Tour de France der Frauen: Reißzwecke als Notnagel

Wachablösung im Frauenradsport: Demi Vollering gewinnt die Tour de France Femmes. Damit distanziert sie die 40-jährige Annemiek van Vleuten.

Ausgelaugt auf Asphalt: Demi Vollering im Siegerinnentrikot der Tour.

Ausgelaugt auf Asphalt: Demi Vollering im Siegerinnentrikot der Tour Foto: dpa

Eine gegen SD Worx, das war über die letzten Jahre die Grundkonstellation im Frauenradsport. Annemiek van Vleuten, Kapitänin des spanischen Rennstalls Movistar, fuhr bei den großen Rundfahrten stets der Phalanx des niederländischen Rennstalls SD Worx davon. Früher entwischte van Vleuten auch noch bei Klassikern.

In diesem Jahr war damit aber Schluss. SD Worx gewann von Omloop Het Nieuwsblad (mit der Belgierin Lotte Kopecky) über Gent–Wevelgem (mit der Schweizerin Marlen Reusser) und der Flandernrundfahrt (erneut Kopecky) bis hin zu Amstel Gold Race, Fleche Wallonne und Lüttich–Bastogne–Lüttich (allesamt Vollering) so ziemlich alles, was der Kalender hergab.

Kein Wunder auch, dass die drei Pedalaktivistinnen des Frühjahrs, eben Reusser, Kopecky und Vollering, am letzten Tag der Tour de France Femmes Schlange standen, um auf das Siegerpodium zu gelangen. Reusser gewann erwartungsgemäß das Zeitfahren zum Abschluss. Zweite wurde Vollering, Dritte Kopecky. Ähnlich sah es in der Gesamtwertung aus: Vollering gewann vor Kopecky.

Und wenn Reusser über die achttägige Tour de France nicht so viel Helferinnendienste geleistet hätte, dann wäre sie wohl auch noch aufs Podium gekommen. „Ich bin auch ganz gut fürs Klassement“, meinte die Gewinnerin der Tour de Suisse und der Baskenlandrundfahrt selbstbewusst zur taz. Weil sie sich aber aufopferte für die Chefinnen, fand sie sich auf Platz 28 mit exakt einer halben Stunde Rückstand auf Vollering wieder.

„Das ist verrückt“

Vollering wiederum konnte einen dicken Haken hinter ihren Saisonplan machen. Für sie war es wichtig, van Vleuten bei einer großen Rundfahrt noch selbst geschlagen zu haben, allein deshalb, damit es später nicht heißt, Siege seien deshalb zustande gekommen, weil die mittlerweile 40-jährige van Vleuten sich in den Ruhestand verabschiedet hätte. „Ja, das ist natürlich sehr schön. Annemiek war meine wichtigste Rivalin. Aber ich wollte immer die Beste sein und auf der obersten Podeststufe stehen. Genau das habe ich getan, das war mein Saisonziel, und jetzt bin ich sehr glücklich“, sagte die Siegerin.

Dass sie auf dem Siegerpodest neben sich noch Teamgefährtin Kopecky hatte, verblüffte selbst sie ein wenig. „Das ist schon verrückt“, sagte sie, während sich in der Mixed Zone in ihrem Rücken Kopecky – angetan übrigens im Trikot der Punktbesten – fröhlich winkend vorbeischlich. „Aber es zeigt einfach, wie stark unser Team ist, dass wir uns gegenseitig immer noch stärker machen. Wir haben Respekt voreinander und motivieren uns“, sagte sie und vergaß nicht, darauf hinzuweisen, dass mit Lorena Wiebes auch noch die derzeit schnellste Sprinterin der Welt – ebenfalls Etappensiegerin bei der Tour – zum Rennstall gehört und immer dann, wenn kein Massensprint ansteht, als Helferin im Wind agiert.

Für die Konkurrenz lässt das nicht viel Raum. Selbst van Vleuten, achtfache Grand-Tour-Siegerin, viermalige Weltmeisterin sowie Olympiasiegerin, war in diesem Sommer machtlos dagegen. Am Col d’Aspin, dem vorletzten Berg dieser Tour de France, konnte sie mit Hilfe ihrer Teamkolleginnen zwar noch die Phalanx von SD Worx kurzzeitig sprengen. Im Dreierduell zwischen ihr, Vollering und der Polin Kasia Niewiadoma verweigerte Vollering aber jegliche Kooperation. Sie wartete, dass ihre Teamkolleginnen Reusser und Kopecky aufschlossen, sparte schlau Kräfte und setzte dann den entscheidenden Schlag am Tourmalet.

Bei den Geschlagenen löste dies düstere Zukunftsgedanken aus. Kasia Niewiadoma, immerhin Gesamtdritte und Bergkönigin der Rundfahrt, meinte auf die Frage, wie es ihr in Zukunft gelingen könne, ein oder gar zwei Stufen auf dem Podium nach oben zu steigen: „Vielleicht einen Fan bitten, Reißnägel vor die Räder von SD Worx auf die Straße zu streuen.“ Es war, ganz klar, ein Scherz. Aber er deutet das Ausmaß der Verzweiflung an, das diese Übermacht auslöst. Andere Mittel, SD Worx zu schlagen, gibt es aber auch. Taktik des Rennstalls ist es, die eigenen Kräfte nie zu früh einzusetzen.

Entschlossene Ausreißerinnen kamen daher auch bei dieser Tour durch. Denn in die Nachführarbeit schalten sich die Vertreterinnen des dominierenden Frauenrennstalls gewöhnlich erst sehr spät ein. Das ist ein krasser Unterschied zur Verfahrensweise vom Männerpendant Jumbo–Visma. Weil die Frauen damit noch erfolgreicher sind als die Männer, sollten die vielleicht auch mal Taktiken bei der Tour de France Femmes studieren, anstatt sich auf Nach-Tour-Partys zu vergnügen.

Die Tour de France Femmes bot trotz aller Übermacht von SD Worx sehr spannenden Sport und hielt auch noch Erkenntnisgewinne bereit.

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