Rechtsextreme Gewalt in Ostdeutschland: Generation Hoyerswerda
Vor 30 Jahren begann eine Welle rassistischer Pogrome. Rohe Gewalt ist inzwischen weniger geworden – die Demütigungen im Alltag sind es nicht.
S ie stammen aus einer anderen Zeit, die unscharfen Farbfernsehbilder des September 1991 aus Hoyerswerda. Sie zeigen Szenen, in denen Neonazis und Bürger*innen über eine Woche lang vormalige DDR-Vertragsarbeiter*innen und Asylbewerber*innen jagen, ihre Behausungen versuchen in Brand zu stecken und zu terrorisieren. Vor laufender Kamera artikulieren die Akteure dieser Gewalt ungefiltert ihren rassistischen Hass, gepaart mit nationalistischem Dünkel.
Die Polizei war in Hoyerswerda über Tage nicht in der Lage, die rechte Gewalt wirkungsvoll zu beenden. Ein Handlungsmuster, welches sich in den Jahrzehnten danach vielfach wiederholt.
David Begrich ist Mitarbeiter der Arbeitsstelle Rechtsextremismus beim Magdeburger Verein Miteinander e.V. – Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt.
Die tagelange rassistische Massengewalt von Hoyerswerda 1991 ist eine der Urszenen der „Baseballschlägerjahre“, jener Zeit der 1990er und 2000er Jahre, in denen rechte Jugendliche, normale Bürger*innen und organisierte Neonazis eine nahezu grenzenlose rassistische Gewalt ausübten; über lange Zeit weitgehend ohne Gefahr strafrechtlicher Sanktionen. Mehr noch: Die sah zu, nein, sie sah weg, wenn Neonazis mit und ohne Anlass auf alle einprügelten, die sie für undeutsch ansahen.
Jene, die diese Gewalt thematisierten, sich wehrten, gerieten und geraten nicht selten selbst unter sozialen Druck oder unter Linksextremismus-Verdacht. Bis heute geben Polizisten manchmal den potenziellen Opfern rechter und rassistischer Gewalt den gut gemeinten Ratschlag, sich im Angesicht der Bedrohung durch rechts motivierte Gewalttäter unsichtbar zu machen, nicht aufzufallen oder besser ganz aus dem Ort zu verschwinden.
Die Tage rassistischer Gewalt von Hoyerswerda prägten eine ganze Generation rechtsextremer Gewalttäter – politisch und aktionistisch. Es war die Zeit, in der die späteren NSU-Terrorist*innen Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt in einer rechten Jugendbewegung sozialisiert wurden, aus der sie den Schluss zogen, zum geplanten Terror gegen Migrant*innen überzugehen.
Die Generation Hoyerswerda hat aus den 1990er Jahren gelernt, dass in der Gesellschaft der Wille, die Bereitschaft zur Konsequenz und die dauerhafte Aufmerksamkeit, die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und Rassismus zu führen, immer dann erlahmen, wenn scheinbar gerade nichts passiert – will heißen, es kein rassistischer Angriff in die überregionalen Medien schafft. Wer aber wissen will, was wirklich vor sich geht, lese die Meldungen und Chroniken der Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt.
Was in Hoyerswerda im September 1991 geschah, war kein einmaliger Vorgang. Es war eine Blaupause für die rassistische Gewalt, die von Rostock-Lichtenhagen 1992 bis Heidenau 2015 pogromartige Züge trug. Vorbei? Lange her? Sicher, Verhältnisse wie in den 1990er Jahren, in denen Neonazis ganze ostdeutsche Kleinstädte zur No-go-Area für ihre erklärten Feinde machten, sind vorbei. Das hat verschiedene Gründe: Abwanderung, der demografische Wandel, der Wegfall des jugendkulturellen Bewegungsimpulses der extremen Rechten und nicht zuletzt die mutige und kräftezehrende Arbeit von Antifaschist*innen und Zivilgesellschaft.
Baseballschlägerjahre
Das, was das Wesen der „Baseballschlägerjahre“ ausmachte – die sichtbare, schiere Omnipräsenz rechtsextremer Gewalt und Dominanz in Ostdeutschland – mag vorbei sein. Nicht vorbei aber ist die Gewalt, die Diskriminierung und die oft subtile Demütigung, die von Neonazis und rechten Wutbürgern ausgeht. In den westdeutschen Metropolen, auch in Leipzig, Jena und Potsdam, kann dem, wer will, aus dem Weg gehen. In Chemnitz, Köthen und Pasewalk ist das schwieriger.
Die Schläger von damals sind nicht verschwunden. Sie sind heute Familienväter, Unternehmer für die rechte Bewegung oder AfD-Wähler. Wer sich ein Bild vom Ausmaß der Normalisierung der extremen Rechten in Ostdeutschland machen will, sehe sich Wahlkampfveranstaltungen der AfD auf den Marktplätzen an. Das sind keine Massenevents. Aber dort stehen rechte Wutbürger, Neonazis und normale Leute, die glauben, ihre Meinungsfreiheit sei in Gefahr, einträchtig nebeneinander und lassen sich von AfD-Politiker*innen einreden, sie lebten in einer DDR 2.0.
Seit den Ereignissen von Hoyerswerda wird darüber gestritten, was die nachweislich in Ostdeutschland höheren Zahlen rechter und rassistischer Gewalt mit der ostdeutschen Geschichte der DDR und der Transformationsgesellschaft der 1990er Jahre zu tun haben. Zuletzt hatte der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Marco Wanderwitz, einen zaghaften Versuch ostdeutscher Selbstreflexion unternommen und wurde dafür prompt parteiübergreifend hart angegangen. Wanderwitz’ Äußerung war mutig, aber nicht genug. Dreißig Jahre nach Hoyerswerda haben alle Klischees von Plattenbauten, Glatzen, Springerstiefeln und Arbeitslosigkeit medial ausgedient.
Aber umso wichtiger ist es, die Perspektive zu wechseln, nicht die Täter*innen in den Mittelpunkt zu stellen, sondern die Betroffenen rassistischer Gewalt und jene, die sich seit langer Zeit und unter nicht gerade komfortablen Bedingungen in den Regionen engagieren. Sie zu unterstützen und zu begleiten, auch wenn das Thema rechte Gewalt gerade nicht auf der Agenda von Politik und Medien steht, ist eine Aufgabe der demokratischen Kultur.
Die Gefahr für emanzipatorische und antirassistische Jugend- und Soziokultur im ländlichen und kleinstädtischen Raum Ostdeutschlands geht heute nicht mehr nur von Neonazis aus, die Scheiben einschlagen oder Mobiliar zertrümmern. Die Gefahr geht auch von einer AfD aus, die ihre Verankerung in den Kommunen sucht und den Projekten vor Ort das Leben schwermachen will. Dreißig Jahre Pogrom von Hoyerswerda sind Anlass zurückzuschauen und sich die ungebrochene Kontinuität rechter Gewalt vor Augen zu führen.
Hoyerswerda 1991 mag lange zurückliegen. Rechte Gewalt und Rassismus aber sind gegenwärtig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste