Psychedelische Substanzen in der Medizin: „Würde Behandlung nicht empfehlen“
Können LSD und Psilocybin psychische Erkrankungen heilen? Der Professor für klinische Psychologie Eiko Fried hält die Euphorie für verfrüht.
taz: Herr Fried, lassen sich depressive Störungen mit Psychedelika sicher und wirksam behandeln?
Eiko Fried: Dieser Eindruck wird immer wieder fälschlicherweise vermittelt. Sowohl durch euphorische Medienberichte zum Beispiel über Studien mit dem Pilzwirkstoff Psilocybin, aber auch durch Aussagen von einzelnen Forschenden. Die Wahrheit aber ist: De facto wissen wir das noch nicht, weil es dazu noch lange nicht genug Forschung gibt. Und die vorhandene Forschung hat eine ganze Reihe großer methodologischer Probleme.
Welche sind das?
Wissenschaftliche Studien mit Psychedelika sind oft „offene“ oder „open label“-Studien. Es fehlt eine Kontrollgruppe, die eine etablierte Behandlung wie Psychotherapie oder ein Placebo bekommt.
Warum ist das problematisch?
Weil es die Frage offen lässt, ob Psychedelika besser wirken als ein Placebo oder eine Behandlung, die es schon gibt. Forschende an der Johns-Hopkins-Universität haben im Februar zum Beispiel ein Paper zur Psilocybin-unterstützten therapeutischen Behandlung von Depressionen herausgebracht. 12 Monate Follow-up. 80 Prozent der Teilnehmenden sagen, dass es ihnen ein Jahr nach der Psilocybin-Behandlung besser geht.
ist Professor am Institut für Klinische Psychologie der Universität Leiden in den Niederlanden. Er arbeitet an der Schnittstelle von Klinischer Psychologie, Psychiatrie und Methodik. Seine Promotion schrieb er zum Thema Depression. An der Universität Leiden gibt er unter anderem Kurse zu der Frage, wie man klinische Studien korrekt plant und durchführt.
Klingt doch super.
Ja, das sagen dann immer alle zu mir: Eiko! 12 Monate Follow-up! 80 Prozent der Leute, die zu Beginn der Behandlung eine depressive Episode hatten, geht es ein Jahr später viel besser! Und dann sage ich: Aber es gab keine Kontrollgruppe. Denn möglicherweise haben die Leute ja in diesem Jahr eine Psychotherapie gemacht oder andere Medikamente bekommen. Das wurde in der Studie nicht erfasst. Zudem sind Depressionen episodisch. Selbst wenn man diesen Menschen Karotten – oder eben ein Placebo – gegeben hätte, wäre es möglich, dass es ihnen nach einem Jahr besser geht. Das liegt in der Natur der Depression. Die kommt und geht.
Es ist aber nicht so, dass es gar keine Studien zu Psychedelika mit Kontrollgruppen gibt.
Das stimmt. Aber wenn es eine Kontrollgruppe gibt, dann wissen die Teilnehmenden meistens, in welcher Gruppe sie sind. Aus dem einfachen Grund, dass man Psychedelika wie Psilocybin, oder auch MDMA nicht wirklich verblinden kann.
Warum ist es problematisch, wenn klar ist, wer die aktive Substanz bekommt und wer ein Placebo?
Wenn Patient*innen wissen, dass sie in der Kontrollgruppe sind, ist das natürlich demotivierend, was dann die Wirksamkeit der Kontrollgruppe verringern kann. Möglicherweise funktioniert die Experimentalgruppe also nicht besser als das Placebo, sondern die Placebogruppe ist bloß demotiviert und schneidet deswegen schlechter ab.
Das Problem gibt es allerdings nicht nur auf der Seite von Patient*innen, sondern auch bei den Forschenden: Die bewerten, zum Beispiel durch klinische Interviews, ob die Behandlung in der Experimentalgruppe besser funktioniert hat als in der Kontrollgruppe. Und wenn die Forschenden wissen, in welcher Gruppe eine Patient*in ist, die sie gerade befragen, dann beeinflusst das möglicherweise das Urteil.
Wie bewerten Sie denn die Teilnehmendenzahlen von Psychedelika-Studien? In der Johns-Hopkins-Studie, die Sie vorhin erwähnt haben, wurden die Ergebnisse von 24 Proband*innen ausgewertet.
Zweistellige Proband*innenzahlen können Sie vergessen. Wissenschaftliche Studien funktionieren im Grunde genauso wie Umfragen. Wir untersuchen eine Stichprobe, aber wir wollen eigentlich wissen, was in der gesamten Bevölkerung passiert. Und wir wissen alle: Wenn ich herausfinden will, ob Joe Biden oder Donald Trump die nächste Präsidentschaftswahl gewinnt, muss ich mehr als 24 Leute fragen.
Eine Studie muss, genauso wie eine Umfrage, repräsentativ sein. Das bedeutet auch, dass ich nicht nur Männer, oder nur Frauen, oder nur Zugewanderte fragen kann. In vielen psychedelischen Studien liegen die Teilnehmendenzahlen aber sehr oft im niedrigen zweistelligen Bereich. Und das ist ein Problem. Denn ich will ja nicht wissen, ob die psychedelische Therapie für Peter, Susanne oder Markus funktioniert. Ich will wissen, ob MDMA Menschen mit posttraumatischer Belastungsstörung hilft, oder ob Psilocybin oder Ketamin und Esketamin bei Depressionen wirken. Und das finde ich mit derart kleinen Stichproben nicht heraus.
