax –, ob ein gesetzlicher Mindestlohn, Investitionen in die Green Economy international die Abkehr von Salvinis Europabashing (die Fünf Sterne stimmten im Europaparlament für von der Leyen): Die Schnittmengen zwischen PD und Fünf Sternen dürften größer sein als die zwischen Fünf Sternen und Lega.

Über wenigstens eine positive Voraussetzung verfügt Zingaretti bei diesem Experiment: Nachdem ausgerechnet sein innerparteilicher Gegner die Wende im PD eingeleitet hat, steht die Partei geschlossen hinter dem Versuch, in die Regierung zu gehen. Doch für Zingaretti bleibt Renzi – womöglich stärker noch als die Fünf Sterne – die größte Hypothek. Es wird sich zeigen müssen, ob er auch in Zukunft als einer der größten Ego-Shooter der italienischen Politik auftreten will oder aber ob er wirklich so etwas wie „staatspolitische“ Verantwortung kennt.

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Promovierter Politologe, 1985-1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Unis Duisburg und Essen, seit 1996 als Journalist in Rom, seit 2000 taz-Korrespondent, daneben tätig für deutsche Rundfunkanstalten, das italienische Wochenmagazin „Internazionale“ und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Büro Rom der Friedrich-Ebert-Stiftung.

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