Proteste gegen G7-Gipfel in Elmau: Der harte Kern
Bei Schloss Elmau demonstrieren genau 50 Menschen. Mehr ist nicht erlaubt. Doch auch sonst ist die Zahl der Protestierenden überschaubar. Warum nur?
M ontagmorgen im oberbayerischen Hochgebirge: Es ist nicht so, dass nur 50 Demonstrantinnen und Demonstranten zum Protest gegen den G7-Gipfel im idyllischen Schloss Elmau gekommen sind. Es sind schon ein paar mehr. Aber nur 50 der Aktivist:innen dürfen wirklich ganz nahe an die sieben Staatenlenker im Schloss Elmau heran.
Allerdings dürfen die Protestierenden nicht einfach auf eigene Faust dorthin laufen oder fahren. Nein, sie werden aus Sicherheitsgründen von der Polizei begleitet in einem Bus an Ort und Stelle gebracht. Vorher müssen sie sich ausweisen. Eine einzige Zufahrtsstraße führt von Garmisch-Partenkirchen, wo sich das Protestcamp befindet, nach Schloss Elmau. Durch schattige Mischwälder geht es Kehre um Kehre bergauf. Schließlich öffnet sich der Wald, die Straße fällt sanft ab auf eine grüne Alm und vor der Kulisse des Wettersteingebirges fällt der Blick auf das Schloss. Die Protestierenden haben tatsächlich den Ort des Gipfels erreicht.
Eigentlich hält das Protestbündnis die polizeilichen Bestimmungen, den Bus, die Ausweiskontrolle, dieses ganze Vorgehen für einen Skandal. Zum Schluss hat es sich dennoch darauf eingelassen.
Esteban Servat steht nun 500 Meter vom Schloss entfernt im Graben neben der Straße, der für die Aktion vorgesehen ist. Er ist einer der Redner. Der 37-Jährige aus Argentinien hat noch in München, am Wochenende vor seiner Fahrt in die Alpen, von seinen Motiven erzählt. Servat sagt, er habe Vertrauen darin, dass man neue Menschen gewinnen könne, denn er sei im Grunde einer von ihnen.
Der Klimaaktivismus sei eher zu ihm gekommen als andersherum, erzählt er. Zehn Jahre lang hat der Biotechnologe für einen Pharmakonzern im US-amerikanischen Silicon Valley gearbeitet, dann wollte er zurück nach Argentinien, um in einem eigenen Unternehmen Impfstoffe zu entwickeln. Dort erfuhr er von Fracking-Gasbohrungen und ihren Auswirkungen auf Umwelt und Klima und es kam alles anders. Er machte es sich zur Aufgabe, dagegen zu kämpfen.
Servat lebt seit drei Jahren in Berlin und tritt nun hier gegen den Ausbau der Gas-Infrastruktur ein. Er glaubt, das Problem der Klimabewegung sei, dass sie von Politik und Wirtschaft oft gegen die Arbeiter:innen ausgespielt werde – obwohl die Bewahrung von Lebensgrundlagen natürlich auch in deren Interesse liege. Dort will der Argentinier ansetzen, um Zuwachs für die Klimabewegung zu bekommen.
Servat nutzt jetzt vor dem Schloss die Gelegenheit, um die Forderung bekannt zu machen, mit der dieser Schulterschluss gelingen soll: ein Schuldenschnitt für die armen Länder, aber mit ökologischer Begründung. „Dept for Climate“ heißt die Kampagne. Das Argument: die ökologischen Schulden der Industrieländer, die ihren Reichtum auf ihren vielen Treibhausgasen aufgebaut haben, gegen die finanziellen Schulden des Globalen Südens.
Dass er mit dieser Forderung in Elmau offene Schlosstüren einrennt, glaubt Servat aber selbst nicht. „Das hier sind die Leute, die die Klimakrise verursacht haben, von ihnen wird nicht die Antwort kommen.“
Enttäuschung auf der Theresienwiese
Die eine Hälfte der Münchner Theresienwiese ist am Samstag vor dem G7-Gipfel prall gefüllt mit Menschen, Stimmen, Transparenten, Plakaten. Aber das Überraschende ist die andere, die leere Seite. Es sind schon mehr als 50 Menschen gekommen, aber doch weit weniger als erwartet: Nur etwa 5.000 haben sich zur größten Demonstration anlässlich des G7-Gipfels aufgerafft. Dabei ist das Wetter gut, kein Regen, keine Kälte.
Auch wenn der Umweltverband BUND später tapfer in einer Pressemitteilung erklären wird, dass „die bunte Demonstration“ ein klares Zeichen dafür sei, „wie stark der Wunsch vieler Menschen nach einer grundlegend anderen Politik der G7-Staaten ist“ – das Ganze ist eine Enttäuschung. Angemeldet war die vierfache Personenzahl.
