Razzien bei Letzte Generation: Überbordender autoritärer Eifer

AfD und Union schreien „Klima-Terror“ – und der Staat schlägt zu, statt das Gespräch zu suchen: ein Armutszeugnis für den angeblichen „Klimakanzler“.

Zwei Polizisten tragen einen Karton mit beschlagnahmten Gegenständen

Die Vereinten Nationen haben die harten Maßnahmen gegen Klimaaktivisten in Deutschland kritisiert Foto: Christoph Soeder/dpa

Die ganze Republik diskutiert darüber, wie die Aktionen der Klimaschutzgruppe Letzte Generation juristisch einzustufen sind, und was macht die Justizministerkonferenz (Jumiko)? „Das war auf der Jumiko kein Thema“, behauptete Berlins neue Justizsenatorin Felor Badenberg (parteilos, für die CDU) am Freitag bei der Abschlusspressekonferenz in Berlin. Das Land führt derzeit den Vorsitz bei der Konferenz, die vom 25. bis zum 26. Mai stattgefunden hat.

Ungläubiges Nachfragen der Journalistinnen und Journalisten. Nein, auch unter dem Tagesordnungspunkt Verschiedenes nicht, versicherte Hamburgs Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne), die zusammen mit Badenberg und dem bayrischen Justizminister Georg Eisenreich (CSU) die Pressekonferenz bestritt. Und zu einem Thema, das nicht Thema auf der Jumiko war, „werden wir nicht Stellung beziehen“, so Badenberg.

Kein Thema? Das glaube, wer will. Am Mittwoch hatte die bayerische Generalstaatsanwaltschaft 15 Wohnungen von Klima-Aktivist*innen der Letzten Generation in insgesamt sieben Bundesländern durchsucht, 1,4 Millionen Euro Spendengelder beschlagnahmt sowie die Website der Gruppe gesperrt. Der Vorwurf: Verdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung.

Von den ARD-Tagesthemen dazu am Mittwochabend befragt, war Berlins Justizsenatorin nicht so zurückhaltend gewesen. Nach viel Gestammel, teils abgelesenen und widersprüchlichen Aussagen klang Badenberg am Ende fast so, als lege sie den Klima-Aktivist*innen nahe, halt in den Untergrund zu gehen, wenn ihnen das mit den Razzien nicht passt. Badenberg wörtlich: „Ob jetzt die Letzte Generation in den Untergrund zu gehen hat oder Sonstiges, das ist eine Entscheidung, die die Letzte Generation für sich treffen muss.“

Als Türöffner für die harten Maßnahmen diente der auch für politische Repression berüchtigte Paragraf 129 der „kriminellen Vereinigung“.

Carla Hinrichs, eine bekannte Sprecherin der Gruppe, beschrieb, dass sie noch im Bett lag, als die Polizei die Tür aufbrach und in ihr Zimmer mit vorgehaltener Waffe stürmte. Der Berliner GdP-Sprecher Benjamin Jendro kommentierte süffisant: „Klopf Klopf“.

Als Türöffner diente der auch für politische Repression berüchtigte Paragraf 129 der „kriminellen Vereinigung“. Dabei tritt die Gruppe friedlich und transparent auf, sie macht lediglich symbolische Aktionen und übt hauptsächlich zivilen Ungehorsam durch Sitzblockaden auf Straßen aus. Für die Anwendung des Paragrafen 129 braucht es eigentlich eine Gefahr der öffentlichen Sicherheit. Inwiefern die aber von Sitzblockaden oder Festkleben an Bilderrahmen ausgeht, bleibt das Geheimnis der Sicherheitsbehörden.

Und dass die Berliner Staatsanwaltschaft die Letzte Generation auch angesichts anderweitiger symbolischen Aktionen und dem zivilen Ungehorsam auf den Straßen grundsätzlich anders einstuft, interessiert in Bayern offenbar niemand. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Denn wenn AfD, Bild-Zeitung und CSU nur lange genug „Klima-Terroristen“ und „Klima-RAF“ schreien, schlägt der Staat irgendwann zu.

