Putins Propaganda in Europa: Die Klone des Kreml
Das russische Propagandaprogramm „Doppelgänger“ imitiert bekannte Medienwebsites. Laut Verfassungsschutz setzt es aber auch auf etablierte Medien.
Das Portal sieht auf den ersten Blick unverfänglich aus: „Der bayerische Löwe“ heißt die blau-weiße Nachrichtenseite. Sie veröffentlicht Meldungen zur Haushaltsdebatte, zu Waffenverboten oder zur Zukunft von VW. Beim Lesen der meinungsstarken Artikel ohne Autorennamen fällt jedoch schnell auf, dass hier ein bestimmtes Narrativ vorherrscht, das Russland in die Hände spielt.
„Kiews Undankbarkeit: Wie die Ukraine ihre Verbündeten vergrault“, so heißt es in einer Überschrift aus dem August. Die Ukraine solle sich um ihre eigenen Finanzen kümmern, die wirtschaftlichen und sozialen Belastungen seien hierzulande spürbar. Über Annalena Baerbocks Außenpolitik heißt es: Ihre „fehlgeschlagenen Ansätze verschärfen Deutschlands geopolitische Isolation“.
Wer hinter dem „bayerischen Löwen“ steht, verrät die Webseite nicht, ein Impressum ist nicht vorhanden. Doch laut einem technischen Bericht des Auswärtigen Amtes wird sie vom „Doppelgänger“ zentral gesteuert – einem russischen Desinformationsprogramm, das seit Putins großflächigem Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 die öffentliche Meinung in westlichen Ländern beeinflussen will.
„Der bayerische Löwe“ ist dabei nur eine von mindestens 16 deutschsprachigen Webseiten, die seit März 2023 eingerichtet wurden. Sie heißen „Arbeitspause“, „Besuchszweck“ oder „Der Rattenfänger“. Einige von ihnen sind inzwischen wieder offline. Hinzu kommen etliche englischsprachige Seiten wie „Recent Reliable News“. Am vergangenen Mittwoch beschlagnahmten das US-Justizministerium 32 Domainnamen, die „Doppelgänger“ zugerechnet werden. Was sie gemeinsam haben: Sie verstärken russische Narrative im Westen – und sollen so den Krieg in der Ukraine beeinflussen und die liberale Demokratie destabilisieren.
Laut der US-amerikanischen Militärbehörde Cyber Command zielt „Doppelgänger“ vor allem darauf ab, die Ukraine negativ darzustellen, Kreml-Narrative über den Krieg zu verbreiten, indem zum Beispiel das Massaker von Butscha geleugnet wird, und Angst in Europa zu schüren. Die Botschaft: Sanktionen gegen Russland würden das Leben dort wirtschaftlich ruinieren. Und: Die Ukraine sei korrupt und werde von Nazis regiert.
Klon-Seiten bekannter Medien
Zunächst setzte der Kreml auf Klon-Seiten bekannter Medien, um diese Narrative zu verbreiten: In Deutschland ahmt er Medien wie Spiegel, Bild oder Süddeutsche Zeitung nach, international Fox News, Washington Post oder Le Parisien.
Im Januar deckte das Auswärtige Amt auf, dass in den vier Wochen rund um den Jahreswechsel 2023/2024 mehr als 50.000 gefälschte Social-Media-Accounts eine Million deutschsprachige Tweets veröffentlichten, die Stimmung gegen den westlichen Ukrainekurs machen sollten. Viele der Posts verlinken mit einer verkürzten URL auf die Fake-Seiten. Auch andere Domainendungen werden verwendet, um die Verfälschung zu verschleiern. „Die Ampel bringt die deutsche Wirtschaft um“, lautet eine Überschrift bei „spiegel.ltd“. Oder bei „welt.pm“: „Russland ist nicht zu ignorieren“.
