Rechte Parteien in der Corona-Krise: Gewinner wie Verlierer
Rechtspopulisten in Italien und Frankreich profitieren nicht von der Corona-Krise. In Ungarn und Polen dagegen schon. Warum ist das so?
V or sechs Wochen wären solche Zahlen undenkbar gewesen: Die Groko kommt bei der Sonntagsfrage auf 52 Prozent, die Beliebtheitswerte ihres Personals liegen hoch wie nie. Die Coronakrise ist, wohl mehr als frühere Krisen, tatsächlich die Zeit der Exekutive. Und jene der Wissenschaft: Der Charité-Virologe Christian Drosten ist fast nonstop auf Sendung, auch andere ForscherInnen werden nicht nur gehört, es wird sich auch nach ihren Empfehlungen gerichtet. Über wiedergewonnenes Vertrauen können sich auch die etablierten Medien freuen: Fast 10 Millionen Menschen sahen am 17. März die „Tagesschau“, auch bei überregionalen Zeitungen steigen die Zugriffe.
Damit verlieren gleich vier Punkte rechtspopulistischer Programmatik an Zugkraft: Elitenverachtung, Wissenschaftsfeindlichkeit, Ressentiments gegen „Altparteien“ und „Mainstream-Medien“. Corona untergräbt das politische Angebot, das Parteien wie die AfD, das französische Rassemblement National oder die italienische Lega den WählerInnen machen. Wie gehen Europas Rechtspopulisten damit um, dass viele Menschen sich dem zuwenden, was sie jahrelang verteufelt haben? Wie ergeht es ihnen nun in ihrer Rolle als Fundamentalopposition? Und wie versuchen sie eine Krise für sich zu wenden, für die sich kaum Migranten verantwortlich machen lassen?
Die extrem rechte Lega in Italien etwa ist dabei in einer besonderen Position. Die Bilder von den Sterbenden in den Krankenhausfluren von Bergamo gingen um die Welt. Nur konnte die Lega die Mitte-links-Regierung in Rom nicht ohne Weiteres für diese Tragödie verantwortlich machen. Denn Gesundheitspolitik ist in Italien Sache der Regionen. Die von Corona gebeutelte Lombardei wird seit 2013 von der Lega regiert. Und die hat kräftig im Gesundheitswesen gekürzt und privatisiert. Die katastrophale Situation wird deshalb auch dem Lega-Gouverneur Attilio Fontana angelastet, dessen Rücktritt nicht nur die Anti-Salvini-Flashmobber von den „Sardinen“ verlangen.
Der vor Kurzem noch hochpopuläre Matteo Salvini vermag in dieser Krise keine Linie zu finden. „Schließen wir alles, was nicht überlebenswichtig ist“, forderte er Ende März. Dann warnte er, ebendies sei schlecht für die Wirtschaft. Als der Lockdown erste Wirkungen zeigte, verlangte er, zu Ostern wieder Messen in den Kirchen zuzulassen – was flächendeckend zurückgewiesen wurde. Der einflussreiche Bischof Gualtiero Bassetti sagte dazu, es sei „eine Zeit für Verantwortung, und wir sehen, wer dazu in der Lage ist“.
Dann ging Salvini dazu über, der EU die Schuld für Italiens Corona-Misere zu geben. Erst verlangte er, Deutschland solle die EU verlassen, weil es Italien im Stich ließ. Drei Tage später forderte er ein Referendum über einen EU-Austritt Italiens wegen des „Egoismus in Brüssel, Berlin, Frankfurt, Amsterdam“. Doch all das vermochte nicht von den Versäumnissen der Lega auf regionaler Ebene abzulenken.
Seine meist aus dem Homeoffice verbreiteten Attacken zielten vor allem auf den Ministerpräsident Giuseppe Conte. Dieser sei zu schwach, Italien in der EU zu vertreten. „Ich habe es satt, um die Erlaubnis Europas bitten zu müssen, um die Jobs und die Unternehmen der Italiener zu retten“, sagte Salvini, obwohl er bekanntermaßen seit vergangenem Sommer kein Regierungsamt mehr innehat. Er reizte die von ihm seit Jahren geschürte EU-Skepsis aus, was keine dumme Strategie war. Denn nach der äußerst dürftigen europäischen Hilfe für Italien auf dem Höhepunkt der Pandemie halten die meisten Italiener nichts mehr von der EU – was eine der schlimmsten Corona-Folgen sein könnte.
