Quadrell der Kanzlerkandidaten: Zurück zur Politik, bitte!
Der Kandidaten-Talk auf RTL war mehr Fußballmatch als Politiksendung. Der Sender half mit der Inszenierung lediglich CDU-Chef Merz, seinen Vorsprung auszubauen.
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Ein wenig im Abseits stehen die Fans der AfD. Auch die Grünen sind mit einer Anhängerschaft angereist, die immerhin so groß ist, dass sich davon Bilder machen lassen, die suggerieren, der grüne Kanzlerkandidat nehme ein Bad in der Menge. Natürlich wehen auch rote SPD-Fahnen für Olaf Scholz. Unverdrossen feuern ihn seine Fans an, obwohl er in der Tabelle schon einen gehörigen Rückstand hat und kaum mehr einer wirklich an die Titelverteidigung glaubt. „Ihr könnt nach Hause fahren!“, grölen die JU-Ultras und das Portal derwesten.de schreibt von einer „Stimmung wie im Fußballstadion.“
Die Fans, die die Parteien zur Unterstützung ihrer Kandidaten organisiert haben, vermitteln ein Bild von politischen Engagement, das es nicht wirklich gibt. Es mag ja sein, dass ein Markus Söder in seiner Jugend unter einem Poster von Franz-Josef Strauß geschlafen hat, aber Polit-Ultras, die wie Fußballfans ihren Liebsten hinterherreisen und mit ihren Gesängen dem Duell der Argumente in der Wahlarena ein performatives Element hinzufügen, gibt es nicht wirklich. Und so hat das Quadrell von Sonntag mit einem Fake begonnen, noch bevor Alice Weidel im TV-Studio ihre ersten Unwahrheiten unters Volk gebracht hat.
Offenbar traut man bei RTL dem Publikum nicht zu, sich einen ganzen Abend lang ernsthaft einfach nur mit Politik zu beschäftigen. Natürlich durfte eine Frage zur Krone der RTL-Fernsehschöpfung, dem Dschungelcamp, an die Kandidaten nicht fehlen. Was denn schlimmer sei, Dschungelcamp oder die Opposition, wollten die Moderatoren wissen. Oh je!
Billiges Beamtenbashing
Und der völlig lustlos daher nuschelnde Alt-Moderator Günther Jauch zeigte nur ein einziges Mal einen Hauch von Professionalität, als er eine Entscheidungsfrage im Stil seiner RTL-Stammsendung „Wer wird Millionär?“ stellen durfte. Da sollten die Kandidaten raten, wie viele Beamte bis zum Erreichen der Altersgrenze im Dienst blieben. 20 Prozent – hört, hört! Das billige Beamtenbashing, das bei dieser Frage mitschwang, passte ganz gut zum bescheidenen Niveau des ganzen Quadrell-Settings, dem auch Jauchs Co-Moderatorin, die RTL-Nachrichtenpräsentatorin Pinar Atalay, nur phasenweise etwas Seriosität verleihen konnte.
Vielleicht war es ja diese Inszenierung, die dazu beigetragen hat, dass das Kandidatengespräch auf Social Media wie ein Sportevent kommentiert worden ist. Mal lag für die Beobachter Scholz in Führung, dann schien Habeck der Ausgleich gelungen zu sein, bevor Merz mit seinem Satz, dass Deutschland im Ukrainekrieg alles andere als neutral sei, sondern fest an der Seite des überfallenen Landes stehe, einen Treffer gelandet zu haben. Damit hatte er Alice Weidel mustergültig abgegrätscht. Argumente haben bei einer derartigen Eventisierung der Debatten keine Chance.
Aber vielleicht war das Kandidaten-Quadrell ja auch gar nicht so wichtig. War nicht viel interessanter, wer sich beim Get-together nach dem Talk in einer Studiohalle nebenan alles in die Augen geschaut hat. „Let’s Dance“-Juror Joachim Llambi war unter anderem da. Das Redaktionsnetzwerk Deutschland berichtet, dass er Kartoffelsalat mit Hähnchen gegessen hat. Oder war es umgekehrt?
CDU-Dauernervensäge Philipp Amthor grinste bei der After-Show-Party mit dem schrillen Entertainer Julian F. M. Stoeckel, dem Vernehmen nach selbst CDU-Mitglied, in die Kameras. Wer das ist? Stoeckel war 2014 Kandidat im Dschungelcamp und hat damals den ehrenwerten neunten Platz belegt. Und jetzt? Zurück zur Politik, bitte!
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