Pro und Contra Lebendtierhandel: Gehören lebende Tiere auf Märkte?
Auf Hamburgs Wochenmärkten dürfen künftig keine lebenden Tiere mehr verkauft werden, so beschloss es die Bürgerschaft. Auch auf dem Fischmarkt nicht.
JA
Die Absicht der Bürgerschaft, den Handel mit lebenden Tieren auf den Wochenmärkten zu verbieten, ist denkbar schwach begründet. Dieser entspreche „nicht den heutigen gesellschaftlichen Maßstäben im Umgang mit lebenden Tieren“, heißt es in dem entsprechenden Antrag der Linken. Hamburg müsse den Tieren den Stress der Transportwege und der Marktfläche ersparen, erläutert die Fraktion in der begleitenden Pressemitteilung.
Zwar ist es löblich und auch die Aufgabe von Parlamentariern, dass sie die Stimmungen des Volkes aufnehmen. Doch das reicht nicht als Voraussetzung dafür, den Freiheitspielraum aller Bürger einzuschränken. Für ein Verbot ist der Verweis darauf, etwas sei „anachronistisch“, zu mager.
Auch der Stress auf dem Transportweg ist kein gutes Argument. Würde es ziehen, hieße das, den Transport von Tieren komplett zu verbieten. Dann wäre es nicht einmal mehr möglich, eine Hauskatze zum Tierarzt zu bringen. Und auch der Angst vor den Eindrücken auf dem Markt sind die Tiere nur kurze Zeit ausgesetzt – so sie dort überhaupt Angst empfinden. Dazu kommt, dass die Vorlage nicht differenziert: Hummer oder Hamster – der Handel mit beiden wäre gleichermaßen verboten. Nicht einmal ein lebender Karpfen könnte mehr auf dem Fischmarkt gekauft werden.
Es mutet seltsam an, dass eben dieser Markt, der ja zu den Wahrzeichen Hamburgs gehört, ein Stückchen weniger bunt und dafür steriler werden soll. Tausende Hamburger erfreuen sich bei ihren Reisen ins Ausland der ach so malerischen, vielfältigen Märkte mit ihren Attraktionen. Und zu Hause wird das verboten, weil das Meerschweinchen eine posttraumatische Belastungsstörung bekommen könnte.
Das aufwendig gezüchtete und liebevoll gepäppelte Huhn nicht an einen dahergelaufenen Besoffenen zu verkaufen, dürfte sich im Übrigen von selbst verstehen. Gernot Knödler
NEIN
Man sollte keine lebenden Tiere auf Märkten verkaufen: weder auf Hamburgs Fisch- und Wochemärkten noch sonstwo auf der Welt. Man sollte auch keine Schweine in Lkw transportieren und keine Kücken schreddern. Aber bis zum großen, globalen Wurf dauert es noch, und darum fangen wir am besten vor der Haustür an.
Denn nicht nur, dass die Tiere auf den Märkten Stress und Lärm ausgesetzt sind. Sie sind ihren KäuferInnen auch ausgeliefert. Denn egal, ob Betrunkene, heimliche SadistInnen oder „normal“ Gleichgültige Huhn, Kaninchen oder Meerschwein erwerben: Wer sagt, dass das Kaninchen nicht verhungert, das Meerschwein ausgesetzt, das Huhn geschlachtet wird? Und wer garantiert im letzteren Fall, dass es immerhin fachkundig gemäß der Tierschutz-Schlachtverordnung geschah?
Nein, es ist nicht gut, dass der Erwerb von Lebewesen so spontan möglich ist. Und wer es verbietet, blendet die weiteren Probleme nicht aus. Im Gegenteil: Er macht einen gesellschaftlichen Konsens sichtbar, der da lautet: „Der Anblick lebender Tiere in Käfigen auf Märkten gehört nicht mehr zur Normalität und fräst sich nicht länger ins optische Gedächtnis der BesucherInnen. Auch der Kauf der ‚Ware Tier‘ aus einer Laune heraus ist ab jetzt ein No-Go.“
Denn das ist ja das eigentliche Postulat von Denkern wie dem Biologen und Buddhisten Matthieu Ricard: das menschliche Überlegenheitsgefühl zugunsten einer Ethik abzulegen, die Tierwohl und -würde einschließt.
Und selbst wenn man Tiere nicht aus ethischen Gründen schützt, sollte man es zumindest aus menschheits-egoistischen Erwägungen tun: Nicht nur, dass Massentierhaltung den Klimawandel befeuert. Auch war der Tierhandel auf Märkten mit seiner lieblos-technokratischen Nähe von Mensch und Tier wohl Auslöser der Corona-Zoonose. Klar, die kam nicht von einem Hamburger Markt. Aber das nächste Mal könnte es so weit sein. Petra Schellen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren