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Proteste gegen Gesetz in FrankreichFür den Rechtsstaat auf die Straße

Hunderttausende haben in ganz Frankreich gegen das neue Sicherheitsgesetz protestiert, das Aufnahmen von Polizeieinsätzen verbieten würde.

Am Samstag wurde in Paris gegen das neue Sicherheitsgesetz protestiert Foto: Francois Mori/ap

Paris taz | Zwei Tage nach der Veröffentlichung neuer, schockierender Bilder von Polizeigewalt haben in ganz Frankreich mehr als hunderttausend Menschen gegen das neue Sicherheitsgesetz protestiert. Das Innenministerium sprach von 133.000 Teilnehmern, die Veranstalter von mehr als 500.000.

Am Rande der Kundgebungen lieferten sich teils vermummte Demonstranten Auseinandersetzungen mit Polizisten, bei denen mehr als 60 Beamte verletzt wurden. Die Polizistinnen und Polizisten gingen ihrerseits mit Schlagstöcken gegen Demonstranten und Fotografen vor und verletzten einen freien Mitarbeiter der Nachrichtenagentur AFP am Kopf. Der 24-Jährige war laut der Organisation Reporter ohne Grenzen erst vor vier Jahren aus der syrischen Stadt Aleppo nach Frankreich geflohen.

Der Platz der Republik in Paris war schwarz von Demonstrantinnen und Demonstranten, die den Verzicht auf das umstrittene Gesetz fordern. Die Teilnehmer des „Marsches der Freiheiten“ kritisierten vor allem das geplante Verbot, Polizisten in „schädigender Absicht“ zu filmen. „Unser Leben hängt an einem Film“, stand auf einem von Hand beschrifteten Karton, den eine Frau in die Höhe hielt.

Innerhalb von einer Woche hatten zwei Filmaufnahmen Polizeigewalt dokumentiert: Am Montag hatten Polizistinnen und Polizisten Geflüchtete brutal vom Platz der Republik vertrieben. Am Donnerstag zeigte ein neunminütiges Video des Onlinemagazins Loopsider, wie vier Beamte den schwarzen Musikproduzenten Michel Zecler krankenhausreif schlugen.

„Das war eine schlechte Woche für die Freiheit und den Rechtsstaat“, sagte der Chef der Sozialisten, Olivier Faure, der zusammen mit den Parteichefs von Linkspartei La France Insoumise und Grünen in Paris auf die Straße ging. Aufgerufen zu der Demonstration hatte das Kollektiv Stop Loi Sécurité Globale, dem Gewerkschaften, Journalistenvertreter und Menschenrechtsorganisationen angehören. „Ohne Bilder, die von der Zivilgesellschaft gefilmt werden, wird die Polizeigewalt ungestraft bleiben“, erklärte das Kollektiv.

Allein in Paris versammelten sich 46.000 Menschen, die vom Platz der Republik zur Bastille zogen. Dort warfen Vermummte zum Ende der Kundgebung Feuerwerkskörper und Steine auf Polizisten und zündeten Autos an. Ein Polizist, der am Boden lag, wurde von Demonstranten mit den Füßen getreten und geschlagen.

Bereits am vergangenen Wochenende waren rund 22.000 Menschen in ganz Frankreich gegen das Gesetz auf die Straße gegangen. Der Zorn der Demonstrantinnen und Demonstranten richtet sich vor allem gegen Innenminister Gérald Darmanin, einen konservativen Hardliner, der für den umstrittenen Artikel 24 verantwortlich ist. Die Nationalversammlung hatte dem Sicherheitsgesetz am Dienstag in erster Lesung zugestimmt.

„Diese Bilder sind nicht akzeptabel“, sagt Emmanuel Macron

Als Signal an die Kritiker kündigte Regierungschef Jean Castex hinterher an, eine unabhängige Kommission einzusetzen, die den Text umschreiben soll. Sein Angebot sorgte allerdings unter den Abgeordneten für solche Empörung, dass der Premierminister zurückrudern musste: Die Kommission soll nun lediglich Vorschläge vorlegen.

In dem Durcheinander meldete sich am Freitagabend erstmals Präsident Emmanuel Macron zu Wort. „Diese Bilder sind nicht akzeptabel. Sie machen uns Schande“, schrieb Macron auf Facebook zu dem Film, der zeigt, wie die Polizisten den wehrlosen Zecler verprügeln und rassistisch beschimpfen. Die Polizisten, die Gesetze durchsetzen müssten, sollten diese Gesetz auch respektieren, forderte der Staatschef, der sich ausdrücklich zur Meinungs- und Pressefreiheit bekannte. „Frankreich darf Hass und Rassismus nicht gedeihen lassen.“

Auch der Fußball-Nationalspieler Kylian Mbappé nahm zu dem Video Stellung. Auf Twitter sprach er von „nicht hinnehmbarer Gewalt“. Die gewalttätigen Polizisten, die in ihrem Bericht zudem falsche Angaben machten, sind inzwischen vom Dienst suspendiert und in Polizeigewahrsam.

Anmerkung der Redaktion: der Text wurde nach den Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstrierenden aktualisiert.

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7 Kommentare

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  • Semantisch ambivalente präsidiale Reaktion auf die Prügelorgie

    Zitat: „Diese Bilder sind nicht akzeptabel“, sagt Emmanuel Macron.“

    Sind es nun die polizeilichen Prügelorgien selbst oder nur deren im Netz veröffentlichten Videoaufnahmen, die für den französischen Präsidenten „nicht akzeptabel“ sind? Der Satz ist nicht ganz klar, aber „Was nicht klar ist, ist nicht französisch“ („Ce qui n'est pas clair n'est pas français.“, Rivarol). Sollte das neue Zensurgesetz, der Auslöser der landesweiten „Märsche für die Freiheit“ mit hunderttausenden Teilnehmern, letztlich promulgiert werden, gäbe es künftig keinen Anlaß mehr für Macron, schockiert zu sein - mangels Videos und Fotos als Beweismittel.