Esteban Servat ist auch hier schon dabei. Er steigt auf die Bühne, will zu den Versammelten sprechen. Er macht Stimmung. „Seid ihr bereit, solidarisch mit den Arbeitern der Welt zu kämpfen?“, ruft er ins Publikum und erntet Jubel. „Dann kann ich euch etwas wirklich Spannendes sagen: Wir bauen eine weltweite Kampagne auf, um die Arbeiter der Welt mit der Klimabewegung zu verbinden.“ Wieder Jubel. Jedenfalls auf einer Hälfte des Platzes.
Der Gipfelprotest hat Nachwuchsprobleme. Als sich die Regierungschefs im Jahr 2007 in Heiligendamm an der Ostsee trafen, damals noch mit Russland als G8, trieb das Zehntausende auf die Straße. Und jetzt 5.000. Dabei liegen die Krisen doch offen zutage, vielleicht mehr denn je. Russland führt Krieg gegen die Ukraine. Die Pandemie ist nicht überwunden. Die Preise für fossile Energie treiben viele Menschen in die Verzweiflung. Hunger und Armut breiten sich aus. Und die Klimakrise, die all die anderen Krisen noch verschärft, hinterlässt sichtbare Spuren in der Welt.
Die G7-Regierungen spielen in vielen dieser Krisen eine Hauptrolle, sind mächtige Player auf dem Weltmarkt und zu siebt für ein Viertel der weltweiten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Es passt deshalb, dass es neben den traditionellen Globalisierungskritiker:innen mittlerweile vor allem Klimaaktivist:innen wie Esteban Servat sind, die gegen die G7 mobil machen.
Doch auch die Klimabewegung hat zahlenmäßig schon bessere Zeiten gesehen: Nach den großen Protestwellen von Fridays for Future ab 2018 kam Corona und machte Massendemonstrationen lange unmöglich. Bis heute erreichen sie nicht ihre alte Größe.
Es fehlen die Nachbarn von nebenan
Es ist auffällig in München: Die meisten dort haben ein T-Shirt, Plakat oder Transparent, das sie als Mitglied oder gar Angestellte:n einer Organisation ausweist. Kaum vertreten sind Familien mit Kindern oder andere Grüppchen, Anwohner etwa, die zwischen Picknick und Samstagabendbier den sommerlichen Demo-Spaziergang durch die Stadt mitnehmen – also die Menschen, die zwar Proteste nicht organisieren, sie aber groß machen.
Nach der Demo in München setzt sich Servat in einen Zug, unterwegs zum eingeschworenen harten Kern des Gipfelprotests. In Garmisch-Partenkirchen, kurz vor der Grenze zu Österreich und nahe dem Tagungsort Schloss Elmau, treffen sich ein paar Hundert Menschen.
Am Samstag sind es vielleicht 50 Zelte, die auf der Wiese am Ufer der Loisach vor einer gigantischen Bergkulisse stehen. Auf den Parkplätzen in der Nähe reihen sich die Polizeiwagen aneinander, auch auf dem Kiesweg zum Camp trifft man auf ein gutes Dutzend Polizist:innen. Viel zu tun haben sie nicht. Vor Ort seien etwa 120 Aktivist:innen, sagt eine Polizistin.
Eine von ihnen ist Tatjana Söding. Die 25-Jährige ist eine der Sprecher:innen von „Stop G7“, dem Bündnis hinter dem Protestcamp und den Aktionen, die es in Garmisch-Partenkirchen geben soll. Ein Interview nach dem anderen gibt die junge Frau in der Stunde, die das Camp für die Presse geöffnet ist. Sie beantwortet Fragen, dreht sich bereitwillig von einer Kamera zum nächsten Smartphone.
Die Sonne prallt auf das Zeltlager, ab und zu streicht sich Söding erschöpft die Haare aus dem Gesicht – dann geht es weiter mit dem nächsten Gespräch. „Die G7 sind sehr gut darin, Themen vermeintlich aufzunehmen, die soziale Bewegungen schon lange fordern“, sagt sie. Damit meint sie etwa Gender-Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, globale Kooperation. „Aber es geht mehr darum, diese Themen vor sich her zu tragen, sie sind nicht wirklich Teil der Politik – vielen Leuten reicht das vielleicht, sie denken, dass es vorangeht.“
Söding hat gerade ihr Studium in Humanökologie beendet und war schon in verschiedenen Teilen der Klimabewegung aktiv, zurzeit vor allem bei „Sand in Getriebe“. Die kleine Gruppe setzt sich für eine radikale Verkehrswende ein, auch mit Mitteln des zivilen Ungehorsams. Söding stimmt aber auch zu: „Der Klimagerechtigkeitsbewegung fehlt gerade das Momentum.“
Schwierig sei das aber natürlich dadurch, dass die Menschen in Deutschland und anderen reichen Ländern größtenteils von er bisherigen Politik der G7 profitieren. Im Übrigen würden aber im Camp noch einige mehr erwartet, bevor am Sonntag die geplante Demo beginnt.
