Polizeigewalt in den USA: Was bleibt, ist die Wut
Die massive Polizeigewalt gegen Schwarze führt zu erneuten Protesten. Für das Land kommt der neue Fall zum schlimmstmöglichen Zeitpunkt.
M ag sein, dass der Tod von Daunte Wright wirklich ein tragischer Unfall war. Dass die US-Polizistin Kim Potter dem 20-jährigen unbewaffneten Schwarzen tatsächlich nicht in den Bauch schießen, sondern ihr Elektroschockgerät auf ihn richten wollte. Für die Menschen, die schon seit Sonntagabend in Minnesota auf die Straße gehen und gegen Polizeigewalt gegen Schwarze protestieren, spielt das keine Rolle.
Denn was bleibt, ist die Wut darüber, dass schon wieder ein junger Schwarzer von der Polizei erschossen wurde, in einer Situation, die nicht einmal annähernd eine solche Gewaltanwendung rechtfertigen würde. Für Minneapolis, eigentlich für die gesamten USA, kommt dieser neue Fall tödlicher Polizeigewalt zum schlimmstmöglichen Zeitpunkt.
Seit gut zwei Wochen läuft der Prozess gegen den Ex-Polizisten Derek Chauvin, der vor knapp einem Jahr den unbewaffneten George Floyd zu Tode brachte, indem er über neun Minuten auf seinem Hals kniete. In der kommenden Woche werden die Schlussplädoyers erwartet. Alles andere als eine Verurteilung könnte einen Gewaltsturm auslösen, der alle bisherigen Proteste in den Schatten stellt.
Denn im Bewusstsein der Schwarzen, die unter dem Banner „Black Lives Matter“ auf die Straße gehen, ist vor allem eins klar: Es reicht. Jeder neue Fall scheint zu beweisen, dass die Polizei nicht reformwillig und womöglich nicht reformfähig ist und dass sich die Politik einen Dreck darum schert. Die Probleme sind seit Jahren bekannt, aber noch immer ist die Polizeiausbildung mangelhaft.
Noch immer werden die Cops nach viel zu kurzem und zu stark auf Gewaltanwendung ausgerichtetem Training auf die Bürger*innen losgelassen. Und noch immer suchen Teile der weißen Gesellschaft die Schuld bei den Opfern – wie der Anwalt Derek Chauvins, der versucht, George Floyd die Schuld an seinem eigenen Tod anzuhängen.
Jeder einzelne Fall mag seine Erklärung haben, seine Ausnahmesituation und Besonderheit, seine spezielle Version des polizeilichen, auch menschlichen Versagens. In der Summe aber ergeben sie ein System, dass für Schwarze, insbesondere für Schwarze Männer, akute Lebensgefahr bedeutet, wann immer ein Streifenwagen in ihrer Nähe auftaucht. US-Präsident Joe Biden hat im Wahlkampf versprochen, das Thema endlich ernst zu nehmen.
Dass sich nach nur drei Monaten seiner Amtszeit noch nichts grundlegend geändert hat, kann ihm niemand vorwerfen. Aber jeder weitere von der Polizei getötete Schwarze ist ein staatliches Fuck You an die gesamte Schwarze Community. Lange hält die US-Gesellschaft das nicht mehr aus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance