: CSD statt AfD
Queeres Leben hat in Thüringen wenig Platz. Die CSDs sind für die Organisator:innen ein Zeichen für Vielfalt
Aus Sonneberg und Jena Theresa Ertel
„Sonneberg bleibt bunt!“, rufen Sprechchöre in der Südthüringer Kleinstadt in der Hitze. Vom Bahnhof, durch Wohngebiete bis in die Innenstadt läuft die erste Christopher-Street-Day-Parade Ende Juli. Die Menschen tragen Pappschilder mit Aufschriften wie „Hallo, Herr Landrat! Was machen Sie eigentlich beruflich?“ und „CSD statt AfD“.
Wie auf jedem CSD besteht die Demonstration aus einem bunten Meer verschiedener Flaggen der queeren Community und viel Glitzer, und dennoch ist ein Unterschied zu anderen CSDs zu bemerken: Er wirkt kämpferischer, mit weniger Musik und dafür mehr Sprechchören als anderswo. Generell sind die CSDs in Thüringen oftmals kleiner, aber noch mehr eine politische Demonstration als in so einigen großen Städten im Westen. Queeres Leben hat im Freistaat weniger Räume und ist mehr Angriffen ausgesetzt.
Sonneberg ist der Landkreis, in dem im Juni 2023 der bundesweit erste AfD-Landrat gewählt wurde. Keine zwei Wochen später gingen die Musiker:innen Maurice Conrad und Bruneau mit ihrem Song „CSD in Sonneberg“ viral. Im Februar machte sich ein Team aus rund 20 Menschen aus Sonneberg und Umgebung daran, diesen Song in Realität zu verwandeln und einen CSD mit Prideflags, Glitzer und vielem mehr auf die Beine zu stellen. Gleichzeitig hat sich Sonneberg seit der Landratswahl zum neuen Hotspot für rechtsmotivierte Gewalt entwickelt, wie die Jahresstatistik 2023 der Thüringer Opferberatungsstelle ezra zeigt. Die Ursache dafür sieht ezra bei den Erfolgen der AfD im Landkreis.
Philipp (28) lebt in Sonneberg, trat in dem Musikvideo auf und ist beim CSD engagiert. Gewalt erfahren habe er in der Stadt noch nicht, aber bereits beleidigende Textnachrichten bekommen. „Seit ich angefangen habe, meine Meinung offen kundzutun, bin ich den meisten Erwachsenen in Sonneberg ein Dorn im Auge. Auf der Straße wird mir manchmal hinterhergerufen und ich werde dumm angemacht.“ Deshalb hat er mit seinem E-Rollstuhl einen Selbstverteidigungskurs besucht.
Der 20. Juli zeigte eine andere Seite der Stadt: „Es ist CSD in Sonneberg und die AfD empört. Überall ist Party, weil den Landrat unsere Party stört“, lautet der Refrain des Songs „CSD Sonneberg“. Kämpferisch und ohne nennenswerte Zwischenfälle zog die bunte Demonstration von 650 Menschen durch die Stadt. Die vom Team des CSD Sonneberg erwarteten rechten Störaktionen blieben aus, anders als im ostthüringischen Altenburg, wo der CSD gleichzeitig stattfand: „Über den ganzen Tag hinweg haben Faschos den CSD gestört und Teilnehmende beleidigt“, berichtet Torge Dermitzel aus dem Team.
Auch im einzigen queeren Zentrum Thüringens in Erfurt spielt die Wahl eine Rolle: „Ich blicke mit großer Sorge auf den 1. September und insbesondere die folgenden Haushaltsverhandlungen. Durch unsere Projektfinanzierung bangen wir jedes Jahr aufs Neue und sind abhängig von den Mehrheitsverhältnissen im Landtag“, berichtet die Koordinatorin des Zentrums, Luna Karsubke. „Eigentlich übersteigen die Bedarfe der Community und des queeren Zentrums schon lange unsere tatsächlichen Mittel.“
Auch in Jena engagieren sich Queers gegen rechts. Was Wahlergebnisse angeht, ist die Stadt so etwas wie das politische Gegenteil von Sonneberg. In den vergangenen Jahren sind viele ehrenamtliche queere Strukturen entstanden, regelmäßig finden Stammtische, Partys und andere Veranstaltungen statt. Auch die Teilnehmer:innen des CSD spüren, dass die Stadt heraussticht: „Unser CSD ist jedes Jahr vergleichsweise groß. Wir mussten bis auf kleinere Vorfälle noch keine rechten Störaktionen oder Demonstrationen erleben, unser Team wird nicht bedroht“, berichtet die 36-jährige Petra Teufel aus dem CSD-Team, das seit 2019 die Demonstrationen mit Begleitprogramm organisiert. An die Demo am 24. August in Jena hat sie große Erwartungen: „Wir hoffen auf die größte Demo für Vielfalt, die Thüringen je gesehen hat.“
Theresa (28) ist von Geburt Schwäbin, aber bei der ersten Gelegenheit zog sie mit 17 in den Osten. Sie engagiert sich gegen Rechtsextremismus.
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