Matteo Salvini, Lega
Für Salvini zahlte sich dies aber erst einmal nicht aus. Der langsame Abwärtstrend der Lega setzte sich fort. Seit November 2019 verlor sie etwa 7 Prozentpunkte und liegt aktuell bei 26 Prozent. Nicola Zingaretti, dem Chef der Sozialdemokraten, vertrauen 32 Prozent der Italiener – damit holte er fast zu Salvini auf, dessen persönlicher Beliebtheitswert auf 33 Prozent gefallen ist. Zingaretti dürfte davon profitieren, dass er auch Gouverneur der Region Latio ist, in der die Hauptstadt Rom liegt und die in Sachen Corona-Management eine vergleichsweise gute Figur macht.
Ministerpräsident Giuseppe Conte ist derweil beliebt wie nie: 57 Prozent der ItalienerInnen vertrauen ihm. Die von ihm gut kommunizierten Beschränkungen sind einstweilen bis zum 3. Mai verlängert, ohne dass dies zu größerem Unmut in der Bevölkerung geführt hätte. Doch viel wird davon abhängen, wie Contes Koalition die als sicher geltende Rezession abzufedern vermag – und was er dafür in Brüssel herausholen kann. „Corona-Bonds wären so gesehen auch ‚Anti-Salvini-Bonds‘“, schrieb der Tagesspiegel dazu treffend.
In Frankreich versuchte das Rassemblement National Corona auch als Migrationsproblem darzustellen – nicht, weil MigrantInnen die Seuche eingeschleppt hätten, aber weil diese sie im Land verbreiten würden. „In einigen Gerichtsbarkeiten werden die Ausgangsbeschränkungen nicht respektiert, insbesondere nachts, und es werden Straftaten begangen“, schrieb Parteichefin Marine Le Pen am 19. März. Sie forderte eine totale Ausgangssperre ab 20 Uhr, „die niemandem schadet, außer den Dealern, Dieben, Räubern und anderem Abschaum, die die Situation ausnutzen!“
Mit „einigen Gerichtsbarkeiten“ spielte sie auf die Banlieues der Großstädte an, die überwiegend von Menschen mit migrantischen Wurzeln bewohnt werden. Le Pen beklagte später noch, dass es für „Migrantenunterkünfte eine bestimmte Zuteilung von Masken für einen Monat“ gegeben habe. Sie hätte sich „gewünscht, dass dies für die Altersheime der Fall gewesen wäre“ – was leicht zu durchschauende Propaganda war. Insgesamt fand auch sie keinen Ansatzpunkt, um dem Präsidenten Emmanuel Macron zu schaden.
Dessen Popularitätswerte blieben zwar weit von jenen einer Angela Merkel entfernt, stabilisierten sich aber: Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Elabe vom 2. April vertrauten 39 Prozent der Befragten darauf, dass er „wirksam“ gegen die Probleme des Landes vorgehe – das waren immerhin 10 Prozent mehr als im Vormonat.
Der Anteil jener Franzosen, die ein positives Bild von Le Pen haben, sank in der Elabe-Umfrage von Anfang April um 3 Prozentpunkte auf 23 Prozent. „Ihre Strategie der Missachtung der nationalen Einheit, ihre ständigen Angriffe auf die Regierung und ihre konspirativen Andeutungen über die Herkunft von Covid-19 stärken zwar ihre Wählerbasis, erlauben ihr aber nicht, diese zu verbreitern“, schrieb die Zeitung Libération.
Auch in den Niederlanden vermochte die oppositionelle extreme Rechte während der Krise bislang nicht, sich einen Vorteil zu verschaffen. Am 16. März war der liberale Ministerpräsident Mark Rutte dem Rat des Rijksinstituut voor Volksgezondheid (RIVM) – dem Pendant des Robert-Koch-Instituts – gefolgt. Eine Ausgangssperre sei nicht durchführbar, sagte Rutte. Stattdessen wolle er „die Verbreitung des Virus abbremsen und zugleich kontrolliert eine Gruppenimmunität aufbauen.“ Rutte war der erste Regierungschef, der sich für dieses Vorgehen entschied. Während die Nachbarstaaten dichtmachten, blieben in den Niederlanden Bars und Restaurants vorerst geöffnet – was unter anderem dazu führte, das BelgierInnen zum Trinken über die Grenze kamen.
Die beiden Anführer der extrem rechten Parteien, Geert Wilders von der Freiheitspartei (PVV) und Thierry Baudet vom Forum für Demokratie (FvD) geißelten Ruttes Kurs als unverantwortlich – und griffen damit durchaus eine Stimmung in der Bevölkerung auf. Das Parlament in Den Haag nahm einen von beiden formulierten Antrag an, der es Eltern erlauben sollte, selbst darüber zu entscheiden, ob sie ihre Kinder zur Schule schicken.
