Presserat über die Polizei-Kolumne: Menschenwürde nicht verletzt
Der Presserat sieht in der Kolumne von Hengameh Yaghoobifarah keinen Verstoß gegen das Presserecht. Der Text sei von der Meinungsfreiheit gedeckt.
![Polizeimützen und Polizeiuniformen Polizeimützen und Polizeiuniformen](https://taz.de/picture/4367176/14/Kolumne-Yaghoobifarah-1.jpeg)
In der Kolumne, die am 15. Juni in der taz erschien, protestierte Yaghoobifarah satirisch-polemisch gegen strukturellen Rassismus bei der Polizei. Unter dem Titel „All cops are berufsunfähig“ beschäftigte sich Yaghoobifarah mit der Frage, was mit Polizeibeamt*innen geschehen soll, falls die Polizei aufgelöst würde, wie nach dem Mord an George Floyd in den USA diskutiert. Yaghoobifarahs Antwort: Die Ex-Polizist*innen sollten auf die Müllhalde, „wo sie wirklich nur von Abfall umgeben sind“ und kein Unheil anrichten können.
Es folgte der Satz, der auch innerhalb der taz viel diskutiert wurde: „Unter ihresgleichen fühlen sie sich bestimmt auch selber am wohlsten.“ In ihrer Stellungnahme schrieb Yaghoobifarah, dass mit der Formulierung „unter ihresgleichen“ andere „Ex-Cops“ gemeint waren.
Stellungnahme der taz-Chefredaktion
Der Presserat ist am Dienstag zu dem Schluss gekommen, die Beschwerden gegen die taz-Kolumne „All Cops are berufsunfähig“ als unbegründet zurückzuweisen. Nach gründlicher Prüfung wird auch die Berliner Staatsanwaltschaft wohl die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen unser.e Autor.in Hengameh Yaghoobifarah ablehnen: weil man über Satire streiten kann, sie aber kein Fall für die Justiz ist. Das wird auch Bundesinnenminister Horst Seehofer mit einem Stoßseufzer zur Kenntnis genommen haben, der gerade noch der Blamage entgangen ist, von der Berliner Justiz bloßgestellt zu werden.
Die taz hat sich, wie keine andere Redaktion es tun würde, kritisch und transparent mit dem Text und seinen Auswirkungen auseinandergesetzt.
Worüber wir jetzt reden müssen, ist etwas anderes: Wir müssen darüber reden, dass unser.e Autor.in von einem rechten Mob bedroht wird. Dass offenbar mindestens zwei Polizist.innen aufgrund der satirischen Kolumne illegal die Privatdaten unserer Autor.in abgefragt haben, wie neue Ermittlungen zeigen. Und wir müssen darüber reden, was die Rhetorik von CSU, Polizeigewerkschaften und Bundesinnenminister dazu beigetragen hat.
Barbara Junge, taz-Chefredakteurin
Gegen die Kolumne gingen beim Deutschen Presserat 382 Beschwerden ein, darunter etliche von Polizeivertreter*innen. Sogar Bundesinnenminister Horst Seehofer hatte sich an den Presserat gewandt, nachdem er auf eine zunächst angekündigte Strafanzeige verzichtete. Nach Einschätzung des Presserats gab es noch nie so viele Beschwerden über einen konkreten Text.
Beschwerden „unbegründet“
Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2019 erreichten den Presserat 2.175 Eingaben. Die Beschwerden gegen Yaghoobifarahs Text stützen sich vor allem auf Ziffer 1 des Pressekodex, wonach die „Wahrung der Menschenwürde“ zu den obersten Geboten der Presse zählt.
Doch der Presserat wies die Beschwerden nun durchweg als „unbegründet“ zurück. Die Polizei als Teil der Exekutive müsse sich gefallen lassen, von der Presse scharf kritisiert zu werden. Die Satire von Yaghoobifarah beziehe sich im Kern auf die gesellschaftliche Debatte über Probleme bei der Polizei wie Rechtsradikalismus, Gewalt und Rassismus.
Die Kolumne verstoße nicht gegen die Menschenwürde von Polizist*innen, da sich die Kritik nicht auf Einzelpersonen, sondern auf eine Berufsgruppe beziehe, so der Presserat. Die Annahme, dass nur die „Mülldeponie“ als Ort für Ex-Polizist*innen geeignet sei, berühre „Geschmacksfragen“, über die sich streiten lasse. Die Interpretation mancher Beschwerdeführer, Polizisten würden hier mit Müll gleichgesetzt, hielt der Presserat für „nicht zwingend“.
Das „drastische Gedankenspiel“ biete vielmehr Raum für unterschiedliche Interpretationen und falle daher noch unter die Meinungsfreiheit. Der Presserat wies auch die Annahme mancher Beschwerdeführer zurück, hier werde eine „soziale Gruppe“ diskriminiert und Ziffer 12 des Pressekodex verletzt. Die Polizei falle als „gesellschaftlich anerkannte Berufsgruppe“ nicht unter den Diskriminierungsschutz des Pressekodex – „anders als etwa Angehörige von religiösen oder ethnischen Minderheiten“.
Auch kein Ermittlungsverfahren
Der Deutsche Presserat besteht seit 1956 und versteht sich als Selbstkontrolle der Presse. Den Beschwerdeausschüssen gehören jeweils acht Mitglieder an – vier Vertreter der Verlegerverbände und vier Journalisten, die von den Gewerkschaften entsandt werden. Der Presserat wacht über die Einhaltung presseethischer Grundsätze. Als Sanktion kann er Rügen aussprechen.
Am Montag wurde bekannt, dass die Berliner Staatsanwaltschaft voraussichtlich kein Ermittlungsverfahren gegen Yaghoobifarah einleiten wird. Auch die Ankläger sehen die Kolumne als von der Meinungsfreiheit gedeckt an.
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