piwik no script img

Regierungschef Sánchez droht AbwahlIdeologischer Kampf um Spanien

Spaniens Ministerpräsident Sánchez will weiterregieren, doch in Umfragen liegt er zurück. Was das bedeutet, zeigt sich in den rechts regierten Regionen.

Zerstörtes Plakat von Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez Foto: Bernat Armangue/ap

Madrid taz | Am Sonntag geht es ums Ganze: Ministerpräsident Pedro Sánchez will Spanien weitere vier Jahre mit der Koalition aus seiner sozialistischen PSOE und den linksalternativen Bündnis Sumar aus 15 Parteien – darunter die postkommunistische Vereinigte Linke und die linkspopulistische Podemos – regieren. Sumar, die erstmals die gesamte Linke jenseits der PSOE eint, wird von der bisherigen Vizeregierungschefin und Arbeitsministerin Yolanda Díaz angeführt. Sie hofft, drittstärkste Kraft zu werden und damit der rechtsextremen VOX in vielen Provinzen Abgeordnete streitig zu machen.

Auf der anderen Seite bereitet sich der Chef der rechtskonservativen Partido Popular (PP) Alberto Núñez Feijóo darauf vor, mithilfe ebenjener Rechtsextremen in den Regierungspalast einzuziehen. Laut Umfragen sind ihm die Wählenden mehr gewogen als Sánchez, der nach einer schmerzhaften Niederlage bei den Kommunal- und Regionalwahlen am 28. Mai die Parlamentswahlen um ein halbes Jahr vorzog.

Sánchez – und auch Díaz – werben für die Politik ihrer Koalition. Während der Covidpandemie und der Ukrainekrise hat diese den Sozialstaat in Spanien ausgebaut. Der Mindestlohn stieg um rund 50 Prozent, die Renten wurden angehoben. Auch der Kündigungsschutz, den einst die PP im Zuge der Eurokrise aufweichte, wurde wieder erweitert. Seither gibt es mehr Festanstellungen in Spanien denn je. Erstmals hat das Land außerdem ein Mieterschutzgesetz. Ein breites Kurzarbeitsprogramm rettete viele Arbeitsplätze und Unternehmen in der Tourismusbranche über die Coronakrise hinweg. Diese Sozialpolitik ist von wirtschaftlichen Erfolgen begleitet. Während andere EU-Länder tendenziell in eine Rezession rutschen, wächst Spaniens Wirtschaft.

All diese Maßnahmen brachte die linke Minderheitsregierung dank eines Sammelsuriums kleinerer linker Parteien und Vertreter aus Regionen wie dem Baskenland und Katalonien so durchs Parlament. PP und VOX stimmten selbst dann dagegen, wenn sich – wie etwa bei der Arbeitsmarkt- oder Rentenreform – Gewerkschaften und Arbeitgeber bereits geeinigt hatten. Feijóo hat bereits angekündigt, einen Großteil zurücknehmen zu wollen, sollte er denn an die Regierung kommen.

Die Kampagne der Rechten gegen den „Sánchismus“

Die Rechte hat mit einer großangelegten Kampagne gegen das, was sie „Sánchismus“ nennen, erreicht, dass die Linkskoalition trotz dieser Erfolge um die Wiederwahl fürchten muss. Sánchez würde Spanien zerstören und es den „Feinden des Vaterlandes“ ausliefern. Damit gemeint sind neben den Linken die Unabhängigkeitsparteien aus dem Baskenland und Katalonien, die so manche Sozialmaßnahme – entgegen der PP und VOX – mit ihren Stimmen durchs Parlament gehoben hatten.

Doch Feijóo hat ein Imageproblem. Bilder aus den 1990er Jahren zeigen ihn mit einem Baron der Drogenmafia aus seiner Heimat Galizien auf dessen Jacht. Er habe nicht gewusst, womit sein Freund, gegen den damals bereits ermittelt wurde, sein Geld verdient, erklärte er.

Und anders als vor den Kommunal- und Regionalwahlen regiert die PP mittlerweile in über 100 Dörfern und Städten sowie in fünf Regionen mit Unterstützung der rechtsextremen VOX. Es zeigt sich, was das bedeutet: In Regionen mit eigener Sprache wird Spanisch wieder zur Hauptsprache ernannt. Umweltzonen und Fahrradwege werden abgebaut. Bürgermeister verbieten die LGTB-Fahne an öffentlichen Gebäuden ebenso wie Kundgebungen gegen sexualisierte Gewalt. Theaterstücke und Filme werden abgesetzt, weil sie homosexuelle Szenen enthalten oder die Repression der Franco-Diktatur anklagen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

13 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Schönes Beispiel, nein, eher: gruselig exemplarisch zeigt Spanien gerade, wie irrig die unterkomplexe linkspopulistische Annahme ist, eine bessere Sozialpolitik sei das entscheidende Konzept gegen Rechts. Trotz Erfolgen im Bereich Wohlstand und sozialer Absicherung, schürt die spanische Rechte erfolgreich Hass und Wahn in ihren klassischen, identitären Themenfeldern: Nationalismus, Tradition, Heteronormativität, Religion, sowie Leugnung all dessen, was Veränderung bedeutet, insbesondere natürlich der Klimakrise.

  • Fast jeder dritte Spanier (27,8 %) ist an der Armutsgrenze, mehr als 12% sind arbeitslos, die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 25 %.



