Proteste gegen Gesetz in Frankreich: Für den Rechtsstaat auf die Straße
Hunderttausende haben in ganz Frankreich gegen das neue Sicherheitsgesetz protestiert, das Aufnahmen von Polizeieinsätzen verbieten würde.
Am Rande der Kundgebungen lieferten sich teils vermummte Demonstranten Auseinandersetzungen mit Polizisten, bei denen mehr als 60 Beamte verletzt wurden. Die Polizistinnen und Polizisten gingen ihrerseits mit Schlagstöcken gegen Demonstranten und Fotografen vor und verletzten einen freien Mitarbeiter der Nachrichtenagentur AFP am Kopf. Der 24-Jährige war laut der Organisation Reporter ohne Grenzen erst vor vier Jahren aus der syrischen Stadt Aleppo nach Frankreich geflohen.
Der Platz der Republik in Paris war schwarz von Demonstrantinnen und Demonstranten, die den Verzicht auf das umstrittene Gesetz fordern. Die Teilnehmer des „Marsches der Freiheiten“ kritisierten vor allem das geplante Verbot, Polizisten in „schädigender Absicht“ zu filmen. „Unser Leben hängt an einem Film“, stand auf einem von Hand beschrifteten Karton, den eine Frau in die Höhe hielt.
Innerhalb von einer Woche hatten zwei Filmaufnahmen Polizeigewalt dokumentiert: Am Montag hatten Polizistinnen und Polizisten Geflüchtete brutal vom Platz der Republik vertrieben. Am Donnerstag zeigte ein neunminütiges Video des Onlinemagazins Loopsider, wie vier Beamte den schwarzen Musikproduzenten Michel Zecler krankenhausreif schlugen.
„Das war eine schlechte Woche für die Freiheit und den Rechtsstaat“, sagte der Chef der Sozialisten, Olivier Faure, der zusammen mit den Parteichefs von Linkspartei La France Insoumise und Grünen in Paris auf die Straße ging. Aufgerufen zu der Demonstration hatte das Kollektiv Stop Loi Sécurité Globale, dem Gewerkschaften, Journalistenvertreter und Menschenrechtsorganisationen angehören. „Ohne Bilder, die von der Zivilgesellschaft gefilmt werden, wird die Polizeigewalt ungestraft bleiben“, erklärte das Kollektiv.
Allein in Paris versammelten sich 46.000 Menschen, die vom Platz der Republik zur Bastille zogen. Dort warfen Vermummte zum Ende der Kundgebung Feuerwerkskörper und Steine auf Polizisten und zündeten Autos an. Ein Polizist, der am Boden lag, wurde von Demonstranten mit den Füßen getreten und geschlagen.
Bereits am vergangenen Wochenende waren rund 22.000 Menschen in ganz Frankreich gegen das Gesetz auf die Straße gegangen. Der Zorn der Demonstrantinnen und Demonstranten richtet sich vor allem gegen Innenminister Gérald Darmanin, einen konservativen Hardliner, der für den umstrittenen Artikel 24 verantwortlich ist. Die Nationalversammlung hatte dem Sicherheitsgesetz am Dienstag in erster Lesung zugestimmt.
„Diese Bilder sind nicht akzeptabel“, sagt Emmanuel Macron
Als Signal an die Kritiker kündigte Regierungschef Jean Castex hinterher an, eine unabhängige Kommission einzusetzen, die den Text umschreiben soll. Sein Angebot sorgte allerdings unter den Abgeordneten für solche Empörung, dass der Premierminister zurückrudern musste: Die Kommission soll nun lediglich Vorschläge vorlegen.
In dem Durcheinander meldete sich am Freitagabend erstmals Präsident Emmanuel Macron zu Wort. „Diese Bilder sind nicht akzeptabel. Sie machen uns Schande“, schrieb Macron auf Facebook zu dem Film, der zeigt, wie die Polizisten den wehrlosen Zecler verprügeln und rassistisch beschimpfen. Die Polizisten, die Gesetze durchsetzen müssten, sollten diese Gesetz auch respektieren, forderte der Staatschef, der sich ausdrücklich zur Meinungs- und Pressefreiheit bekannte. „Frankreich darf Hass und Rassismus nicht gedeihen lassen.“
Auch der Fußball-Nationalspieler Kylian Mbappé nahm zu dem Video Stellung. Auf Twitter sprach er von „nicht hinnehmbarer Gewalt“. Die gewalttätigen Polizisten, die in ihrem Bericht zudem falsche Angaben machten, sind inzwischen vom Dienst suspendiert und in Polizeigewahrsam.
Anmerkung der Redaktion: der Text wurde nach den Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstrierenden aktualisiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit