Rechtsstreit um Einreise-Erlaubnis: Aus der Botschaft nach Europa?
Der Menschenrechtsgerichtshof verhandelt, ob eine syrische Familie mit Visum nach Europa darf. Das Urteil könnte wegweisend werden.
Die Familie harrt noch immer in Aleppo aus, in einer Wohnung ohne Wasser und Strom. „Wir träumen davon, dass unsere Tochter und unser Sohn in Sicherheit aufwachsen können“, schrieb sie in einem Brief an das Gericht. Die Tochter ist jetzt 11 Jahre alt, der Sohn drei Jahre jünger.
Im August 2016, als das belagerte Aleppo noch von der syrischen Armee bombardiert wurde, reiste der Familienvater, ein Manager, in den Libanon. In der belgischen Botschaft in Beirut beantragte er humanitäre Visa für seine Familie. Sie hätten Freunde in Belgien, die ihnen helfen wollen. Eine Flucht mit Schleusern wollten sie ihren Kindern nicht zumuten. Doch die Botschaft lehnte ab. Asylanträge könnten nur auf belgischem Boden oder an der Grenze gestellt werden.
Vor belgischen Gerichten hatten die Syrer zunächst Erfolg. Durch drei Instanzen wurde ihnen ein Anspruch auf humanitäre Visa zugesprochen. Erst als am Brüsseler Berufungsgericht die Zuständigkeiten geändert wurden, wurde die ablehnende Haltung der Regierung bestätigt. Deshalb trugen die Familie und ihre belgischen Anwälte den Fall nach Straßburg. Dort beriefen sie sich auf die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). Diese gewähre Schutz gegen unmenschliche und erniedrigende Behandlung. Menschen in Gefahr müsse geholfen werden.
Gültig oder nicht?
Doch ist die Konvention auch in der belgischen Botschaft im Libanon anwendbar? Die belgische Verteterin Isabelle Niedlispacher wies dies scharf zurück: „Die Botschaft steht auf libanesischem Staatsgebiet, im Libanon gilt die EMRK nicht. Belgische Beamte haben im Fall der syrischen Familie auch keine Hoheitsgewalt ausgeübt. Der Antragsteller konnte in die Botschaft kommen und wieder gehen, wie er wollte.“ Die Anwälte der Familie halten die Konvention dagegen in der Botschaft durchaus für anwendbar. „Wenn belgische Beamte eine sichere Reise nach Europa verweigern, ist das Hoheitsgewalt“, sagte Anwalt Olivier Stein.
Belgien wurde vor dem Menschenrechtsgerichtshof von elf Staaten unterstützt. Auch Deutschland gehörte dazu, ergriff in der Verhandlung aber nicht das Wort. Der britische Anwalt Geoffrey Cox sagte: „Die Ablehnung eines Visumsantrags kann für die Anwendung der EMRK nicht ausreichen. Sonst könnte jeder irgendwo in der Welt in eine britische Botschaft gehen und Asyl beantragen. Das kann nicht sein.“ Seine französische Kollegin Florence Merloz warnte vor „Millionen von Antragstellern“. Zudem werde das EU-Asylrecht ausgehebelt, wenn jeder sich sein Asylland frei auswählen könnte. Nach der Dublin-III-Verordnung der EU ist in der Regel das Land des ersten Kontakts zuständig.
Familie bestreitet Bedeutung
Die Anwälte der Familie betonten, es gehe hier nur um diesen Einzelfall, nicht um Migrationspolitik. „Der Gerichtshof sollte sich nicht von der Angst vor dem Chaos leiten lassen“, sagte Anwalt Jacques Englebert. Die Annahme, es werde Millionen Asylanträge an europäischen Botschaften im Ausland geben, sei „falsch“.
2017 hatte bereits der Europäische Gerichtshof in Luxemburg über einen ähnlichen Fall zu befinden. Er überließ die Entscheidung dann aber der belgischen Justiz.
Das Straßburger Urteil wird erst in einigen Monaten verkündet. Der EGMR ist eine Einrichtung des Europarats, dem 47 Staaten inklusive Russland und Türkei angehören.
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