Radsport der Frauen: Am Ende wartet L’Alpe-d’Huez
Die Tour de France Femmes hat begonnen. Erstmals außerhalb Frankreichs, in Rotterdam, starteten die besten Radsportlerinnen ihre große Rundfahrt.
Am Anfang waren die Tränen. Demi Vollering, gelernte Floristin aus der Provinz Zuid-Holland, war gerührt, wie viele Menschen zum Tour-Auftakt an den Straßenrand gekommen waren.
„Das ist unglaublich, wie viele Leute hier sind“, sagte sie bei der Vorstellung vor dem Start der 1. Etappe in Rotterdam. „Ich bin als kleines Mädchen auf dem Bauernhof aufgewachsen und jetzt fahren wir genau durch diese Gegend.“ Dabei konnte sie die Tränen nicht zurückhalten. „Dort gibt es viele Gewächshäuser und ich bin sehr stolz, die Menschen zu repräsentieren, die dort immer sehr hart arbeiten.“
Und ja, man nahm es ihr ab. Denn auch ihre Eltern verdienen mit dem Aufziehen von Blumen in Gewächshäusern ihren Lebensunterhalt und Vollering selbst arbeitete als Floristin, bevor sie Radprofi wurde.
Als solche ist sie sehr erfolgreich. Sie gewann im letzten Jahr die Tour de France Femmes, räumte in diesem Jahr bei Etappenrennen ab. Sie gewann die Spanienrundfahrt der Frauen, die Baskenland-, die Burgosrundfahrt sowie die Tour de Suisse. Nach dem Karriereende der überragenden Annemiek van Vleuten ist sie das Gesicht des Frauenradsports. Und sie hat nicht vergessen, wo sie herkommt, eben aus der Gewächshäuserinfrastruktur von Zuid-Holland.
Dass so viele Menschen den Tour-Auftakt erleben wollten, zeigt, wie sehr die Niederlande das Herzland des gegenwärtigen Frauenradsports sind. Seit der Neuauflage der Frankreichrundfahrt gewannen nur Niederländerinnen. Bei der Spanienrundfahrt schaut es ähnlich aus. Beim Giro d’Italia Donne, dem klassischen Mehretappenrennen der Frauen, muss man bis ins Jahr 2016 zurückblättern, um eine Siegerin zu finden, die nicht aus den Niederlanden stammt. Gut, in diesem Jahr durchbrach die Italienerin Elisa Longo Borghini die Oranje-Serie. An der Dominanz ändert sich aber wenig.
Auftakt mit Charlotte Kools Sprintsieg
Das zeigte auch die Auftaktetappe am Montag. Lorena Wiebes, Top-Favoritin auf den Sprintsieg in Den Haag, verlor nach einer Kollision zwar ihr Schaltwerk und konnte nicht in das Hochgeschwindigkeitsfinale eingreifen. Statt ihrer gewann aber Landsfrau Charlotte Kool. Die hielt sich vor lauter Glück beim Überqueren des Zielstrichs die Hand vor dem Mund. „Das ist der beste Tag meines Lebens“, jubelte sie im Siegerinterview.
Etappensieg und Gelbes Trikot beim Tour-de-France-Ausflug in die Heimat ist das größte Saisonziel für die Niederländerinnen, größer sogar noch als ein Olympiasieg in Paris. Das Straßenrennen dort hatten sie mit „nur“ Silber für Routinierin Marianne Vos ohnehin verpatzt. Daher bietet die Tour nun beste Gelegenheit zur Rehabilitation vor den eigenen Fans, die Gold erwartet hatten.
Dass diese ihre Stars nicht mit Missachtung, sondern extremer Zuneigung bedenken, liegt allerdings nicht nur an der tiefen Verankerung von Radfahren und Radsport in der Alltagskultur. Die Veranstalter vom Grand Départ taten auch das Ihre, um die Begeisterung weiter anzufachen.
Radsport und Alltagskultur
Sie riefen das Programm „Rotterdam Peloton“ ins Leben, ein mehrmonatiges Trainingsprogramm für ambitionierte Amateurfahrerinnen. Die Kampagne „Pass on Your Bike“ will den 22 Prozent der Rotterdamer Einwohner*innen, die kein eigenes Rad haben, eines geben. Immerhin 600 gespendete Fahrräder kamen bereits zusammen.
Im Projekt „Radfahren in der Schule“ wurden 8.500 Kinder zwischen 10 und 14 Jahren über das tägliche Fahren mit dem Rad und das Verhalten im Straßenverkehr aufgeklärt. Die Basis für neue Champions, Nachfolgerinnen von Vollering und Vos, Kool und Wiebes, ist damit gelegt.
Von Demi Vollering gibt es übrigens ein schönes Kinderbild, das sie auf einem pink-grünen Kinderrad zeigt. Ihre kleine Schwester Bodine sitzt da noch auf dem Gepäckträger, und auf einem eigenen kleinen Rad folgt die mittlere Schwester Nena. Beide versuchten sich ebenfalls als Rennfahrerinnen.
Bodine nahm in diesem Jahr sogar an der Thüringenrundfahrt teil, dem wichtigsten Etappenrennen für Frauen in Deutschland. Schwester Demi hat indessen die Titelverteidigung bei der Tour im Blick. Am Sonntag, in den mythischen Kehren von L’Alpe-d’Huez, will sie diesen Erfolg perfekt machen. War der Auftakt in den flachen Niederlanden den Sprinterinnen gewidmet, so wird die Gesamtsiegerin nach acht Etappen in den Alpen gekrönt.
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