Forschende begründen die geringen Teilnehmendenzahlen oft damit, dass die Studien teuer sind und nicht mehr Geld da ist, um weitere Proband*innen in die Studie einzuschließen.
Keine Frage: Ich weiß, dass große Studien teuer und schwierig zu finanzieren sind. Aber das ändert nichts daran, dass verallgemeinernde Schlussfolgerungen bei derart kleinen Stichproben unseriös sind. Und ich finde, auch das müssten Forschende in ihren Papers sehr viel transparenter benennen – was leider auch zu selten passiert. Hinzu kommt: Wenn die Zahl der Studienteilnehmenden so gering ist, dann können sich die Forschenden oft aussuchen, wen sie mit in die Studie einschließen.
Elon Musk twitterte Anfang Juli: „Psychedelika und MDMA können einen echten Unterschied für die psychische Gesundheit machen, insbesondere bei extremer Depression und PTBS. Das sollten wir ernst nehmen.“
Kein Wunder, dass die Leute alles tun, um an solchen Studien teilnehmen zu dürfen. Stellen Sie sich vor, Sie leiden seit 10, 15, oder 20 Jahren an einer schweren psychischen Erkrankung wie PTSD …
… die posttraumatische Belastungsstörung …
Sie wachen jeden Tag mit Albträumen auf und erleben immer wieder Flashbacks. Und dann hören Sie im Radio, MDMA sei das neue Wundermittel, das diese Krankheit heilen kann. Da erzählen Sie dann eben vielleicht auch dem Therapeuten, was er hören will, um ihn nicht zu enttäuschen.
Wie viele Studienteilnehmende sollten es denn sein, damit man generalisierbare Aussagen treffen kann?
Es gibt statistische Modelle, mit denen wir ausrechnen können, wie groß Stichproben sein müssen. Dreistellig sollte es in jedem Fall sein.
In der aktuellen Psilocybin-Studie bei behandlungsresistenten Depressionen am Zentralinstitut in Mannheim und an der Chartité in Berlin sind 144 Patient*innen vorgesehen. Reicht das?
Das ist ein guter Start.
Ein im April in Nature Medicine erschienenes Paper wurde von anderen Wissenschaftler*innen besonders heftig kritisiert. Untersucht wurde, was im Gehirn von Menschen passiert, die entweder Citalopram, ein bereits zugelassenes Antidepressiva, oder Psilocybin bekommen haben. Die Ergebnisse, so schreiben die Autoren der Studie, „legen einen antidepressiven Mechanismus für die Psilocybin-Therapie nahe“. Einer der Studienautoren behauptete später auf Twitter sogar, die Studie sei „der Beweis“, dass Psilocybin besser wirke als Antidepressiva. Was war die Kritik?
Es gab verschiedene Kritikpunkte. Ich erkläre mal einen besonders markanten. Weil von der Pharmaindustrie gesponserte Studien fünfmal so häufig signifikante Ergebnisse haben wie unabhängige Studien, hat die FDA irgendwann festgelegt, dass alle Studien ein primäres Messinstrument haben müssen. Man muss also vorab unter anderem sagen, wie man zum Beispiel Depression messen möchte. Das ist wichtig, weil es zur Messung von Depressionen unzählige verschiedene Fragebögen gibt. Und die Autoren besagter Studie haben am Ende eben nicht den Fragebogen analysiert, den sie vorher festgelegt hatten, sondern einen anderen.
Warum?
Einer der Autoren der Studie, Robin Carhart-Harris …
… auch er ist ein angesehener Wissenschaftler auf diesem Feld …
… hat später in einer Antwort auf die Kritik geschrieben: Weil der andere Fragebogen besser funktioniert hat. Das wäre meiner Meinung nach eigentlich ein Grund, das Paper zurückzuziehen. Bei uns im Feld nennen wir sowas P-Hacking. Man analysiert die Daten so lange auf unterschiedlichen Wegen, bis man ein signifikantes Ergebnis findet. Das ist sehr problematisch.
Wie kann sowas passieren?
Ich kann hier nur spekulieren, aber für mich gibt es eigentlich nur zwei mögliche Gründe. Möglichkeit eins: Es besteht ein Interessenkonflikt. In Psychedelika wird gerade enorm viel Geld investiert. Entsprechend hoch sind die Erwartungen, dass die Substanzen auch irgendwann von den Regulierungsbehörden zugelassen werden. Möglichkeit zwei: Es gibt sicher Leute, bei denen die Therapie mit Psychedelika hilft. Die Forschenden sehen Erfolge mit einzelnen Patient*innen und sind deshalb nicht mehr neutral.
Wissenschaftler*innen sind auch nur Menschen. Deswegen ist es umso wichtiger, dass Studien ordentlich durchgeführt werden. Dabei ist mir wichtig zu sagen: Natürlich gibt es auch viele Forschende in diesem Feld, die das alles sehr ernst nehmen und strenge und wissenschaftlich robuste Arbeit machen. Aber wenn jemand aus meiner Familie eine psychische Erkrankung hätte, ich würde bei der aktuellen Evidenz die Behandlung mit Psychedelika nicht empfehlen.
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