RKI, GDL und NATO: Frusten durch frosten
RKI-Protokolle gegen Misstrauen, Gesetzentwürfe gegen radikale Parteien und identitäre Imker gegen asiatische Hornissen. Dazu 2-0 gegen Bayern.
t az: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?
Friedrich Küppersbusch: Erdoğans Laune.
Und was wird besser in dieser?
Sozis können Wahlen gewinnen. In der Türkei. Schickt uns welche.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat mehr Transparenz bei den öffentlich gewordenen Protokollen des Robert-Koch-Instituts (RKI) aus der Coronapandemie angekündigt. Wie gespannt sind Sie darauf?
„Wir werden einander viel verzeihen müssen“ buchtitelte der dunnemals verantwortliche Gesundheitsminister Spahn, der in der anschwellenden Debatte bisher eher einen schalldichten Mundschutz trägt. Jedenfalls ist es beim Verzeihen enorm hilfreich, wenn das zu Verzeihende nicht geheim gehalten und geschwärzt wird. In Spahns Sinn kann man sich Debatten über die vermeintlich trübe Quelle sparen, aus der die RKI-Protokolle veröffentlicht wurden: Es wäre Sache der Politik gewesen, längst mehr Material öffentlich zu machen. Zum einen, um die Debatten um Mundschutz, Quarantäne, Lockdown, Impfpflicht nachvollziehen zu können. Zum Zweiten, um aus der Entscheidungsfindung für die Zukunft zu lernen. Damals schimpften vor allem FDP und Grüne im Bundestag, dass Kanzlerin Merkel „heute im Parlament debattiert – und die Entscheidungen gestern mit den Ministerpräsidenten bereits getroffen hat“. Bis heute fehlen belastbare Studien, dass Geimpfte weniger ansteckend seien als Ungeimpfte – und doch handelte die Politik danach. Das Geständnis, Fehler gemacht zu haben, und die Debatte dazu im Parlament – holt keinen Coronatoten zurück ins Leben, doch vielleicht Menschen zurück in den demokratischen Diskurs.
In Baltimore ist eine Brücke nach einer Kollision mit einem Schiff eingestürzt, dabei sind vermutlich sechs Menschen ums Leben gekommen. Jetzt wird über die wirtschaftlichen Folgen geredet und darüber, ob so etwas in Deutschland auch passieren kann. Ist das die richtige Perspektive, wenn Menschen gestorben sind?
Das ist Thrill-Journalismus für Leute, die sich beim Autobahnunfall beschweren, dass man fast nichts sehen konnte: die Katastrophe näher ranholen. Der schlichte Satz, dass es solche Brückenkonstruktionen in Deutschland nicht gibt, wäre langweilig.
Die Ampelkoalition verhandelt mit CDU/CSU um einen Gesetzesentwurf zum Schutz des Bundesverfassungsgerichts vor radikalen Parteien. Sind das schon Vorkehrungen für den Fall, dass die AfD an die Macht kommt?
Ziemlich ausdrücklich. Das erspart Debatten, dass die EU-Partner Polen und Ungarn, unser Leitstern USA und unsere Staatsräson Israel schon Demokratien sind, in die es reinregnet. Zwei Senate, befristete Amtszeiten, Altersgrenzen, breite Wahl – das beschreibt recht genau, was diese vier Länder nicht oder nicht mehr haben. Oppositionsführer Merz war schon dafür, dagegen und wieder dafür. Wenigstens in der Union lebt noch das Prinzip des Wankelmotors.
Laut Außenministerin Baerbock versucht Kremlchef Putin, die Nato in den Ukrainekrieg hineinzuziehen. Hat sie überzeugende Argumente?
Ihr Argument gegen Putin heißt Putin. Der sieht sich längst „im Krieg gegen die Nato“. Und wenn Guerillatruppen in der ukrainischen Armee mit Nato-Waffen in Russland angreifen, ritzt er sich ne Kerbe in den Schreibtisch. Baerbocks Kamerad Habeck wiederholt in seiner Osteransprache, die Ukraine kämpfe „für sich selbst und für uns“. Da wird’s dann aber auch langsam eng mit der Trennung zwischen russischer Propaganda und westlicher Sicht.
Nach einer harten Auseinandersetzung konnten sich Deutsche Bahn und GDL einigen. Ist es ein „Erfolg auf fast ganzer Linie“ für die Gewerkschaft, wie GDL-Chef Weselsky sagt?
Wenn der Bumerang einschlägt, ist Arbeiterführer Weselsky in Pension: Der Anschluss lässt Beschäftigten Wahlfreiheit – 35 Stunden oder mehr arbeiten, mehr Verdienst. Und wenn sie mehr arbeiten, wird das zur Keule gegen gewerkschaftliche Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung. Bahnkunden hätten so viel Cleverness dem Vorstand der Firma gar nicht zugetraut.
