Rechte Gewalt: Poesie des Antifaschismus
Die jüngsten Gewaltexzesse von Rechtsextremen wecken Erinnerungen an die brutalen Baseballschägerjahre. Doch Geschichte muss sich nicht wiederholen.

J eden Tag nähert sich die Gegenwart ein bisschen mehr an die 1990er Jahre an. Und das nicht nur, weil junge Menschen wieder bauchfreie Tops, Choker und Baggy Jeans tragen und Eurodance hören. Auch politisch erinnern die Nachrichten aus Brandenburg dieser Tage schwer an die brutalen Baseballschlägerjahre, als in der Nachwendezeit rechte Banden in Ostdeutschland Linke und Menschen mit Migrationshintergrund jagten:
Eine Gruppe junger Männer greift am vergangenen Wochenende eine Flüchtlingsunterkunft in Stahnsdorf an und verletzt einen Wachmann, der sich ihnen in den Weg stellt. Anfang März überfallen 35 Neonazis einen linken Jugendclub in Senftenberg. Ende Februar wird ein Schwarzer in Cottbus von zwei vermummten Männern rassistisch beleidigt, verfolgt und tätlich angegriffen. Mitte Februar wird ein junger Mann festgenommen, der einen Anschlag auf eine Geflüchtetenunterkunft in Senftenberg geplant hat, bei ihm werden Kugelbomben gefunden. An anderen Orten in Brandenburg werden meterhohe Hakenkreuze gesprüht, die Angst und Schrecken verbreiten.
Auch im vermeintlich so weltoffenen Berlin häufen sich die Meldungen über rassistische und rechte Übergriffe. Erst am vergangenen Wochenende wird in Lichtenberg ein 16-jähriger Antifaschist von 15 Neonazis durch die Straßen gejagt. Bereits zuvor waren Steckbriefe von ihm aufgetaucht.
Das sind nur einige der Horrormeldungen aus den vergangenen vier Wochen. Begleitet werden sie von einer rassistischen Debatte, die ebenfalls stark an die frühen 90er Jahre erinnert: CDU und SPD hetzen gegen Geflüchtete, machen Migrant*innen zum Sündenbock für alle sozialen Probleme und legen die Axt an das Asylrecht – beziehungsweise an das, was davon noch übrig geblieben ist. Mit freundlicher Unterstützung der rechtsextremen AfD, die angesichts des zunehmenden Rechtsrucks mehr und mehr an Zustimmung gewinnt.
Neue alte Zeit
Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich, lautet ein bekanntes Sprichwort. In diesen Tagen gleicht die Geschichte einem Kindervers: Wirtschaftliche Probleme und damit verbundene Abstiegsängste führen in der Nachwendezeit zu gesellschaftlichen Spannungen, die sich durch den hohen Zuzug von Schutzsuchenden und die in Ost und West gleichermaßen gescheiterte Integrationspolitik noch verschärfen.
Statt Lösungen zu suchen, lenkt die Politik von ihrem sozialpolitischen Versagen und der massiven gesellschaftlichen Umverteilung von Ost nach West und von Unten nach Oben mittels rassistischer Narrative ab. Die Folge: Ein massiver Rechtsruck in der Gesellschaft.
Wo das in den 90ern endete, ist bekannt: Eine breite Welle rechter Gewalt, die schließlich in die Pogrome in Rostock, Hoyerswerda und Mölln mündete. Statt gegen Rechtsextremismus und Rassismus klare Kante zu zeigen, Solidarität mit von rechter Gewalt Betroffenen zu demonstrieren und aktiv für eine offene, menschenfreundliche Gesellschaft einzutreten, befeuerte die Bundesregierung Hass und Hetze noch: Ungeachtet der Massendemonstrationen gegen den Rechtsruck schafften SPD, CDU und FDP das deutsche Asylrecht 1993 de facto ab.
Nur drei Tage später, am 29. Mai 1993, starben fünf Menschen türkischer Abstammung bei einem rechtsradikalen Brandanschlag in Solingen.
Das Ende der Ohnmacht
Die Geschichte erscheint als Plagiat ihrer selbst. Wieder wird von rechts gehetzt, gejagt und gemordet. Wieder trifft es Migrant*innen in Solingen. Menschen mit Migrationsgeschichte und Linke sind vielerorts nicht mehr sicher, der Staat hält sich das rechte Auge zu. Weil Appelle an die Menschlichkeit nichts bringen, wird die kapitalistische Verwertungslogik angeführt und Rassismus als Standortnachteil kritisiert. Die pure Verzweiflung hat sich breit gemacht.
Dabei gibt es noch mehr Lehren, die aus den 90er Jahren gezogen werden können: Antifaschismus lohnt sich. Letztlich war es eine solidarische Zivilgesellschaft, die sich entschlossen gegen Rechts gestellt hat, die, flankiert von einem Erstarken der Antifa zu einer großen Bewegung, zu einem Ende der Baseballschlägerjahre geführt hat. Rechtsextremismus war damit zwar nicht verschwunden, aber auch keine Massenbewegung auf Straßen und Schulhöfen mehr.
Noch ist es nicht zu spät, um zu verhindern, dass der nächste Reim der Geschichte im Volksmund des Nationalsozialismus daherkommt.
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