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Regierung setzt Schuldenbremse ausKrise 2023 jetzt amtlich

Der Finanzminister schluckt im Haushaltsstreit die erste Kröte – und setzt die Schuldenbremse für dieses Jahr aus. Was 2024 wird, bleibt unklar.

Zusammen kriselt's: Christian Lindner, Robert Habeck und Olaf Scholz am 19. Oktober Foto: Christoph Soeder/dpa

BERLIN taz | Die Ampelregierung will für das laufende Jahr die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse aussetzen. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) kündigte am Donnerstag in Berlin an, dass er kommende Woche einen entsprechenden Nachtragshaushalt für 2023 vorlegen werde.

„Sozialleistungen können nur mit parlamentarischer Mehrheit geändert werden“

Christoph Gröpl, Staatsrechtler

Die Aufhebung der Schuldenbremse hatte sich nach dem Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimafonds angedeutet. Die Karlsruher Richter hatten in der vergangenen Woche die Umwidmung von 60 Milliarden Euro an Corona-Krediten für andere Zwecke für nichtig erklärt.

Das Urteil wird wohl Auswirkungen auf andere Sondertöpfe, wie den Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), aber auch den Haushalt für 2024 haben. Die Ampelfraktionen hatten die Haushaltsberatungen deshalb in dieser Woche gestoppt.

Grünen-Haushälter Sven Christian Kindler begrüßte die Entscheidung. Nur so bekäme die Regierung nach dem Urteil aus Karlsruhe einen verfassungskonformen Haushalt hin. „Wir reden hier über 40 Mil­liar­den Euro Ausgaben aus dem WSF und aus dem Sondervermögen für die Flutopfer im Ahrtal, die nicht durch Steuererhöhung oder Einsparung zu kompensieren sind.“

In der Ampel abgesprochen

Auch in der SPD-Fraktion, die sich am Mittwochabend zu einer Sondersitzung traf, war man nach Angaben aus Teil­neh­me­r:in­nen­krei­sen zum Schluss gekommen, dass die Schuldenbremse für 2023 aufgehoben werden müsse, um ein noch größeres Finanzchaos zu vermeiden. Lindner hatte seine Entscheidung mit Bundeskanzler Olaf Scholz und Vizekanzler Robert Habeck abgesprochen.

Offen ist jedoch, wie es nun mit dem Haushalt für 2024 weitergeht. Über den Klimafonds sollten 57,6 Milliarden Euro etwa in die Förderung von Elektromobilität oder erneuerbare Energien fließen. Geld das nun fehlt.

Eine Möglichkeit, das Loch zu stopfen wäre, im nächsten Jahr erneut die Schuldenbremse krisenbedingt auszusetzen. Diese Möglichkeit deutete die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD, Katja Mast, an. „Das Bundesverfassungsgericht sagt uns, Schulden aufzunehmen ist völlig in Ordnung, aber ihr müsst es jedes Jahr begründen“, so Mast im Deutschlandfunk.

Subventionen auf dem Prüfstand

Eine andere Möglichkeit, die geplanten Programme aus dem Klimafonds zu finanzieren, sei nach Auffassung von Kindler der Abbau klimaschädlicher Subventionen. Die Liste des Bundesumweltamts summiert sich auf 65 Milliarden Euro, darunter fallen aber auch das Baukindergeld oder die soziale Wohnraumförderung.

Eine andere Möglichkeit sind Einsparungen im Sozialen, wie es Union und FDP fordern. Was aber nicht so einfach ist. „Fast alle Sozialleistungen sind parlamentsgesetzlich festgelegt und können daher nur im entsprechenden Gesetzgebungsverfahren mit parlamentarischer Mehrheit geändert werden“, sagt Christoph Gröpl, Staatsrechtsexperte an der Universität des Saarlands. Würde man also beim Bürgergeld kürzen wollen, müsste man das Gesetz, dass die Erhöhungen mehr an die Inflation bindet und das die Union seinerzeit mit verabschiedet hat, wieder ändern.

„Um Sozialleistungen anzupassen, müssen die entsprechenden Sozialgesetze geändert werden. Dies kann aber zum Beispiel vergleichsweise rasch in einem Sammelgesetz erfolgen, etwa in einem sogenannten Haushaltsbegleitgesetz“, erklärt Gröpl. Allerdings könnte dies beim Bürgergeld heikel werden, denn hier schreibt das Verfassungsgericht ein Existenzminimum vor.

Kein Rechtsanspruch auf Fördermittel

Ist das Geld für eine Sozialleistung, auf die ein Anspruch besteht, im Haushalt schlichtweg nicht da, „muss man diese Lücke an anderer Stelle bei den Einnahmen oder Ausgaben ausgleichen“, sagt Henning Tappe, Finanzrechtsexperte an der Universität Trier.

Das bedeutet, dass sich zum Beispiel der jährliche staatliche Zuschuss zur Rente von mehr als 100 Milliarden Euro theoretisch dadurch senken ließe, indem man die Beiträge zur Rentenversicherung für Versicherte und Arbeitgeber erhöht. Solche Umschichtungen sind heikel.

„Mehr Spielraum für Einsparungen gibt es bei Fördermitteln, bei Subventionen, bei geplanten Investitionen, die im Haushalt aufgeführt sind“, sagt Tappe. Auf diese Förderungen gibt es keinen Rechtsanspruch. „Dort kann man leichter sparen, allerdings nicht, wenn zum Beispiel schon Förderbescheide ausgestellt wurden“, so Tappe.

Sparschwein Investitionen

Fördermittel für Sanierungsvorhaben, Wirtschaftssubventionen, Modellprojekte, auf die kein Rechtsanspruch besteht, sind bei Haushaltszwängen wie jetzt besonders gefährdet. „Weil bei Investitionen die gesetzlichen Bindungen geringer sind als zum Beispiel bei Sozialausgaben, wird bei Investitionen tendenziell eher gekürzt, soweit das politisch akzeptiert ist“, sagt Tappe.

Und kleinere Posten, etwa für Beratungsstellen für Mi­gran­t:in­nen, Freiwilligendienste, Sprachinstitute, standen und stehen schon länger auf der Kippe.

Egal auf welchen Weg, sich die Koalition einigt, sie muss es bald tun. Sonst würde für 2024 eine vorläufige Haushaltsführung gelten. Das würde unter anderem die geplante Erhöhung der Militärhilfe für die Ukraine betreffen.

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