Vorverurteilung inklusive

Behördliche Vorverurteilung und Verstöße gegen das staatliche Neutralitätsgebot gab es gratis dazu: Die Bayerische Generalstaatsanwaltschaft schrieb auf die gesperrte Website unter einem Logo des bayerischen LKA und der Generalstaatsanwaltschaft München vorsorglich: „Die Letzte Generation stellt eine kriminelle Vereinigung gemäß § 129 StGB dar! (Achtung: Spenden an die Letzte Generation stellen mithin ein strafbares Unterstützen der kriminellen Vereinigung dar!)“.

Dabei ist die Frage, ob es sich bei der Letzten Generation um eine kriminelle Vereinigung handelt, gerichtlich nicht ansatzweise geklärt. Die völlig enthemmten bayerischen Behörden mussten ihre unseriösen Behauptung mehrfach zurücknehmen und die Sätze löschen. Es bestehe lediglich der „Anfangsverdacht, dass es sich um eine kriminelle Vereinigung handeln könnte“.

Doch der überbordende autoritäre Eifer der bayerischen Behörden hat bis zur gerichtlichen Prüfung in der Zwischenzeit für Kriminalisierung zivilen Ungehorsams und friedlichen Protests gesorgt. Er stigmatisiert damit gleich Un­ter­stüt­ze­r*in­nen und Spen­de­r*in­nen der Gruppe mit.

Anstatt mit jungen und desillusionierten Ak­ti­vis­t*in­nen ins Gespräch zu kommen, die verzweifelt, aber grundsätzlich friedlich zivilen Ungehorsam ausüben, um für die Einhaltung der Pariser Klimaziele zu protestieren, schicken Po­li­ti­ke­r*in­nen die Polizei vor. Nochmal: Ihre Ziele sind internationaler Konsens, auf den sich auch die Bundesrepublik verpflichtet und deren Einhaltung das Bundesverfassungsgericht angemahnt hat.

Der deutsche Staat beantwortet also legitime Kritik mit Repression. Ins Bild passt, dass Bundeskanzler Scholz die Aktionen der Letzten Generation als „völlig bekloppt“ bezeichnete. Gleichzeitig blamiert er sich in seiner angeblichen „Fortschrittskoalition“, weil er nicht einmal Gesetze zur Wärmewende gegen die Blockade der FDP durchsetzen kann.

Vereinte Nationen kritisieren Bundesrepublik

Noch peinlicher: Die Vereinten Nationen verurteilen das harte deutsche Vorgehen gegen Klima-Aktivist*innen. UN-Generalsekretär António Guterres ließ mitteilen, dass die weltweiten Klimaziele ohne Umweltproteste schon außer Reichweite wären: „Klimaaktivisten – angeführt von der moralischen Stimme junger Menschen – haben ihre Ziele auch in den dunkelsten Tagen weiter verfolgt. Sie müssen geschützt werden und wir brauchen sie jetzt mehr denn je.“ Protestierende hätten in „entscheidenden Momenten maßgeblich dazu beigetragen, Regierungen und Wirtschaftsführer dazu zu bewegen, viel mehr zu tun“, heißt es aus New York.

Immerhin: Auch die gesellschaftliche Solidarität reißt nicht ab. Die Ak­ti­vis­t*in­nen hatten nur einen Tag nach den Razzien bereits wieder 200.000 Euro Spenden gesammelt. Und ihre verzweifelte Entschlossenheit, für die Unterbrechung des fossilen Alltags auch Verurteilungen in Kauf zu nehmen, legt schonungslos offen, wie repressiv der Staat vorgeht, um die Klimakrise weiter verdrängen zu können.

Diese autoritäre Selbstoffenbarung zeigt die Hilflosigkeit der Regierung angesichts des friedlichen Protests für vernünftige Forderungen wie Tempolimit und 9-Euro-Ticket. Auch deswegen solidarisieren sich mittlerweile auch reihenweise Kri­ti­ke­r*in­nen ihrer Protestformen mit der Letzten Generation.

Und was tun die 16 Justizministerinnen und -minister? Schweigen. Souveräne Politik sieht anders aus.

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Inland und taz Berlin. Themenschwerpunkte: soziale Bewegungen, AfD, extreme Rechte

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