Prozess in Frankfurt: Homosexualität als Asylgrund?

Vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt kämpft ein Algerier um Anerkennung als Flüchtling. Er fühlt sich bedroht, weil er offen schwul lebt.

Ein Mensch wird umarmt

Trost für Abdelkarim Bendjeriou Sedjerari angesichts schlechter Aussichten im Asylverfahren Foto: Boris Roessler/dpa

FRANKFURT AM MAIN taz | Seit drei Jahren kämpft der 34-jährige Algerier Karim Bedjeriou um seine Anerkennung als Flüchtling, bislang vergeblich. Sein Asylgrund: Die Verfolgung von Homosexuellen in seinem Herkunftsland. „Ich bin abgehauen, Homosexualität ist tabu, man lebt in Algerien gefährlich“, gab er im Februar in einem Interview mit dem ARD-Mittagsmagazin zu Protokoll, das über sein Schicksal berichtete.

Diesen Dienstag, ein halbes Jahr später, schauen sich im Gerichtssaal 5 des Frankfurter Verwaltungsgerichts die Verfahrensbeteiligten den ARD-Beitrag gemeinsam an. Ein zähes Gezerre ist dem vorangegangen. Erst nach der Sichtung des TV-Beitrags folgen der Richter Andreas Gegenwart und die Vertreter des Bundesamts für Migration teilweise der Argumentation von Bedjerious Anwalt: Sein Mandat hat sich offen und öffentlich zu seiner Homosexualität bekannt und auch zur Verfolgung von LSBTI-Menschen in seiner Heimat Stellung bezogen. Damit sei er in besonderer Weise gefährdet, so die Argumentation des Prozessbeauftragten des Asylbewerbers.

Verwaltungsrichter Andreas Gegenwart bleibt trotzdem skeptisch. Er und der sportliche junge Mann, der sein Bleiberecht einklagt, kennen sich aus einem ersten Verfahren. In diesem Prozess hatte Gegenwart gegen den jungen Mann entschieden.

Einem Homosexuellen sei es zuzumuten, in seinem Herkunftsland unauffällig zu leben, um möglicher Verfolgung zu entgehen, war der Richter der gängigen Lesart des Bundesamts für Migration gefolgt, das auch die Verfolgung von Homosexuellen nicht als Asylgrund anerkennt. In dieser zweiten Verhandlung bekräftigt Gegenwart ausdrücklich sein erstes Urteil in dieser Sache, es sei immerhin „rechtskräftig“ und nach wie vor „richtig“, so der Richter.

Es brauche etwas „on top“

„Was hat sich denn seit seinem ersten Urteil geändert?“, fragt Gegenwart den Mann, der auf eine Neuaufnahme des Verfahrens hofft. „Ich lebe in Deutschland meine Homosexualität frei, ohne Angst zu haben; ich helfe anderen, die Schwierigkeiten mit der Sprache haben, bei Arzt- und Behördengängen. Ich habe in Frankfurt und Hamburg auf Bühnen öffentlich über die schwierige Lage von Homosexuellen in Algerien berichtet“, sagt er noch, bevor er wegen der eigenen Erregung eine Pause braucht.

Homosexualität an sich sei auch in Algerien kein Grund für Verfolgung, wendet der Richter ein. Da müsse doch noch etwas dazukommen „on top“, formuliert Gegenwart flapsig, als ginge es nicht um menschliche Schicksale. Die vieldiskutierten und von Bedjeriou Rechtsanwalt angeführten Festnahmen und Inhaftierungen von mehr als 40 Menschen aus der LSBTI-Szene in Algerien seien schließlich nach einer öffentlichen Hochzeit eines homosexuellen Paares erfolgt, argumentiert der Richter.

Bei dem Beispiel hat Bedjeriou seine Stimme wieder gefunden, um etwas „on top“ zu liefern. „Ich werde mich nicht wieder verstecken“, versichert der junge Mann mit klarer Stimme. Unauffällig in seinem Heimatland zu leben, um der Verfolgung zu entgehen, kommt für ihn nicht mehr infrage.

Für seinen Prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt Jonathan Leuschner ist die Sache längst klar: Sein Mandant hat sich in auch in Algerien zugänglichen Medien offen zu seiner Homosexualität bekannt; er hat zudem nicht geschwiegen zur Bedrohung, unter der LSBTI Menschen dort leiden. Grund genug, wenigstens die mögliche Bedrohung des Asylbewerbers erneut zu prüfen, so Leuschner.

Die VertreterInnen des Bundesamts bleiben Erklärungen weitesgehend schuldig. Sie könnten aktuell keine neue Lage erkennen, sagt einer von ihnen. Sein blauer Business-Anzug mit blauer Krawatte sitzt, seine Argumente weniger. Ein Bericht zur Gefährdungslage von Homosexuellen in Algerien wird angekündigt, aber nicht vorgetragen. Selbst bei der Formulierung des Protokolls kommt es zu heftigen Wortgefechten.

Der Richter scheint nicht überzeugt

Nur mit Beweisanträgen gelingt es Rechtsanwalt Leuschner, seine Argumente im Protokoll zu verankern: Sein Mandat lebt offen schwul und würde das auch in Algerien tun, er hat sich zu den schwulenfeindlichen Verfolgungen dort öffentlich geäußert und wäre deshalb besonders gefährdet. „Nach der Rechtsprechung des EuGH ist das eine klare Sache, Asyl ist sein gutes Recht“, so Leuschner.

Doch auch nach zwei Stunden Verhandlung scheint der Richter nicht überzeugt. „Wie viele Menschen sprechen in Algerien schon Deutsch?“, fragt er zweifelnd. Binnen zwei Wochen werde entschieden, sagt er noch der taz.

Rechtsanwalt Leuschner, der den Richter aus zahlreichen Prozessen kennt, hat wenig Hoffnung. „Offenbar ist ihnen das Schicksal von Homosexuellen völlig egal“, rügt er die Haltung des Bundesamts und des Richters. „Der weiß, dass er machen kann, was er will, weil die Hürden für eine Klage am Verwaltungsgerichtshof hoch sind“, stellt Leuschner nüchtern fest.

Freunde nehmen Bendjeriou nach der unerfreulichen Verhandlung tröstend in die Arme. Solange er in Frankfurt seine Ausbildung als Altenpfleger absolviert, ist er vor Abschiebung sicher. Die Ampelkoalition hat zudem angekündigt, den Schutz vor Verfolgung aufgrund von sexueller Orientierung im Asylrecht zu verstärken. Bis dahin darf das Bundesamt seine Praxis beibehalten, schwulen oder lesbischen AsylbewerberInnen ein unauffälliges Leben in ihren Heimatländern zuzumuten.

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