Die asiatische Hornisse breitet sich in Deutschland aus. Kann man die nicht abschieben?
Nö, frusten durch frosten. Nur eben Klimawandel rückgängig machen. Wobei die Zuwanderin nicht gefährlicher ist als heimische Wespen und mit ihnen verwandt. Ganz anders verhält es sich mit der Deutschen Wespe, die derzeit in Neuseeland Ökosysteme verheert. Die identitären Rassisten sollten Imker werden, dann können sie in ihrer Freizeit umvolken.
Zum zweiten Mal binnen weniger Tage ist ein Reisebus in Deutschland von einer Autobahn abgekommen. In Südafrika gab es ein weiteres schweres Unglück mit mindestens 45 Toten. Sind Fernbusse noch ein sicheres Verkehrsmittel?
In Deutschland: ja. Reisebusse kommen besser durch den TÜV und verursachen weit weniger Verkehrstote als gemeine Pkw. Bei alten Modellen sogar ohne Gurt, und aus metaphysischen Gründen dürfen termingestresste Busfahrer im Lkw-Überholverbot trotzdem links dran vorbei. Der Rest ist offenbar die dunkle Magie von Horrorbildern und das beklemmende Gefühl, in einer Konservenbüchse zu kullern, die von einem Kegelclub-Torero pilotiert wird. Verbraucherverbände raten, Busfahrende vor Fahrtantritt in ein gutes Gespräch zu verwickeln: Lizenz, Alkoholverzicht, Sicherheitsvorkehrungen, Fahrtzeiten, so was. Na ja, oder Fresse halten und pünktlich los.
Kakao ist derzeit so teuer wie noch nie. Wie viel ist Ihnen der Schoko-Osterhase wert?
Schönen Gruß vom Klimawandel. In Ghana und Elfenbeinküste, die zusammen 58 Prozent des weltweiten Kakaobedarfs liefern – gab es zuletzt Dürre- und Regenperioden, die Ernten vernichteten. Das verdreifachte den Preis binnen eines Jahres – nicht aber die Erträge der Hersteller. In Perspektive jetzt also raus aus den Aktien, rein in Schokohasen und nächstes Jahr abkassieren. Noch hat die FDP nicht vorgeschlagen, die Rentenfinanzierung auf Weihnachtsmänner umzustellen. Wenn’s schiefgeht, alles in den Mixer, Vanilleeis drüber und auf einen Boom bei Stracciatella setzen. Für diese Art Wirtschaft wäre es echt ein Problem, wenn Maßnahmen gegen den Klimawandel gelängen.
Zum Start des neuen Radio-Programmschemas des Bayerischen Rundfunks am 2. April gibt es weiterhin Streit um den Stellenwert der Kultur. Geht das nur die da drunten an oder lassen sich Lehren ziehen für den gesamtdeutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunk?
Die ARD stellt unter ihren rund 70 Radiosendern neun Kulturwellen her. Die implizite Aussage, alles andere sei Unkultur, deutet schon aufs Kernproblem: Hier bedient sich eine intellektuelle Elite großzügig an Gebühren, die vor allem Leute zahlen, die Helene Fischer etwas Gutes tun wollen. Die Reichweiten liegen zwischen 1,3 Prozent Marktanteil (NDR Kultur) und 4,2 Prozent (Bremen Zwei). Was in manchen Bundesländern den Gedanken nahelegt, die Hochkulturversorgung von der Telefonseelsorge miterledigen zu lassen. Oder einfach mal im Uni-Viertel im Hof zu singen. Die stärkste Radionutzung liegt zwischen 6 und 9 Uhr und noch mal nachmittags zwischen 16 und 17 Uhr. Man tut Hessen oder Saarland kein Unrecht, wenn man bangt, ob’s denn täglich zu vier Stunden sendbaren Kulturthemen reicht. Lokale Kulturbeutel interessieren sich mindestens auch für Premieren, Bücher, Debatten und Ausstellungen von nationaler Bedeutung. Also: Deutschlandfunk Kultur oder Radio Eins als Mantelprogramm, darin vier Stunden regionale Kultur, fertig ist die Reform – und der Shitstorm. Von einer Kulturlobby, die ums Stattfinden fürchtet – und von ARD-HirschInnen, die ihren Sprengel verteidigen. Die Öffentlich-Rechtlichen haben die Chance, sich klug zu beschneiden – bevor es andere dummdreist tun.
Und was machen die Borussen?
Statt Motivationsansprache für den BVB-Sieg in Bayern mag die Mannschaftsaufstellung der Nationalmannschaft genügt haben. Praktisch offenes Bewerbungsverfahren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin