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Rechte Ideologie auf HygienedemosLinks und rechts vereint auf Demos?

Linke Codes und Positionen zu vereinnahmen, ist eine rechte Strategie. Über die irreführende Nutzung des Begriffs „Querfront“.

Linke sucht man auf den vermeintlichen Querfront-Veranstaltungen vergebens Foto: Jens Gyarmaty

Es ist eine ungewohnte Mischung, die seit Wochen auf die Straßen geht: junge Menschen mit Rastas, die im Schneidersitz meditieren, Männer, die ihre Wut hinausschreien, Hooligans mit Lederhandschuhen in der Gesäßtasche, Esoterikerinnen mit Alubommel-Ketten oder Menschen, die einen Davidstern mit der Aufschrift „ungeimpft“ am Ärmel tragen. Kurz gesagt, – so zumindest die äußerliche Zuordnung – Linke und Rechte. Eine Querfront also?

BeobachterInnen und JournalistInnen, von antifaschistischen Blogs bis zu konservativen Zeitungen, nutzen den Begriff zur Beschreibung der Hygienedemos; sie schreiben von „Querfront-Kundgebungen“ oder „Querfront-DemonstrantInnen“. Es scheint die geeignete Vokabel, mit der sich die Diversität der Veranstaltungen, aber auch die Irrationalität einzelner TeilnehmerInnen, die sich gängiger links-rechts-Einordnungen entziehen, beschreiben lassen.

Populär wurde der Begriff in der Weimarer Republik. Er bezeichnete den antidemokratischen Versuch quer über die Lager hinweg, in einem Bündnis aus nationalistischer und sozialistischer Ideologie politische Macht zu erringen. Der Sozialwissenschaftler David Begrich betont im Gespräch mit der taz, die Bindung des Begriffes an einen Vorgang, bei dem sich „zuvor inhaltlich ausschließende Positionen aufeinander zubewegen“. Allein das Zusammentreffen von Linken und Rechten reiche nicht aus, um von Querfront zu sprechen.

Bei den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen sieht Begrich diese Bedingung nicht erfüllt: „Es fehlen jene aus einem explizit linkem Koordinatensystem, die sich auf dort vertretene rechte Positionen zubewegen.“ Deutlich häufiger finden sich Querfront-Versuche eh von der anderen Seite: als rechte Strategie Terrain zu gewinnen, indem linke Codes übernommen und Positionen vereinnahmt werden. Von der Absurdität abgesehen, dass Rechtsextreme derzeit vorgeben Grundrechte zu verteidigen, ist davon aber nichts zu sehen.

Offene Flanke nach rechts

Das gefestigte linke Milieu, gar organisierte Strukturen, sucht man auf den Veranstaltungen vergebens. Anders als es so manche Zeitung schrieb, sind „Linksextreme“ oder „Autonome“ erst recht kein Teil davon. Das kann auch nur glauben, wer der zur Delegitimierung linker Positionen genutzten These anhängt, Links- und Rechtsextreme seien sich strukturell ähnlich. Linksradikale aber suchen nicht den einen, möglichst noch jüdisch assoziierten Weltenlenker als Schuldigen für alles Übel. Allerdings auch nicht nur ausgemachte Rechtsextreme. So bedient etwa der Medienmacher Ken Jebsen eine Vielzahl solcher Theorien – und erreicht damit seit jeher ein Publikum über die Lagergrenzen hinweg. Wer die Querfront sucht, wird hier am ehesten fündig.

Als ausgemacht gilt, dass sich die Berliner InitiatorInnen um den früheren freien taz-Autor Anselm Lenz, zuvor in einem subkulturell linkem (Kultur-)Umfeld bewegt haben. Dass sie dabei mitunter eine offene Flanke nach rechts, etwa in der Frage des Antifeminismus hatten, und nicht umsonst aus linken Zusammenhängen geflogen sind, hat eine ehemalige Mitstreiterin im Freitag bemerkt. Nun bedienen sie ganz offen Schlagwörter von rechts, suggerieren eine „Diktatur“, wollen Merkel vor Gericht stellen und verweisen auf rechtsoffene Medien als Antwort auf die „gleichgeschaltete“ Presse. Schweigend schauten sie dann dabei zu, wie sich das Pegida-Publikum angezogen fühlt und selbst Holocaustleugner ihren Aufrufen folgen.

Welche Linken bleiben dann noch, die sich in ihren Positionen auf die Rechten zubewegen könnten? Wissenschaftsfeindliche ImpfgegnerInnen, zu denen jetzt auch Ex-NPD-Chef Udo Voigt zählt? Oder EsoterikerInnen, die das linke Milieu längst verlassen haben, zugunsten einer konsumierbaren Ideologie der Eigenverantwortung, die vielfache Andockpunkte nach rechtsaußen aufweist? Der Querfront-Begriff werde „inflationär gebraucht“, sagt David Begrich; auch könne er „von Rechtsextremen genutzt werden, um ihren Positionen über das ursprüngliches Milieu hinaus Reichweite zu verschaffen.“

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19 Kommentare

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  • Der Begriff "Querfront" passt schon. Auch heute.

    "Als Querfront im weiteren Sinn bezeichnet man die Zusammenarbeit oder Vermischung linker und rechter Positionen, um die Zustimmung zu anti-emanzipatorischen Positionen zu vergrößern und Lager-übergreifende Aktionsbündnisse „quer“ zu bestehenden links- und rechtsgerichteten politischen Standpunkten herzustellen. Dies versuchten Teile des deutschen Neonazismus wie auch linksgerichtete Gruppen und Parteien mit nationalistischen Tendenzen." (Wikigedöns)

    Die Reduzierung auf den historischen Begriff ist imho nur eine Abwehrhaltung, um sich nicht mit Bezügen zwischen links- und rechts auseinander setzen zu müssen.

  • Es ist vielleicht keine voll ausgeprägte Querfront, aber es geht doch klar in die Richtung. Anstatt da gegen eine "inflationäre" Ausweitung des Querfront-Begriffes zu argumentieren, sollte man lieber sagen: "Wehret den Anfängen!"

  • Die Querfront-Legende

    Zitat: „Er bezeichnete den antidemokratischen Versuch quer über die Lager hinweg, in einem Bündnis aus nationalistischer und sozialistischer Ideologie politische Macht zu erringen.“

    Es ist begrüßenswert, den politischen Erkenntniswert der modischen, inflationären Diskursfigur der „Querfront“ in Frage zu stellen. Dies gelingt um so überzeugender, je deutlicher man an die semantisch korrekte Etymologie dieses Polit-Projekts erinnert: Es entstammt den bürgerlichen Minderheitsregierungen zwischen 1930 und 1933 und wurde v.a. von Reichswehr-General Kurt v. Schleicher verfolgt, einem engen Vertrauten Hindenburgs, des Schlächters von Verdun. Als letzter Reichskanzler vor dem Showdown der Hakenkreuzler sah er die Rettung Deutschlands in einem „Querfront“-Bündnis aus Reichswehr, Gewerkschaften und dem Strasser-Flügel der rassistischen NSDAP, quasi eine „Harzburger Front Light“. Die Idee erstarb mit der Demission Schleichers am 28. Januar 1933.

    „Querfront“ war also ein zutiefst konservatives Konzept, das dann in der Zustimmung der „bürgerlichen Mitte“ einschl des katholischen Zentrums zu Hitlers Ermächtigungsgesetz am 24. März 1933 praktisch seine parlamentarische Ausformung erfuhr. Die beiden linken Parteien SPD und noch weniger KPD kamen in diesem Spiel nicht vor, wohl aber die Gewerkschaften, die die rechte Querfront schon damals vor ihren reaktionären Karren spannen wollte, was den Hakenkreuzlern erst am 2. Mai 1933 gelingen sollte. (Vgl. Kurt Sontheimer: Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik., Axel Schildt: Militärische Ratio und Integration der Gewerkschaften. Zur Querfrontkonzeption der Reichswehrführung am Ende der Weimarer Republik.)



    So viel zu der historischen Realität von „Querfronten“.

    Übrigens: Die obige Definition vom „Bündnis aus nationalistischer und sozialistischer Ideologie“ zum Zwecke der Machterringung würde auch für das Bündnis aus Gaullisten und Kommunisten im CNR im Kampf gegen die Okkupation gelten.

    • @Reinhardt Gutsche:

      Semantik. Dass historisch gesehen eben gerade in Deutschland immer wieder Verflechtungen oder wenigstens gewollte Parallelen zwischen KPD und NSDAP bestanden, zeigt ziemlich gut auf:

      jungle.world/artik...014/21/heil-moskau

      • @Suryo:

        Interessanter Artikel!

  • Viele Worte, wenn doch "No true Scotsman..." gereicht hätte.

  • 8G
    80576 (Profil gelöscht)

    Die alte Leier: Links gut. Was nicht gut, somit nicht links. Punkt. Ende der Diskussion.

  • Wie viele Linke bleiben dann noch?



    Keine!



    Denn der Autor hat sie alle rausargumentiert.



    Linke sind dann entweder gar nicht auf den Demos oder auf einer Gegendemo.



    Dann wäre die Welt ja wieder in Ordnung: Die Demos sind illegetim, und Punkt.



