Protestaktion gegen Müll: Die Gurke braucht keine zweite Schale
Deutschlands erste „Plastic Attack“: Kund*innen entsorgen die Verpackungen ihrer Einkäufe im Supermarkt – und sorgen für Verwirrung.
![Vor einem Rewe-Supermarkt in Berlin werden die Lebensmittel in nachhaltige Gefäße umgefüllt Vor einem Rewe-Supermarkt in Berlin werden die Lebensmittel in nachhaltige Gefäße umgefüllt](https://taz.de/picture/2707227/14/20579529.jpeg)
Um fünf vor zwölf heißt es an diesem Samstag: Bühne frei! Auf dem Treppenpodest vor dem Rewe-Supermarkt an der Warschauer Straße im Berliner Bezirk Friedrichshain parken zwei leere Einkaufswagen. Eine Traube von etwa zwanzig Menschen hat sich darum versammelt. Dann öffnet sich die Schiebetür des Supermarktes, zwei junge Frauen treten heraus. Sie stellen ihre Einkäufe in die Wagen und beginnen, sie von ihren Plastikverpackungen zu befreien.
Gurken werden aus ihrer Folie geschält, Gummibärchen entpackt und sogar die Milch wird mit Hilfe eines Trichters in Glasflaschen umgefüllt. Am Ende verstauen sie alles in mitgebrachten Stoffbeuteln und Tupperdosen. Das Plastik bleibt im Wagen zurück. „Was soll das ganze Theater?“, liest man in den fragenden Blicken vieler Passant*innen.
Der Flashmob vor dem Supermarkt ist eine koordinierte „Plastik-Attacke“, die erste in Deutschland. Organisiert hat sie die Berliner Jugendorganisation des Umweltverbandes BUND über soziale Medien. Die Gruppe will damit auf die unnötigen Massen an Kunststoffmüll aufmerksam machen. „Das ist doch bescheuert! Gurken haben doch schon eine Schale“, ärgert sich Björn, der unter den Protestierenden ist. Trotzdem würden sie bekanntlich oft zum Verkauf in Plastik eingeschweißt. „Bei der ‚Plastic Attack‘ geht es uns darum, die Verantwortung zurückzugeben“, sagt er. „Als Käufer wollen wir das Plastik nicht, deswegen lassen wir es heute im Laden.“
Plastikattacken wie diese fanden in den vergangenen Monaten schon in Bristol, Brüssel, Amsterdam, Oslo und Melbourne statt – und sie finden immer mehr Fans. Die Idee: Käufer*innen erledigen ihren normalen Einkauf, aber lassen überflüssige Verpackungsmaterialien im Supermarkt zurück – alles ganz legal, denn im Grundsatz sind Supermärkte verpflichtet, einen Teil des Verpackungsmülls zurückzunehmen.
Plastikabfall ist weltweit zu einer massiven Belastung für die Umwelt geworden. In Deutschland fallen jährlich rund fünf Millionen Tonnen davon an. Die Veranstalter*innen der Aktion kritisieren, nicht einmal die Hälfte des Plastikmülls werde recycelt, ein Großteil werde klimaschädlich verbrannt und ein beträchtlicher Rest lande im Meer. „Nur davon, dass man den Plastikmüll im Supermarkt lässt, wird er aber nicht weniger“, meint Teilnehmerin Julia.
Vor allem Symbolcharakter
Den Müll zu reduzieren sei das übergeordnete Ziel, erklärt die Studentin den Grund für ihr Kommen. Die Aktion hat für sie deshalb vor allem Symbolcharakter. Es gehe darum, die Supermärkte dazu zu bewegen, ein Angebot zu schaffen, mit dem man zukünftig weniger Müll einkauft. Sie hebt ein Bündel Bananen aus ihrem Einkaufskorb und sagt: „Ich fände es super, wenn ich das Plastikband um die Früchte nicht wegschmeißen müsste.“
Den Veranstalter*innen von der BUNDjugend geht es auch darum, mit Menschen über das Müllproblem ins Gespräch zu kommen. Schon vor einigen Wochen organisierten sie dafür einen sogenannten Trashmob. Als Müllmonster verkleidet konfrontierten sie auf dem Pariser Platz in Berlin Passant*innen mit der überbordenden Abfallproduktion.
Auch an diesem Samstag finden sich spontan Mitstreiter*innen: Aurelie und Maude sind schnell überzeugt und entfernen das Plastik von ihren Drogerieartikeln. Ingo, ein Friedrichshainer mit Stehkragen und Seitenscheitel, packt mit Hilfe seines Sohnes Klopapierrollen in eine Papptüte.
Vor dem Supermarkt herrscht an diesem Vormittag eine ausgelassene Stimmung, auch wenn nicht alle die Idee auf Anhieb verinnerlicht haben: Manch einer nutzt das demonstrativ zurückgelassene Plastik der anderen, um die eigenen Einkäufe darin zu verstauen.
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