Problem nicht im Griff
„Aufgrund der Intensität und des Umfangs der Doppelgänger-Kampagne ist davon auszugehen, dass es sich um eine der größten bisher entdeckten Desinformationskampagnen weltweit handelt, die prorussische Narrative und Desinformation streut“, heißt es auf taz-Anfrage vom Auswärtigen Amt.
Das Problem bekommen die Social-Media-Plattformen allerdings nicht in den Griff. Ein neuer Bericht der Rechercheorganisationen CeMAS und Alliance4Europe zeigt: Vor allem auf X (ehemals Twitter) grassiert weiterhin russische Desinformation, die „Doppelgänger“ zugerechnet wird. Die Organisationen werteten im Juni mehr als 1.300 prorussische Beiträge auf der Plattform aus. Diese Beiträge hätten bis Monatsende insgesamt über 4,5 Millionen Menschen erreicht. Nur einer der von den Autor*innen gemeldeten Accounts sei suspendiert worden, heißt es.
„Besorgniserregend“
„Es ist besorgniserregend, dass es russischen Akteuren nach mehr als zwei Jahren weiterhin gelingt, auf Social-Media-Plattformen Propaganda zu verbreiten“, sagt Julia Smirnova von CeMAS zur taz. Sie ist Desinformationsexpertin und recherchiert zu „Doppelgänger“. „Das läuft im Auftrag des Kremls. Aber die Maßnahmen der Plattformen sind nicht ausreichend, um diese Kampagne zu stoppen.“
In letzter Zeit verwende Russland allerdings nicht nur Klonseiten und eigene Pseudonachrichtenseiten, sondern auch bestehende Medien in Deutschland, wie aus einem Bericht des bayerischen Verfassungsschutzes vom Februar 2024 hervorgeht. In dem Bericht mit dem Untertitel „Interne Details“, der aber von der Webseite der Behörde heruntergeladen werden kann, werden etwa das rechtsextreme Compact Magazin, das Verschwörungsportal Nachdenkseiten oder der AfD-nahe Deutschlandkurier als Medien aufgeführt, die „Nachrichten passend zum russischen Narrativ verbreiten“. Brisant ist, dass die Behörde in dieser Kategorie auch die Berliner Zeitung und den Freitag nennt. Beispiele liefert sie nicht.
Keine große Überraschung
Bei der Berliner Zeitung ist das keine große Überraschung. Zum Jahrestag des Sieges über die Nazis im Mai 2023 besuchten Verleger und Inhaber Holger Friedrich sowie dessen Herausgeber Michael Maier einen Empfang in der russischen Botschaft in Berlin. Die beiden machten kein Geheimnis daraus, Maier schrieb sogar einen Blogbeitrag zum Besuch, bei dem der russische Botschafter persönliche Briefe von Putin an Veteranen überreichte.
Im April dieses Jahres fragte der ukrainische Botschafter in Berlin, Oleksii Makeiev, auf X: „Ist @berlinerzeitung das neue Radio Moskau?“ Er merkte an, dass die russische Botschaft Berichte der Zeitung gerne teile. In den kritisierten Gastbeiträgen kommt etwa der Teaser vor: „Vor genau zwei Jahren formulierte Russland unmissverständlich seine Sicherheitsinteressen. Die Reaktion des Westens war ein großer Fehler.“ Oder die Passage: „Im Gegensatz zu westlichen Darstellungen waren sich damals Ukraine und Russland darin einig, dass die geplante Nato-Erweiterung der Grund des Krieges war.“ Ein russisches Propagandanarrativ: Der Westen sei eigentlich schuld am Krieg.
Umstrittene Personalentscheidungen
Hinzu kommen einige umstrittene Personalentscheidungen im Haus: Seit Oktober 2023 ist Katerina Alexandridi stellvertretende Chefredakteurin der Berliner Zeitung, von 2014 bis 2022 war sie bei der russischen Propaganda-Videoagentur Ruptly tätig. Seit Juli 2023 ist Lea Fabbrini Online-CvD, die ebenfalls bis Februar 2022 bei Ruptly arbeitete. Und seit Jahresbeginn leitet Thomas Fasbender das neugegründete Ressort „Geopolitik“: Er war bis zum russischen Überfall auf die Ukraine noch Kommentator beim russischen Propagandasender RT DE.
Auf eine Anfrage der taz verweist Tomasz Kurianowicz, Chefredakteur der Berliner Zeitung, auf eine Stellungnahme vom 9. September, die auf ihrer Webseite veröffentlicht wurde. Er behauptet darin fälschlicherweise, dass seine Zeitung im Jahresbericht 2023 des Landesverfassungsschutzes genannt werde. Kurianowicz weist die Einstufung als „unwahr“, „rufschädigend“ und „verleumderisch“ zurück. „Nicht jeder Meinungsbeitrag, der sich für Verhandlungen starkmacht, muss gleich Kremlsprech sein“, schreibt er.
Die Justiziarin der Berliner Zeitung schreibt auf taz-Anfrage: „Nach unserem Verständnis stellt der Bericht lediglich fest, dass irgendein Inhalt unserer redaktionellen Beiträge von unbekannten Dritten missbraucht wird, um das russische Narrativ zu bedienen.“
„Dem freien Diskurs verpflichtet“
Beim Freitag ist eine unkritische Blattlinie zu Russland weniger erkennbar. Zwar fallen Artikel bestimmter Autoren immer wieder auf, mit Überschriften wie „Wolodymyr Selenskyj: Der Held des Krieges wird zum Hindernis für Frieden“. Doch die Zeitung bietet ebenfalls immer wieder Ukrainer*innen eine Bühne, die Russlands Angriffskrieg scharf kritisieren. Philip Grassmann, Chefredakteur des Freitag, könne die Erwähnung seiner Zeitung im internen Verfassungsschutzbericht nicht nachvollziehen, antwortet er der taz.
„Die Analyse unserer Online-Daten lässt nicht den Schluss zu, dass Online-Artikel von Bots gepusht worden sind“, sagt er. „Wir fühlen uns dem freien politischen Diskurs verpflichtet, nicht irgendwelchen Narrativen.“ Die Zeitung behalte sich vor, rechtliche Schritte gegen die Behörde zu unternehmen.
„Inhaltliche Missverständnisse“
Auf taz-Anfrage sagt der bayerische Verfassungsschutz, es sei in der öffentlichen Rezeption zu seinem Bericht teilweise zu „inhaltlichen Missverständnissen“ gekommen. Dieser werde nun überarbeitet. Der Freitag und die Berliner Zeitung würden zu über 350 Webseiten zählen, deren Inhalte durch Doppelgänger verbreitet werden. „Es ist naheliegend, dass die betreffenden Inhalte aus Sicht des Akteurs das russische Narrativ unterstützen.“ Auch wenn diese aus dem Kontext gerissen würden. Die Behörde insinuiere aber nicht, dass solche Medien das gutheißen.
Wie effektiv das russische Desinformationsprogramm tatsächlich ist, bleibt unklar. „Den Akteuren hinter Doppelgänger geht es darum, unterschiedliche Strategien auszuprobieren. Und sie haben diese seit 2022 auch geändert“, sagt die Desinformationsexpertin Julia Smirnova. „Sie konnten damit Millionen von Menschen in Europa erreichen. Aber Reichweite ist nicht das Gleiche wie Wirkung oder Effizienz.“
Anmerkung der Redaktion: Der Bericht des bayerischen Landesverfassungsschutzes wurde nach einer Presseanfrage der taz überarbeitet, die neue Version wurde am 11. September veröffentlicht. Die Kategorie „Webseiten, die Nachrichten passend zum russischen Narrativ verbreiten“ heißt inzwischen „Webseiten, deren Inhalte der Akteur in Teilen weiterverbreitet hat“. Ganze Medien-Webseiten werden in dieser Kategorie nicht mehr aufgeführt, sondern nur konkrete Beispiele der jeweiligen Webseiten – auch weiterhin von den Medien, die die taz in diesem Artikel erwähnte.
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