Rechtsextremer Wolfsgruß nach EM-Spiel: Surprise, surprise!
Die Fußball-EM produziert nicht nur werbetaugliche, sondern auch menschenfeindliche Bilder. Die Empörung darüber ist berechtigt wie wohlfeil.
Bei der Fußballeuropameisterschaft konkurrieren die besten 24 Nationalmannschaften Europas um den Titel. Nach welchen Kriterien die Teams und ihre Unterstützer:innen zusammenfinden, steckt schon im Namen: Nationalmannschaft, mit Betonung auf: Nation.
Man fühlt sich ein bisschen bescheuert, das so ausführlich zu erklären, weil jedes Kind das weiß, selbst wenn es noch nie auf einem Fußballplatz gestanden hat. Aber wenn man die überraschte Aufregung um den nationalistischen Wolfsgruß des türkischen Nationalspielers Merih Demiral betrachtet, fühlt man sich dazu genötigt.
Der Innenverteidiger zeigte den Gruß am Dienstagabend in Leipzig beim Torjubel nach seinem Treffer zum 2:1 im Achtelfinale gegen Österreich. Zuvor hatte er schon 57 Sekunden nach Anpfiff getroffen, das schnellste Tor in einem K.-o.-Spiel der EM. Selbst zeigte er sich nach dem Spiel bezüglich der Symbolik unbeeindruckt: „Wie ich gefeiert habe, hat etwas mit meiner türkischen Identität zu tun.“ Und: „Wir sind alle Türken, ich bin sehr stolz darauf, Türke zu sein, und das ist der Sinn dieser Geste.“
Lesen sollte man den Torjubel aber unbedingt auch als Bekenntnis zum Faschismus. Denn der Wolfsgruß ist das Symbol der sogenannten Grauen Wölfe, einer rechtsextremen türkischen Bewegung, auch als „Ülkücü-Bewegung“ bekannt, die auch in Deutschland zahlreiche Anhänger:innen hat und vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Die rechtsextreme Partei MHP (Partei der Nationalistischen Bewegung) repräsentiert sie politisch. In der Türkei ist die MHP Bündnispartnerin der AKP von Präsident Recep Tayyip Erdoğan.
Nationalistische Schlachtrufe und Nazi-Hits
Dass Demiral den faschistischen Gruß ausgerechnet am Jahrestag des Massakers von Sivas zeigte, dürften türkeistämmige Minderheiten als besonders schmerzhaft empfunden haben. Am 2. Juli 1993 hatte ein islamistisch-nationalistischer Mob ein Hotel in Sivas in Brand gesteckt, in dem sich Kulturschaffende und Intellektuelle aufhielten, die zu einem alevitischen Kulturfestival zusammengekommen waren. 37 Menschen wurden getötet.
Gegen den 26-jährigen Demiral, der sein Geld in Saudi-Arabien bei Al-Ahli verdient, hat die Uefa nun ein Untersuchungsverfahren wegen Verdachts auf unangemessenes Verhalten eingeleitet, teilte der europäische Fußballverband am Mittwoch mit. Falls das zu einer Strafe führt, könnte Demiral im Viertelfinale gegen die Niederlande am Samstag in Berlin fehlen. Schon zuvor hatte die Uefa den albanischen Nationalspieler Mirlind Daku für zwei Spiele gesperrt, weil der nach dem Vorrundeinspiel gegen Kroatien durch ein Megafon nationalistische Schlachtrufe angestimmt hatte.
Nationale Gefühle überkommen aber nicht nur Spieler, sondern auch Fans aus allen Ländern. Während Unterstützer:innen des türkischen Teams wie ihre Vorbilder immer wieder auf den Wolfsgruß zurückgreifen, singen die Österreicher:innen gerne: Bei einer TV-Schalte des Schweizer Fernsehens vor dem Viertelfinale in Leipzig fühlten sich österreichische Fans zumindest ein wenig ertappt, als sie begriffen, dass sie gefilmt werden. Denn sie sangen gerade die durch eine Feier auf Sylt überregional bekannt gewordene Neuinterpretation des Nazi-Hits „Deutschland den Deutschen. Ausländer raus“.
Ein Video, das in den sozialen Medien kursiert, zeigt mutmaßlich ebenso singende österreichische Fans, die noch ein bisschen kreativer waren: „Ihr seid nur ein Dönerlieferant.“ Beim Vorrundenspiel gegen Polen zeigten österreichische Fans im Berliner Olympiastadion zudem ein Transpi, auf dem der in der rechtsextremen Szene beliebte Satz „Defend Europe“ stand.
Faeser könnte mehr unternehmen, als empört zu sein
Man organisiert also einen Wettkampf der Nationen, bei dem sich Spieler und Fans – Überraschung! – nationalistisch zeigen. Und ist dann darüber überrascht. Aber es geht noch krasser. Denn andere sind sogar empört. Wie die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD).
Dabei ist Faeser, wie es der Zufall so will, zugleich Bundessportministerin und sollte eigentlich qua Amt wissen, wie eine Fußballeuropameisterschaft funktioniert und was das Wort Nationalmannschaft bedeutet. „Die Symbole türkischer Rechtsextremisten haben in unseren Stadien nichts zu suchen“, kommentierte sie den Vorfall. „Die Fußball-Europameisterschaft als Plattform für Rassismus zu nutzen, ist völlig inakzeptabel.“
Der Witz: Als Bundesinnenministerin könnte Faeser durchaus mehr gegen diesen Rechtsextremismus unternehmen, als immer wieder empört darüber zu sein, wenn er in Deutschland gerade mal wieder in den Schlagzeilen steht. Im November 2020 hatte der Bundestag die Bundesregierung und somit Faesers Bundesinnenministerium per Beschluss beauftragt, Organisationsverbote gegen Vereine der türkisch-rechtsextremen Ülkücü-Bewegung zu prüfen. Passiert ist seitdem aber nichts.
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