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Proteste gegen rechtsextreme JugendStadt im Ausnahmezustand

Straßensperrungen und tausende Po­li­zis­t*in­nen. Gießen bereitet sich auf das AfD-Treffen am Samstag vor. Der Innenminister warnt vor Gegendemos.

Gießen bereitet sich auf das AfD-Treffen vor. Angst hat mancher vor allem vor den Protesten dagegen Foto: Boris Roessler/dpa
Yağmur Ekim Çay

Aus Gießen

Yağmur Ekim Çay

Am Tag vor der geplanten Gründung der neuen Jugendorganisation der rechtsextremen AfD befindet sich die hessische Stadt Gießen im Ausnahmezustand. Laut einer Sprecherin der Pressestelle des Polizeipräsidiums Mittelhessen sei schon am Freitag eine „Vielzahl von Polizisten in Zivil und in Uniform“ in der Stadt. Ab den frühen Morgenstunden am Samstag werden etwa 60.000 Menschen aus mehr als 200 Reisebussen aus der gesamten Bundesrepublik erwartet. Sie wollen die Neugründung der AfD-Jugend in Gießen blockieren.

Am Mittwoch hatte Hessens Innenminister Roman Poseck (CDU) angekündigt, dass „hier an diesem Tag der größte Polizeieinsatz in Deutschland stattfinden“ werde. Eingesetzt werden sollen Polizeihubschrauber, Drohnen, Wasserwerfer und die Pferdestaffel der Polizei, mit einer Einsatzstärke von 5.000 bis 6.000 Beamten aus 14 Bundesländern sowie die Bundespolizei.

Parallel zu den Vorbereitungen der Sicherheitsbehörden verschärfte der Innenminister seine Kritik an den geplanten Protestaktionen. Am Freitag erklärte er, das Bündnis „widersetzen“ bewege sich „in einer hochproblematischen rechtlichen Parallelwelt“, wenn es sich und seinen Un­ter­stüt­ze­r*in­nen ein Recht zur Verhinderung der AfD-Veranstaltung zuschreibe.

Liveticker zu den Protesten in Gießen

Die taz berichtet am Samstag ab dem frühen Morgen mit einem ausführlichen Liveticker von den Protesten in Gießen gegen die Gründungsveranstaltung der neuen AfD-Jugendorganisation. Sie finden ihn dann unter taz.de/liveticker

Auch die Bundeswehr hat vor möglichen Angriffen auf Soldaten und Soldatinnen am Rande der Proteste gewarnt. Wie der Spiegel berichtet, hieß es in einem eilig verschickten Rundschreiben, man erwarte wegen der vielen Demos eine „erhöhte Gefährdung der militärischen Sicherheit“. Vor allem Soldaten in Uniform sollten sich daher besonders vorsichtig verhalten.

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Schü­le­r*in­nen legen schon mal los

Das Bündnis „widersetzen“ reagierte empört auf die Aussagen des Ministers. Man sei „schockiert von Äußerungen“ Posecks und warne vor Polizeigewalt am Wochenende. Es gebe einen öffentlich einsehbaren „Aktionskonsens“, der den Rahmen der geplanten Blockaden vorgibt. Darin sei festgehalten, dass von „widersetzen“ keine Eskalation ausgehe und man „kreativ, offen und einladend für die Gießener Bevölkerung“ agieren wolle, so das Bündnis.

Unabhängig davon begannen die ersten Protestaktionen bereits am Freitagnachmittag. Etwa 300 Schü­le­r*in­nen aus Gießen begaben sich in den Schulstreik. Unter dem Motto „Für eine bunte Zukunft ohne Faschismus“ hatte die Gruppe „Schülis gegen rechts“ dazu aufgerufen. Zuvor war für Schulen im Innenstadtbereich sowie in angrenzenden Stadtteilen die Präsenzpflicht ausgesetzt worden.

„Die Eltern können entscheiden, ob sie ihre Kinder morgens zum Unterricht schicken oder nicht und ihre Entscheidung dann (wie bei einer Krankmeldung) der Schule gegenüber über die üblichen Kommunikationswege anzeigen“, hieß es von der Stadt Gießen. Auch abseits der Demonstrationen war die verstärkte Polizeipräsenz bereits seit Freitagmittag deutlich spürbar, begleitet von massiven Verkehrsbehinderungen und Sperrungen.

Rechtsstreit um Proteste

Kritik am Ausnahmezustand kommt unter anderem vom Stadttheater Gießen. Die geplanten Vorstellungen am Samstag habe man absagen müssen, da über 300 Karten zurückgegeben worden seien. Viele hätten Sorge, nicht ins Theater zu gelangen. Man solle sich jedoch „nicht vor den Demonstrationen gegen die Gründung der Jugendorganisation der AfD“ fürchten, sondern vor den Plänen der AfD. „Mit Angst und Rückzug hält man den Angriffen auf die Demokratie nicht stand, mit Mut, Haltung und Sichtbarkeit schon“, erklärte das Theater.

Währenddessen setzt sich der Rechtsstreit um die geplanten Blockaden fort. Ende vergangener Woche hatte die Stadt Gießen entschieden, in der Gießener Weststadt, also im gesamten Umfeld des Veranstaltungsorts, keine Protestkundgebungen zuzulassen. Betroffen waren unter anderem die angemeldeten Versammlungen des DGB Hessen, der Partei Die Linke, von Attac und des anarchistischen Camps.

Zur Begründung verwies die Stadt auf Sicherheitsbedenken. Das Verwaltungsgericht kippte die Verfügung bereits am Freitag, doch die Stadt Gießen will Beschwerde dagegen einlegen.

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3 Kommentare

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  • Unglaublich, mit welcher Energie von seiten der Stadt Gießen und dem hessischen CDU Innenminister Stimmung gegen die Proteste gegen die Gründung der rechtsextremen AfD Jugendorganisation gemacht wird. Selbst Organisationen, wie der DGB werden somit zu potentiellen gefährlichen Störern abgestempelt. Ich bin gespannt, wieviele Busse der Gegendemonstranten überhaupt in Gießen ankommen werden. Die Erfahrung lehrt leider, daß schon durch Drangsalierung der anreisenden Demonstranten vielen Menschen die Teilnahme "durch die Hintertür" verwehrt werden kann. Bleibt als kleine Hoffnung, daß das Urteil des Verwaltungsgerichts Bestand hat und die Behörden sich doch noch eines Besseren besinnen.

  • Hallo, ich bin das Milchmädchen und mache meine Rechnung:



    60.000 Personen aus 200 Reisebussen = 300 Personen pro Bus.*



    * Hinweis: Ein Reisebus hat in der Regel zwischen 32 und 57 Sitzplätzen.

  • Da fragt man sich schon, was in den Köpfen der Stadtregierung von Gießen vorgeht, dass sie die Rechtsextremen schützen und diejenigen, die dagegen protestieren, verteufeln. Und wenn einer in einer Parallelwelt lebt, dann der Innenminister von Hessen, wenn er behauptet, das Bündnis "widersetzen" sei eine größere Gefahr als die Rechtsextremisten. Und die Polizei bereitet sich mit ihren Aussagen von wegen gewaltbereiter Hooligans schon mal drauf vor, eine Ausrede für gewaltsames Vorgehen gegen Demonstranten zu haben. Rechtsextrem wird geschützt, die, die dagegen sind, verteufelt, das kennt man in Deutschland seit Kaisers Zeiten.