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Pride-Verbot in UngarnWenn Sichtbarkeit strafbar wird

Jonathan Gerbig
Kommentar von Jonathan Gerbig

Die Orbán-Regierung verbietet den CSD – auch um Kinder zu „schützen“. Doch eher geht es um Einschüchterung und das Unsichtbarmachen queerer Menschen.

Künftig in Ungarn verboten: queere Sichtbarkeit, hier die Budapest Pride 2023 Foto: Balint Szentgallay/NurPhoto/imago

D as ungarische Parlament unter Ministerpräsident Viktor Orbán hat am Dienstagnachmittag den Christopher Street Day (CSD) und andere Pride-Veranstaltungen in Ungarn verboten. Die Begründung für die Änderung des Versammlungsrechts, man wolle Kinder schützen, ist so alt wie Queerfeindlichkeit selbst. Neu hingegen sind die Methoden, mit denen die Teil­neh­me­r*in­nen „überführt“ werden sollen. Pride-Paraden sind seit jeher ein Kampf für die politische und gesellschaftliche Anerkennung und Sichtbarkeit queerer Menschen.

Wie jeder Einsatz für Menschenrechte ist die Teilnahme an einem CSD die Entscheidung zwischen der langfristigen Freiheit und der kurzfristigen Sicherheit. Schon die Stonewall Riots – die für die Pride-Märsche namensgebenden Aufstände in der New Yorker Christopher Street – endeten mit den Festnahmen von 13 Aktivist*innen, denen das Ausleben ihrer Wahrheit wichtiger war als ihre körperliche Unversehrtheit.

Festnahmen sind in Ungarn bisher nicht angekündigt, Strafen aber schon. Trotz einer geplanten Geldbuße von umgerechnet rund 500 Euro für Or­ga­ni­sa­to­r*in­nen und Teil­neh­me­r*in­nen postete der links-grüne Bürgermeister Budapests Gergely Karácsony auf Facebook, dass es einen Pride-Marsch geben würde – vielleicht den größten bisher.

Leichter gesagt als getan, denn es droht nicht nur die Geldbuße in Höhe eines durchschnittlichen Monatslohns in Budapest. Die Teil­neh­me­r*in­nen sollen mithilfe von Gesichtserkennungssoftware festgestellt werden. Einer Zuschreibung des Bilds einer Person mit ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Geschlechtsidentität oder damit, dass sie sich ganz einfach für eine freie Gesellschaft einsetzt, steht dann nichts mehr im Weg.

Keine Anonymität mehr

Eigentlich bieten Großdemonstratio­nen wie Pride-Märsche eine gewisse Sicherheit – eine Person von vielen zu sein schafft Gemeinschaft wie Anonymität. In Budapest, wo seit 1997 CSDs stattfinden, wird das wohl bald nicht mehr der Fall sein.

Die Begründung, „Schützt doch einer mal die Kinder“, ist nicht neu. Das war sie auch 2023 nicht, als in den USA öffentliche Drag-Shows verboten werden sollten. Oder 2021, als Ungarn den Zugang zu queer-inklusiven Medien für Kinder und Jugendliche verbot. Oder 2020, als der angehende deutsche Kanzler Friedrich Merz auf die Frage zu einem schwulen Bundeskanzler antwortete: „Solange sich das im Rahmen der Gesetze bewegt und solange es nicht Kinder betrifft.“

Solidarität wichtig

Kinderschutz als Grundstock für Queerfeindlichkeit überrascht wirklich niemanden mehr – doch dass diese Angstmacherei immer und immer wieder so gut funktioniert, bleibt schockierend. Besonders, da das neue Gesetz die Existenz all jener Kinder negiert, die vielleicht in zehn oder zwanzig Jahren selbst für ihre Queerness auf die Straße gehen werden.

Wenn sich also laut der Fidesz-Partei Kinder und Jugendliche ganz schrecklich vor queeren Menschen fürchten sollten und sich queere Menschen mehr und mehr vor der Orbán-Regierung fürchten müssen, wer kann dann noch Zuversicht schaffen?