    "But Spain’s political landscape is also a product of economic circumstances. According to a recent poll, 71 percent of Spanish citizens consider the economic situation of the country to be “bad” or “very bad,” "

    Die Regierung war teilweise erfolgreich in der Abmilderung der letzten wirtschaftlichen Krise. Die grundlegenden Probleme wurden, weiterhin ignoriert. Stattdessen wurde Zeit und Energie für Befindlichkeiten verwendet.

    Die rechte Opposition nutzt das Unverständnis und das mangelnde Interesse für die Mobilisierung. Mehr hat sie nicht zu bieten, mehr braucht sie auch nicht.



    Die wirtschaftlichen und strukturellen Probleme Spaniens kann und will sie nicht lösen.



    www.gisreportsonli...-economy-election/

    santandertrade.com...-political-outline



    www.statista.com/s...ent-rate-in-spain/

  • Was soll man von dem Artikel halten ?



    Nach so einer langen Aufzählung von Erfolgen der Regierung sollte ihre Bestätigung ja nur eine Formsache sein. Aber angeblich steht die Opposition vor einem Sieg.

    Das läßt nur zwei Schlüsse zu:



    Entweder sind die spanischen Wähler alle blöd, oder der TAZ-Auslandskorrospondent bekommt gar nicht mit was in Spanien vor sich geht.

    • @Don Geraldo:

      Ich lebe auch in Spanien und kann die Beobachtung nur bestätigen.

      Sanchez ist persönlich unbeliebt. 2 Gründe sind die Kooperation mit separatistischen Parteien und mit ultra Linken.

      Wahlentscheidungen sind eben nicht immer rational, sondern sehr emotional.

      Bestes Beispiel: Brexit.

    • @Don Geraldo:

      Möglichkeit 3: die Rechten hetzen und lügen, wann immer sie ihre Schandmäuler aufmachen.

  • @GARUM

    Ich glaube, das versteht man nur, wenn man da "zwei Stockwerke" sieht: ganz unten sind die, denen nur noch eine diffuse Identität bleibt ("wir sind besser als die anderen, weil wir Russen/Deutsche/Spanier/Niederländer/Männer/Hindis/was-auch-immer) sind. Die ihre (berechtigten) Ressentiments darüber, dass sie von der Wirtschaftselite, von den oberen 0.1% wie Dreck behandelt werden auf "die anderen" (Braune, Wokes, LGBTQ, ...) projizieren.

    Und die, die wirklich davon profitieren (oder zu profitieren meinen, es ist schliesslich ein gefährliches Spiel!), die 0.1%.

    So zu sehen bei der Übernahme der Republikaner in den USA durch die Tea Party. So zu sehen beim Brexit. So zu sehen in Ungarn, Polen, neuerdings auch in Frankreich (haben Sie sich überlegt, wo plötzlich dieser Clown Zemmour herkommt? Das ist eine Konstruktion von Bolloré [1]).

    Bei uns kommt das Geld für die AfD auch zuweilen von der Schweiz.

    Also: die meisten Rechten spinnen -- ein paar davon wissen aber genau, was sie tun.

    [1] fr.wikipedia.org/w...ncent_Bollor%C3%A9

    • @tomás zerolo:

      Danke, war Aufschlussreich.

  • Wenn schon der wirtschaftliche Erfolg nicht reicht was wollen die Rechten denn noch?



    Geht es nur um Macht oder was ? Ich verstehe es langsam nicht mehr.



    Um es mit Obelix zu sagen: "Die spinnen, die Rechten"

    • @Garum:

      Man sollte auf der Suche nach Antworten auch berücksichtigen, dass es so was wie spezifische nationale historische Konstellationen gibt, die in Spanien natürlich andere sind als hierzulande oder sonstwo in Europa. Das ist wichtig zu erkennen neben den allgemeinen Faktoren der aktuellen Faschisierung der europäischen Gesellschaften und vielleicht sogar global.



      In Spanien ist es mit Sicherheit der Bürgerkrieg und die sich anschließenden Franco-Diktatur, die zu der starken gesellschaftlichen Polarisierung geführt hat bzw.

    • @Garum:

      Wir erleben leider hierzulande genau die gleiche Tendenz. Die CDU ist rechtspopulistisch unterwegs und die stärkste Partei in der Umfrage, gefolgt von der AfD!



      Was wollten die Rechte in Deutschland noch? Keine Gendersprache, keine Radwege (wie in Berlin) keine Windräder (wie in Bayer). Die spinnen, das stimmt.

      • @CallmeIshmael:

        "Wir erleben leider hierzulande genau die gleiche Tendenz." --> Nein. In Spanien haben die linken Parteien zu einem Wirtschaftsaufschwung beigetragen. Bei uns wirtschaften die linken Parteien das Land weiter herunter, was zugegebenermaßen mit der GroKo der letzten Jahre begann.

        Bei uns liegt also eine exakt gegenteilige Tendenz vor.

    • @Garum:

      Dann sind Sie in guter Gesellschaft, die Rechten verstehen Sie auch nicht.

      All das, was hier als Erfolg gefeiert wird, wird eben von vielen Menschen abgelehnt. Nennen wir es, Abwehr von Veränderungen...

      • @Mangahn:

        Ich nenne es Dummheit.