Wilders warf dem RIVM vor, die Öffentlichkeit über die Todesrate Corona-Infizierter zu täuschen und sprach von einem „Experiment“ mit Menschen. „Die Niederlande will nicht Zehntausende Tote“, twitterte er – und verlangte einen Lockdown, ebenso wie Baudet. Ihr Pech war, dass Rutte seinen Kurs etwas später korrigierte und den beiden so den Wind aus den Segeln nahm. Rutte ordnete Ende März einen „intelligenten Lockdown“ an, der zurückhaltender ausfiel als etwa in Frankreich oder Deutschland. Es gab weniger Bußgelder, private Feiern blieben erlaubt.
„Zu Hause bleiben sie der Chef,“ sagte Nijmegens Bürgermeister Hubert Bruuls, dessen Stadt eines der Corona-Epizentren in den Niederlanden ist. Doch das reichte, damit die von Wilders und Baudet nicht zu Unrecht geschürte Skepsis gegenüber der „Gruppenimmunität“ nicht mehr verfing. Ruttes Liberale Partei kletterte in der Sonntagsfrage zwischen Ende Januar und Ende März von 13 auf 22 Prozent. Baudets FvD sank im gleichen Zeitraum von 11 auf 7, Wilders’ PVV von 12 auf 10 Prozent.
Nicht die Zeit der Opposition
Auch die AfD bekommt zu spüren, dass die Coronakrise wahrlich nicht die Zeit der Opposition ist. In Umfragen liegt sie bei 9 bis 10 Prozent, so niedrig wie lange nicht. Mit ihren Themen dringt die Partei nicht durch. Und selbst die Social-Media-Reichweite der AfD ist zuletzt eingebrochen. „Die Interaktionsrate hat sich fast halbiert“, hat der Kommunikationswissenschaftler Johannes Hillje festgestellt. Mit ihren Botschaften zur Coronakrise scheine die Partei selbst die eigenen Anhänger kaum zu überzeugen.
Viel kam da zunächst auch nicht. Anfangs schien die Partei vor allem demonstrieren zu wollen, wie wenig ernst man die Gefahr nahm. Im Bundestag hielten bei der Sitzung im März Abgeordnete demonstrativ den Sicherheitsabstand nicht ein. Dann forderten Abgeordnete, die Rundfunkgebühren abzuschaffen, um die BürgerInnen zu entlasten, oder Genderprofessuren in welche für Virologie umzuwidmen. Andere Punkte, die Alice Weidel und Tino Chrupalla Ende März zur Bekämpfung der Krise vorstellten, waren da schon längst in der Diskussion, manche gar in der Umsetzung.
In der Bundestagsfraktion hat die zurückhaltende Art der Spitze sogar zu einer Rebellion geführt. Ein Teil der Abgeordneten setzte kurz vor Ostern eine Sondersitzung der Fraktion durch, zu der – allen „Stay-Home-Aufforderungen zum Trotz – fast 70 der insgesamt noch 89 AfD-Abgeordneten anreisten. Sehr unterschiedliche Einschätzungen prallten aufeinander, sechs Stunden lang wurde heftig debattiert. Klar wurde nur, wie unbestimmt der Kurs der AfD in dieser Krise ist.
Ein Teil der Abgeordneten, darunter der Baden-Württemberger Dirk Spaniel, forderte eine sofortige Aufhebung aller Beschränkungen, denn Corona sei nicht schlimmer als Grippe. Die Fraktionsspitze wollte die Aufhebung an bestimmte Bedingungen knüpfen. Schließlich einigte man sich auf einen Kompromiss, der eine schrittweise Rückkehr zu normalem Wirtschaftsleben vorsieht.
Als dann die Bundesregierung am Mittwoch die schrittweise Aufhebung der Maßnahmen in Aussicht stellte, fiel der AfD kaum Kritik daran ein. „Es entspricht den Forderungen unseres Zehn-Punkte-Plans, dass eine allmähliche Lockerung stattfinden soll“, erklärte Fraktionschef Alexander Gauland. „Wir befürworten die Öffnung von Geschäften, in denen die Abstandsregeln eingehalten werden.“ Für eine Partei, deren einziger Modus bislang die Totalopposition war, ein bemerkenswert defensives Statement.
Doch die Popularitätsflaute der Rechten kann schnell vorbei sein. Wenn die Infektionszahlen sich stabilisieren, beginnt die nächste Krise – jene der Wirtschaft. Es wird eine Zeit harter Verteilungskämpfe und niederer Reflexe – ein Zustand, mit dem die Rechten weitaus besser klarkommen dürften. Ohnehin anders liegen die Dinge, wenn es die Rechten selbst sind, die regieren. Dann streichen sie nicht nur den Krisenmanagementbonus ein, sondern nutzen den Ausnahmezustand zum Ausbau ihrer Macht, wie sich in Osteuropa zeigt.