    „Die freiheitseinschränkenden Gesetzte werden immer mehr. Seit Sarkozy, Hollande geht das immer weiter so. Wenn morgen ein Diktator die Macht in Frankreich ergreift, hätte er alle juristischen Werkzeuge zur Verfügung. Unter Sicherheitsvorwänden wird ein Regime errichtet, das jeden Moment ins Autoritäre abgleiten kann.“ so heute der frühere Präsident der Lyoner Anwaltskammer Farid Hamel gegenüber „Le Monde“. ("Les lois restrictives des libertés ne cessent de se multiplier. Depuis Sarkozy, Hollande, ça n’arrête pas. Si un dictateur prend le pouvoir demain en France, il aura tous les outils juridiques à sa disposition. Sous des prétextes sécuritaires, on construit un régime qui peut glisser à tout moment dans l’autoritaire.")

    Was ist nur aus dem Mutterland der Menschenrechte geworden?

    • @Reinhardt Gutsche:

      Auch in Frankreich untersteht die Justiz nicht dem Innenminister, sondern ist unabhängig. Wenn Polizisten kriminelles Unrecht tun, z.B. in Form von ungerechtfertigter Anwendung von Gewalt, dann gibt es also bereits eine unabhängige Instanz, die rechtsstaatlich dagegen ermittelt. Und genau das passiert ja jetzt auch.

      Das Video wäre auch unter dem neuen geplanten Sicherheitsgesetz als Beweismaterial in dem Fall relevant gewesen. Das Filmen soll nämlich gar nicht verboten werden - auch wenn das in vielen Medien immer wieder fälschlicherweise behauptet wird. Es geht um das Verbreiten von Filmmaterial. Dem Staatsanwalt darf und soll man es natürlich weiterhin liefern, damit der seine Arbeit gegen kriminelle Polizisten machen kann.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Eine blödsinnige Idee nach der anderen, so kennen wir mittlerweile Herrn Macron.



    Merkel hat er schon eingelullt und das kostet uns Milliarden.



    Die französische Bevölkerung hat völlig recht mit ihren Protesten. Macron tut so, als hätte es "Black Lives Matter" nie gegeben.

  • Macron muss sich entscheiden, ob er das Schandgesetz wirklich - notfalls gemeinsam mit Madame Le Pen - durchs Parlament peitschen will.



    Dann sollte die Linke gegen diese faktische Allianz Macron/Le Pen klar die Grenze ziehen. Die sehr großzügige Stimmenleihe 2017 aus dem rosagrünen Lager - um Le Pen zu verhindern - darf sich 2022 nicht wiederholen.

    • @Linksman:

      Neue Querfront an der Seine

      Zitat @Linksmann: „...diese faktische Allianz Macron/Le Pen“

      Danke für diesen selten zu findenden Hinweis auf eine Tatsache, die in den Corporate Official Mind Media schamhaft verschwiegen wird. In der Tat erfreuen sich die französischen Sicherheitsapparate einer inniglich umarmenden Sympathie des RN, des französischen Pendants zur AfD, für den die Polizisten auschließlich Opfer und weiß Gott keine Täter sind: „Aber zur Zeit sind es in Frankreich die Ordnungskräfte, die gesteinigt, ausgeraubt und angegriffen werden.“ („Pour l'instant en France, les forces de l'ordre ce sont elles qui se font caillasser, alpaguer, agresser"), so Sebastian Chenu, Sprecher des „Rassemblement National“, des französischen Pendants zur AfD. (Quelle: AFP, 27.11.)

      Bei so viel Empathie für die Prügelpolizisten ist es daher auch kein Wunder, daß die Sicherheitskräfte Frankreichs (inkl. Polizei, Armee und Geheimdienste) eine im Vergleich zum Landesdurchschnitt doppelt so hohe Wahlaffinität zum „Rassemblement National“ (44 % gegenüber 23%) und zum RN-Verbündeten „Debout la France“ (DLF, 4% zu 2%). (Vgl. "Radioscopie de l’électorat du Front National", IFOP, 18/04/2017). Mithin darf fast die Hälfte der Beamten der französischen Sicherheitsapparate zum stabilen Wählerstamm des französischen Pendants zur AfD gezählt werden.

      Eine entsprechende Studie hierzulande dürfte sehr ähnliche Resultate ergeben. Kein Wunder also, daß sich der Innenminister dagegen sträubt wie der Teufel gegen das Weihwasser.

  • „Diese Bilder sind nicht akzeptabel. Sie machen uns Schande“

    Und deshalb dürfen solche Bilder nicht entstehen, d.h. solche Szenen nicht gefilmt werden. Ist doch logisch.

    • @Francesco:

      "Ohne Bilder, die von der Zivilgesellschaft gefilmt werden, wird die Polizeigewalt ungestraft bleiben" - ja, da stimme ich zu.

      Die Aufregung um diesen Artikel 24 ist trotzdem übertrieben. Es geht gar nicht darum, das Filmen zu verbieten.

      Unter Strafe gestellt werden soll "la diffusion de l'image du visage ou tout autre élément d'identification d'un policier ou d'un gendarme en intervention lorsque celle-ci a pour but de porter atteinte à son intégrité physique ou psychique" - nicht mehr und nicht weniger. Schon das Verpixeln der Gesichter von Polizisten wird dem Gesetz genüge tun. Und der Staatsanwaltschaft darf und soll man selbstverständlich die unverpixelten Bilder zuspielen. Das ist sogar Bürgerpflicht, wenn Polizisten Straftaten begehen.