„Ich suche den kreativen Protest“
Am Sonntagmorgen hat sich die Wiese tatsächlich etwas gefüllt. Etwa 300 seien da, weitere noch auf der Anreise, heißt es. Einer der Neuankömmlinge ist der Münchner IT-Projektmanager Hagen Pfaff, der auch für „Stop G7“ spricht. Der 58-Jährige hat schon viel Gipfelerfahrung, war auch in Heiligendamm dabei. „Ich war 20 Jahre bei Attac“, sagt er. „Das hat sich aber abgenutzt.“
Jetzt ist Pfaff Klimaaktivist bei Extinction Rebellion. Die Gruppe ist für ihre spektakulären und dramatischen Aktionen bekannt, bei denen auch mal der Tod in Kostümform einen Auftritt hat und viel Kunstblut fließt. „Ich suche den kreativen Protest“, meint Pfaff lächelnd.
Er blickt gelassen auf die Teilnehmer:innenzahlen. „Auf die genaue Zahl kommt es mir gar nicht an, ein Erfolg wäre es, wenn wir die Weltöffentlichkeit erreichen“, meint Pfaff. Natürlich seien der Klimabewegung über die Coronapandemie viele Menschen weggebrochen.
Forderungen an den Gipfel hat „Stop G7“ nicht. Die Aktivist:innen im Protestcamp lehnen das Format als Ganzes ab, in dem die mächtigen sieben Staaten weitgehend unter sich über die Zukunft der Welt verhandeln. Doch da gibt es in der Öko-Szene auch andere Sichtweisen. Manche Klimaschützer:innen wollen den Gipfel nicht abschaffen, sondern beeinflussen.
Am anderen Ende von Garmisch-Partenkirchen liegt das Medienzentrum, in dem die meisten von den Hunderten Journalist:innen arbeiten. Am Sonntagmittag ploppt auf den Bildschirmen in der Zeltstadt eine Nachricht auf: Während „Stop G7“ mit rund 1.000 Menschen in der Stadt gegen den Gipfel demonstriert, wollen internationale Nichtregierungsorganisationen kurzfristig Medienvertreter in einem Hintergrundgespräch über dessen Fortgänge aufklären.
Zufrieden sind sie aber auch nicht – ganz im Gegenteil. „Aus Elmau erreichen uns alarmierende Nachrichten“, berichtet Friederike Meister, die Deutschland-Direktorin von Global Citizen, einer internationalen Kampagnenorganisation. Man höre aus den Verhandlungen, dass Deutschland die Vereinbarung blockiere, nach der bis Ende des Jahres keine neuen fossilen Energiequellen mehr erschlossen werden sollten.
Die G7 hatten sich erst im Mai darauf verständigt, die Ampelregierung hat es im Koalitionsvertrag verankert. Aber Russland dreht am Gashahn, über die Hauptleitung Nord Stream 1 fließt 60 Prozent weniger Gas als gewöhnlich. Die Bundesregierung befürchtet eine Kettenreaktion: Fehlt das Gas, stottert die Wirtschaft, drohen wirtschaftlicher Abschwung und Verlust von Arbeitsplätzen. Hinzu kommen explodierende Gaspreise. Im Kanzleramt ist man besorgt: Es gehe nun darum, dass russische Gas irgendwie zu ersetzen.
Konkret geht es um ein Gasfeld im Senegal. Bei seinem Besuch im Mai hatte Bundeskanzler Olaf Scholz dem Land bereits Unterstützung bei der Exploration dieses Gasfelds zugesagt. Das dürfe natürlich auf keinen Fall zu Lasten der Pariser Klimaziele gehen, heißt es. Nichtregierungsorganisationen wie Global Citizen befürchten, dass genau das passiert. „Das würde alle Bemühungen umkehren und das 1,5-Grad-Ziel ernsthaft gefährden“, warnt Meister.Doch wie aus einem internen Regierungspapier hervorgeht, will Deutschland im Verbund mit Italien in die Abschlusserklärung diesen einen Satz hineinschmuggeln: „Wir erkennen an, dass öffentlich gefördertes Gas notwendig ist – im Lichte der aktuellen Krise.“
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