In Ungarn ließ sich Ministerpräsident Viktor Orbán Anfang April vom ungarischen Parlament umfassende Vollmachten geben – angeblich, um besser gegen die Coronakrise vorgehen zu können. Der Rechtspopulist kann nun per Dekret regieren und den Notstand ohne Zustimmung des Parlaments beliebig verlängern.
Viel von Orbán abgeschaut hat sich immer Polens starker Mann Jarosław Kaczyński, der Vorsitzende der nationalkonservativen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS). In Warschau geht der Parlamentsbetrieb in der Coronakrise allerdings eingeschränkt weiter. Um Infektionsgefahren abzuwenden, wurde die Zahl der Anwesenden auf wenige Dutzend begrenzt, der Rest der insgesamt 460 Abgeordneten wird per Video zugeschaltet und stimmt online ab. Die PiS-Abgeordneten fielen regelmäßig dadurch auf, dass sie keinen Abstand zueinander hielten.
Die PiS warf der EU ausgiebig Versäumnisse in Sachen Corona vor – was vor allem dazu dienen dürfte, die Brüsseler Kommission zu diskreditieren. Denn mit der ist die PiS wegen ihres Feldzugs gegen die Unabhängigkeit der polnischen Justiz im Clinch. Polen musste in der Sache erst in der vergangenen Woche eine Niederlage vor dem Europäischen Gerichtshof einstecken.
Gleichzeitig will die Regierung die Lage offenbar nutzen, um das Abtreibungsrecht weiter einzuschränken. Bei einer Parlamentsdebatte am Mittwoch sagte die Abtreibungsgegnerin Kaja Godek, jeder Schwangerschaftsabbruch sei „Folter“. Ein weiterer Gesetzentwurf stellt Homosexualität mit Pädophilie gleich, Sexualkundeunterricht an Schulen soll verboten werden. 2018 hatten Massendemonstrationen eine Reform des Abtreibungsrechts verhindert. Wegen Corona aber darf derzeit nicht demonstriert werden.
Das PiS-Krisenmanagement wird mittlerweile auch kritisch beäugt. Seit Anfang März wurden in Polen nur 150.000 Tests durchgeführt – so viele wie in Deutschland in wenigen Tagen. Viele fürchten, dass dies ein Grund für die niedrigen offiziellen Coronazahlen ist. Berichte über Infektionen in Altersheimen mehren sich. Und überaus schlecht kam an, dass zwar alle öffentlichen Versammlungen verboten sind, der PiS-Vorsitzende Kaczyński aber am 10. April eine Gedenkfeier zum Jahrestag des Flugzeugabsturz von Smolensk abgehalten hatte. 2010 war dabei unter anderem sein Bruder, Polens damaliger Staatspräsident Lech Kaczyński, gestorben. PiS-Politiker gedachten nun der Toten ohne Schutzmaske und Abstand zueinander. Zu allem Überfluss ließ Kaczyński sich danach zur Kranzniederlegung auf den für die Öffentlichkeit gesperrten Katyn-Friedhof fahren.
Seit vergangenem Sommer waren die Popularitätswerte der PiS leicht gesunken. Zwischen Januar und Ende März gewann die Partei rund 5 Prozentpunkte hinzu und liegt jetzt bei über 45 Prozent. Das heißt längst nicht, dass die Wiederwahl des nur mäßig beliebten PiS-Präsidenten Andrzej Duda am 10. Mai gesichert ist. Noch unwahrscheinlicher wird seine Wiederwahl, wenn sich der Wahltermin etwa in den Herbst verschieben würde – denn dann dürfte die Wirtschaftskrise voll durchgeschlagen haben. Also will die PiS trotzdem wählen lassen – und zwar per Briefwahl.
Wegen Seuchenschutzbestimmungen darf es vorab keine Wahlkampfveranstaltungen geben. Aber das schadet nur der Opposition. Amtsinhaber Duda eilt medienwirksam von Termin zu Termin. Anfang der Woche charterte die Regierung das größte Flugzeug der Welt, eine Antonow 225, um aus China 80 Tonnen Masken für Ärzte einfliegen zu lassen. „Dank der außergewöhnlichen Initiative von Präsident Andrzej Duda, der ein Telefongespräch mit Präsident Xi Jingping führte, wurde eine Luftbrücke zwischen zwei Ländern eingerichtet“, war zu lesen. So wird Corona zur Regierungs-PR, während die Opposition im Homeoffice im künstlichen Koma liegt. Ob die Wahl tatsächlich im Mai stattfinden wird, ist aber noch unklar. Für 30 Millionen Wahlberechtigte gibt es nur 15.000 Poststationen, die Briefträger wollen streiken, aus Angst vor Infektionen. Und 70 Prozent der Polen sind gegen den Briefwahl-Termin im Mai.
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