    Oh arme Linke, jetzt da man sie brauchen könnte ist ihr wichtigstes Ziel, den Rosa-Luxemburg-Platz zu verteidigen. Oder anders ausgedrückt, sie macht sich selbst irrelevant. Es ist zum Heulen.

    • @Peter Walerowski:

      super Kommentar - danke!



      Ja, es ist zum Heulen.

  • Ziemlich beste Freunde: Jebsen/Dehm jungle.world/artik...peinlichkeitsfalle

  • Das ist das etwas billige Argument mit dem Schotten, der sich keinen Zucker auf den Haferbrei streut.



    Zu sagen, dass alle anscheinend Linke, die sich nicht so verhalten, wie der Autor sich das vorstellt, in Wirklichkeit keine Linken sind, weil Linke so etwas nicht tun, ist sehr unterkomplex..



    de.m.wikipedia.org...ein_wahrer_Schotte

    • @flipmar:

      Warum? Der Übergang kann *im Randbereich* fließend sein. Bei den Nationalsozialisten gab es starke sozialistische Elemente. Dazu halt Rassismus, Nationalismus etc.. Wir halten fest: es handelt sich um Menschen. Da ist jede Version und Auslegung möglich. Hier bei den Demos haben sie eins gemeinsam: was es ist schreibe ich nicht da es (a) vlt. zu pauschal, (b) meine Meinung und (c) eine Beleidigung ist.

    • 8G
      80576 (Profil gelöscht)
      @flipmar:

      Aus "Wenn A, dann B" folgt, "wenn nicht B, dann nicht A". Ein korrekter logischer Schluss. Diskutabel ist allerdings im konkreten Fall die Prämisse, "Wenn links, dann gut". Der Text verteidigt allerdings einmal mehr den logischen Schluss, den man nicht verteidigen muss, weil er unangreibar richtig ist. Die Prämisse diskutiert er nicht.

  • Danke!

  • Es ist schon verblüffend, wie selbstgerecht und wenig reflektiert (manche / viele) Linke über die eigene Szene urteilen. So haben Rechte nicht nur vieles von linker Protestkultur übernommen, manches an rechter Verschwörungstheorie ähnelt auch verblüffend alten, linken Allgemeinplätzen, wie »Kampf dem Schweinsystem« etc. - Verschwörungstheorie war schon immer, auch eine linke Domäne (bis hinein ins Antisemitische). Viele gesellschaftlich etablierte, bekennende Linke stellen das kapitalistische System heute nur noch symbolisch in Frage und freuen sich, dass es mittlerweile genug rechtsradikale Idioten gibt, die es stattdessen zu bekämpfen gilt. Der sogenannte Mainstream ist so weit nach links gerückt, dass fundamentale Kritik oft eher von rechts kommt, bzw. zu kommen scheint! So staunte ich zu Beginn der Corona-Krise, dass die größten Lockdown-Fanatiker linksaussen saßen. Jede Infragestellung staatlicher Zwangsmaßnahmen wurde von dort, als unverantwortliche Verharmlosung angeprangert; Und absurder Weise, Demonstrationen für mehr demokratische Kontrolle, ungeprüft als rechtsradikal eingestuft. Das macht es echten Faschos und Verschwörungsidioten leicht, neues Terrain zu erobern.

    • @jan ü.:

      Nun ist es nun mal so, dass wir in Deutschland recht milde Maßnahmen hatten, die überdies faktisch doch gar nicht mehr durchgesetzt werden. Oder wo sind trotz massenhafter Verstöße die massenhaften Verhaftungen? Und selbstverständlich gab es demokratische Kontrolle jederzeit.



      Jammerdemos gibt es trotzdem nur in Deutschland. In Spanien existieren sie nicht. Dabei gab es da einen RICHTIGEN Lockdown. Aber in Madrid kennt eben auch jeder jemanden, der an Ovid gestorben ist. Uns Deutschen geht es zu gut, egal, ob rechts oder links.

      • @Suryo:

        An "Ovid" sterben hätte wenigstens Stil. Aber zum Thema: Doch, natürlich gibt es in Spanien Demos, wie in den meisten Ländern mit Lockdown. Und es sind viele dabei, denen es keineswegs zu gut geht, sondern denen wegen des Lockdowns gerade ihre wirtschaftliche Existenz unter den Füßen weggezogen wird.

  • 9G
    90564 (Profil gelöscht)

    gut, wenn man also bei protagonist!nnen wie andrej hunko nicht von "querfront" sprechen soll, wie nennt man das dann? "nazikommunisten"?

    • @90564 (Profil gelöscht):

      Nazis ausschreiben, dann beantwortet sich die Frage.