piwik no script img

Proteste am Tagebau GarzweilerEin zweiter Hambacher Forst

Demonstranten am Tagebau Garzweiler wehren sich gegen Pläne von RWE, sie umzusiedeln und ihre Dörfer abzubaggern.

Blick in die Grube von Wanlo aus: Der Kohleabbau schluckt die Dörfer der Umgebung Foto: Caroline Seidel/dpa

Kuckum taz | „Wir haben vor 23 Jahren hier gebaut und einen 2.000 Quadratmeter großen Garten angelegt“, sagt Waltraud Kieferndorf aus Kuckum. „Im Laufe der Jahre haben wir exotische Pflanzen und Raritäten gesammelt, über hundert Bäume gepflanzt, über 100 Rhododendren und Azaleen. Das kriegen wir nie wieder. Nicht in diesem Leben und schon gar nicht von RWE. Wir ziehen nicht um. Die Zeiten sind vorbei.“

Kuckum ist eines der Dörfer, die RWE umsiedeln, abreißen und abbaggern will, um den Tagebau Garzweiler II zu erweitern. Aber viele Dorfbewohner*innen wollen nicht gehen. Unter dem Motto „Alle Dörfer bleiben“ organisieren sie Widerstand.

Am Sonntag hat die Initiative zusammen mit der Deutschen Stiftung für Denkmalschutz den „Tag des offenen Denkmals“ veranstaltet. Auf dem Spaziergang zeigten Dorfbewohner*innen den rund 100 Teilnehmer*innen des Spaziergangs ihre Höfe, das Wasserschloss, die alte Kornmühle, die Dorfkirche, Pferdekoppeln und Felder.

All das soll in den kommenden Jahren Schritt für Schritt im Loch des Tagebaus verschwinden. „Es gibt Menschen, die umsiedeln wollten und das auch getan haben“, sagt David Dresen, ebenfalls aus Kuckum. „Hier haben mal knapp 500 Menschen gewohnt.“ Davon sei ein Drittel ausgezogen, aber nur die Hälfte nach Neu-Kuckum: Die anderen seien woanders hingezogen, weil der neue Ort kein Dorf ist, sondern eine Neubausiedlung an einer Stadt.

RWE argumentiert mit Sozialverträglichkeit

Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaft ist es im Rahmen des Kohlekompromisses nicht mehr nötig, den Hambacher Forst oder die Dörfer am Tagebau Garzweiler abzubaggern. RWE beruft sich allerdings darauf, die Umsiedlungen zu Ende bringen zu müssen, um Sozialverträglichkeit zu sichern und einer Spaltung der Dorfgemeinschaften vorzubeugen. „Die Dorfgemeinschaft ist gespalten, seit es RWE hier gibt“, sagt Dresen. „In vorherigen Umsiedlungen sind maximal 60 Prozent der Leute mitgezogen. Das ist auch die Statistik für uns, die RWE selbst rausgegeben hat.“

Wer bleiben wolle, würde nicht in das Neubaugebiet ziehen, selbst wenn die Dörfer abgerissen würden, sagt Dresen. „Wir haben noch keinen einzigen Landwirt, der mit umgesiedelt ist. Keinen, in keinem der Dörfer. Weil es am neuen Ort keine Flächen gibt und andere Auflagen gelten. Wir haben einen Friseur, zwei Metzger, zwei Bäcker, zwei Reiterhöfe und locker 30 Bauern. Alle diese Leute können Stand heute überhaupt nicht mit. Sie müssten ihre Existenz aufgeben.“

Auch Elisabeth Hoffmann-Heinen ist zum Dorfspaziergang gekommen. Sie hat früher im zu Mönchengladbach gehörenden Wanlo gewohnt. „Da habe ich vor 30 Jahren dasselbe gemacht, wie die Menschen hier heute“, sagt sie. Auch Wanlo sollte eigentlich – wie die Dörfer Kuckum und Keyenberg – für den Tagebau Garzweiler abgebaggert werden. „In den 90er Jahren ging es nicht um CO2, sondern ums Grundwasser.“ Das Grundwasser wird in den Tagebauen abgepumpt, dadurch sinkt der Wasserspiegel. „Wir haben unheimlich Druck gemacht.“ Das Verhalten der Landesregierung aktuell könne sie ebenso wenig nachvollziehen: „Ich habe so eine Wut innerlich, was die Politik mit uns macht. Sie macht genau, was RWE sagt. Wir werden von vorne bis hinten belogen.“

Es geht nicht nur um Heimat, sondern auch um Klimapolitik

Für Kieferndorf und Dresen aus Kuckum geht es bei den Dörfern nicht nur um ihre Heimat. Es geht auch um Klimapolitik. „Es gibt keinen Grund mehr, uns zwangsumzusiedeln“, sagt Kieferndorf. „In Zeiten von Klimakrise wollen wir das nicht unterstützen, indem wir unseren Garten noch hergeben, unter dem Braunkohle liegt. Nee, die bleibt schön unten.“

Dresen sagt, es brauche ohnehin einen frühen Kohleausstieg: „Uns fliegt die gesamt Erde um die Ohren. De facto können wir es uns energie- und klimapolitisch nicht erlauben, das hier abzureißen. Und noch viel weniger werden die Menschen das mitmachen. Wenn hier die Dörfer abgerissen werden, haben wir hier einen zweiten Hambi und ich kann mir nicht vorstellen, dass die Landesregierung das politisch überlebt.“

Für den Fall, dass die Dörfer erhalten bleiben, entwickeln die Anwohner*innen bereits Pläne. „Wir haben das Gefühl, dass die Menschen noch nie so engagiert waren wie jetzt“, sagt Dresen. „Menschen aus den Dörfern schreiben Anträge für Erneuerbare-Energie-Projekte. Wir wollen hier wieder eine Kneipe und ein Café ins Leben rufen, wir wollen wieder einen Markt aufbauen.“

Die Lage der Grundstücke 40 Bahnminuten von Köln entfernt ist gut, die Bewohner*innen berichten von vielen Anfragen von Leuten, die gern herziehen würden – wenn RWE sie ließe. Nach aktuellem Plan soll der Abriss der Dörfer ab 2027 beginnen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • und Frau Selle muss nun zwischen beiden Kampfschauplätzen pendeln?

  • Warum in aller Welt macht RWE das? Sie wissen, dass sie in absehbarer Zeit aus der Kohle raus sind, so oder so. Ausserdem rentiert sich Braunkohle für die immer weniger.

    Rechnen sie sich höhere Entschädigungen aus, wenn sie vorher noch schnell möglichst viel Verwüstungen anstellen?

  • Solange die nimby-Fraktion Windkraftwerke und Stromtrassen bekämpft, haben die Braunkohlekraftwerk- und AKW-Anrainer schlechte Karten.

    Strom kommt nicht einfach aus der Steckdose, sondern wird (bisher überwiegend noch) zentral produziert.

    Erforderlich ist also eine konsequente Dezentralisierung der Stromproduktion, so dass jeder Verbraucher sehen kann wo und wie die Produktion stattfindet.

    Z.B.: warum ist in Städten nicht auf jedem geeigneten Dach eine Photovoltaikanlage, warum befinden sich nicht rund um Städte (Orte des größten Verbrauchs) an geigneten Orten Windkraftwerke ?

    Warum gibt es nur wenige Blockheizkraftwerke (Kraft-Wärme-Kopplung) ?

    Stattdessen eine wird eine mehr romantische Natursicht zelebriert, die nach dem o.a. Artikel durchaus befragt werden muss.