Neben Karácsony protestieren auch oppositionelle Abgeordnete und zündeten während der Abstimmung Rauchbomben im Plenarsaal. Die Ver­an­stal­te­r*in­nen von Budapest Pride kündigten an, die unter dem Motto „Wir sind (zu Hause)“ geplante Demo stattfinden zu lassen: „Sie haben unzählige Male versucht, unseren Marsch zu verbieten – und sind gescheitert. Sie werden auch jetzt keinen Erfolg haben.“ Dabei ist es im Falle Einzelner natürlich denkbar – ja, auch verständlich –, dass sie ihre Teilnahme am CSD dieses Jahr aussetzen. Umso wichtiger, dass weiter nach Ungarn geschaut und sich solidarisiert wird. Vienna Pride hat bereits eine Solidarisierungsdemo angekündigt.

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Jonathan Gerbig
Masterstudent am Journalistischen Seminar der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Foto: Elke Seeger
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7 Kommentare

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  • Michaela Dudley , Autorin , Journalistin/Kabarettistin

    Danke vielmals für die Thematisierung.

    Und wer schützt queere Kinder und deren Familien vor der Gewalt und dem Psychoterror der Hassenden?

    Es ist ja Hass, diese sogenannte Phobie. Denn die Reduzierung der anti-queeren Feindseligkeiten auf Angst verharmlost das Problem und suggeriert, die Opfer müssten sich endlich „normal“ verhalten.

    Queere Rechte sind Menschenrechte und dürfen nicht auf dem Altar des Fundamentalismus geopfert werden.

    taz.de/Was-das-Wah...bedeutet/!6068644/

  • Auch bei uns ist der "Kinderschutz" pervertiert, weil er als Keule für Massenüberwachung missbraucht wird.



    So krass und undemokratisch und menschenverachtend das in Ungarn ist: Bei uns gibt es ein ähnliches "Argument" wenn Politiker:innen unsere Rechte beschneiden und behaupten das wäre "Schutz" von Kindern und Jugendlichen.

    Leider sammeln sich in Ungarn seit vielen Jahren die rechtsradikalen Auswanderer. An solchen perversen Abstimmungen und Gesetzen wird es dann eben spürbar.

  • Wann merken die Menschen endlich, was für eine unmenschliche Regierung sie gewählt haben?



    Wo bleibt die Ach so christliche Nächstenliebe im ach so christlichen Ungarn, der Slowakei, Polen usw?



    Nichts als Hass und Ausgrenzung. Und ein Ende ist nicht abzusehen.



    Ich wünsche allen Familien ein queeres Familienmitglied. Das würde vielleicht zu Toleranz beitragen

  • In meiner "Welt" sind mir Drag Queens und Queers ziemlich egal, ich kann damit ehrlich gesagt nichts anfangen. (ich habe auch einige persönlich kennen gelernt).

    ABER: ich habe NIE erlebt, dass dieser Personenkreis anderen Menschen Gewalt irgendeiner Form antut oder sie auch nur irgendwie behindert/belästigt (in strafrechtlich relevanter Form).

    Daher: derzeit und ÜBERHAUPT: wir ALLE haben genug andere Probleme zu lösen...

    • @Achim Schäfer:

      In meiner "Welt" sind mir Cis Männer und Heteros ziemlich egal. Ich kann damit ehrlich gesagt nichts anfangen. (ich habe auch einige persönlich kennen gelernt).

      ABER: ich habe OFT erlebt, dass dieser Personenkreis anderen Menschen Gewalt irgendeiner Form antut oder sie irgendwie behindert/belästigt (in strafrechtlich relevanter Form).

      Daher: derzeit und ÜBERHAUPT: wir ALLE haben genau diese Probleme zu lösen...

      • @oricello:

        Drag Queens sind nicht automatisch keine Cis Hetero Männer... Jetzt wird es für sie zum Problem.



        Was genau ist denn Ihr Problem mit der Aussage von Achim?

        • @Stazi :

          Woraus schließen Sie nur, dass ich ein Problem mit Achims Aussage habe?

          Darf ich hier nicht auch sagen, wer mir egal ist und welche größeren Probleme ich sehe? Bitte nicht persönlich nehmen...

          Ich habe verstanden, dass Achim Drag Queens und Queers nicht für gefährlich oder sonderlich störend hält, aber auch, dass sie ihm als Menschen und Teil der Gesellschaft egal sind. Kann ich problematisch finden oder auch nicht, je nachdem auf welcher Seite der Privilegien ich stehe.