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Polizeigewalt in den USAWas bleibt, ist die Wut

Bernd Pickert
Kommentar von Bernd Pickert

Die massive Polizeigewalt gegen Schwarze führt zu erneuten Protesten. Für das Land kommt der neue Fall zum schlimmstmöglichen Zeitpunkt.

Auf die Proteste gegen Polizeigewalt in Minneapolis reagiert die Polizei nicht deeskalierend Foto: John Minchillo/ap

M ag sein, dass der Tod von Daunte Wright wirklich ein tragischer Unfall war. Dass die US-Polizistin Kim Potter dem 20-jährigen unbewaffneten Schwarzen tatsächlich nicht in den Bauch schießen, sondern ihr Elektroschockgerät auf ihn richten wollte. Für die Menschen, die schon seit Sonntagabend in Minnesota auf die Straße gehen und gegen Polizeigewalt gegen Schwarze protestieren, spielt das keine Rolle.

Denn was bleibt, ist die Wut darüber, dass schon wieder ein junger Schwarzer von der Polizei erschossen wurde, in einer Situation, die nicht einmal annähernd eine solche Gewaltanwendung rechtfertigen würde. Für Minneapolis, eigentlich für die gesamten USA, kommt dieser neue Fall tödlicher Polizeigewalt zum schlimmstmöglichen Zeitpunkt.

Seit gut zwei Wochen läuft der Prozess gegen den Ex-Polizisten Derek Chauvin, der vor knapp einem Jahr den unbewaffneten George Floyd zu Tode brachte, indem er über neun Minuten auf seinem Hals kniete. In der kommenden Woche werden die Schlussplädoyers erwartet. Alles andere als eine Verurteilung könnte einen Gewaltsturm auslösen, der alle bisherigen Proteste in den Schatten stellt.

Denn im Bewusstsein der Schwarzen, die unter dem Banner „Black Lives Matter“ auf die Straße gehen, ist vor allem eins klar: Es reicht. Jeder neue Fall scheint zu beweisen, dass die Polizei nicht reformwillig und womöglich nicht reformfähig ist und dass sich die Politik einen Dreck darum schert. Die Probleme sind seit Jahren bekannt, aber noch immer ist die Polizeiausbildung mangelhaft.

Noch immer werden die Cops nach viel zu kurzem und zu stark auf Gewaltanwendung ausgerichtetem Training auf die Bür­ge­r*in­nen losgelassen. Und noch immer suchen Teile der weißen Gesellschaft die Schuld bei den Opfern – wie der Anwalt Derek Chauvins, der versucht, George Floyd die Schuld an seinem eigenen Tod anzuhängen.

Jeder einzelne Fall mag seine Erklärung haben, seine Ausnahmesituation und Besonderheit, seine spezielle Version des polizeilichen, auch menschlichen Versagens. In der Summe aber ergeben sie ein System, dass für Schwarze, insbesondere für Schwarze Männer, akute Lebensgefahr bedeutet, wann immer ein Streifenwagen in ihrer Nähe auftaucht. US-Präsident Joe Biden hat im Wahlkampf versprochen, das Thema endlich ernst zu nehmen.

Dass sich nach nur drei Monaten seiner Amtszeit noch nichts grundlegend geändert hat, kann ihm niemand vorwerfen. Aber jeder weitere von der Polizei getötete Schwarze ist ein staatliches Fuck You an die gesamte Schwarze Community. Lange hält die US-Gesellschaft das nicht mehr aus.

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Bernd Pickert
Auslandsredakteur
Jahrgang 1965, seit 1994 in der taz-Auslandsredaktion. Spezialgebiete USA, Lateinamerika, Menschenrechte. 2000 bis 2012 Mitglied im Vorstand der taz-Genossenschaft, seit Juli 2023 im Moderationsteam des taz-Podcasts Bundestalk. Bluesky: @berndpickert.bsky.social In seiner Freizeit aktiv bei www.geschichte-hat-zukunft.org
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16 Kommentare

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  • Bzgl. "Die Probleme sind seit Jahren bekannt, aber noch immer ist die Polizeiausbildung mangelhaft":



    Nicht seit Jahren. Seit Jahrzehnten, ein Jahrhundert!



    Empfehlenswert dazu: "FIGHT THE POWER - African Americans and the Long History of Police Brutality in New York City", Clarence Taylor, New York University Press (2019)

  • einzelfälle als exemplarisch...

    zu bewerten, halte ich für falsch.

  • AUS DEM ARCHIV:



    jüngst zu Krawallen in Brüssel (MR)

    "Wenn keine De-Eskalationsstrategien implementiert sind im strategischen KONZEPT der sog. ORDNUNGSHÜTER:INNEN, dann ist das ein bedauerliches aber UNENTSCHULDBARES VERSAGEN der Legislative. Auch hier die Frage an die Politiker:innen: Was habt ihr seit über einem Jahr gemacht? Handwerkliche Fehler sind hier als brandmarkende Benennung pejorativ für die Zünfte, der globalisierende Analogie-Begriff des Staatsversagens wird im Diskurs der Medien zunehmend verwendet. Mehr Gehör (!) den Pädagog:innen, Soziolog:innen, Jugendmediziner:innen und Psycholog:innen in Parlamenten und Behörden. Ordnung und ihre Akzeptanz beginnen in den Köpfen und nicht im Gesetzbuch."



    DAS GILT NICHT NUR IN DER EU, SPEZIELL AKTUELL IN BRÜSSEL. USA: NICHT "IN ORDNUNG" IST RUMBALLERN.



    DIE ORDNUNG DER GEDANKEN IM GEBRAUCH DER SCHUSSWAFFE DESASTRÖS ENTLARVT, DAS WORT AMATEURHAFT VERBIETET SICH, WEIL BESCHÖNIGEND. EMPATHIE KÖNNTE HELFEN, STATT ANTIPATHIE UND PANIK.

  • "Jeder neue Fall scheint zu beweisen"

    Scheint!? Ist das etwa gefühltes Wissen? Ich bin erstaunt darüber, dass nach Jahren der Debatten auf solch unsicherer Basis debattiert wird.

    "FBI-Zahlen zufolge wurden 81 Prozent der weißen Mordopfer von einem weißen Täter umgebracht. 89 Prozent der schwarzen (afroamerikanischen) Opfer wurden von schwarzen Tätern ermordet.



    Offizielle Zahlen für die gesamten USA zu exzessiver Gewalt durch Polizisten gibt es nicht, weil es kein einheitliches nationales Meldesystem und daher auch keine US-weite Datenbasis gibt."

    www.presseportal.de/pm/133833/4614670

    "Black men committed 36% of murders [bei einem Bevölkerungsanteil von 13%] and made up 52% of all murder victims. White men committed 30% of murders and accounted for 43% of all murder victims.



    Homicide is largely intra-racial. Of crimes involving a single offender and victim: 81% of white victims were killed by a white perpetrator; 89% of all black victims were killed by a black perpetrator."

    www.ncjrs.gov/ovc_...W_Homicide_508.pdf

  • Die amerikanische Polizei ist für die Bürger da und nicht umgekehrt. Es fehlt offensichtlich ein Grundvertrauen der Bürger in "ihre" Polizei. Die Nervosität auf beiden Seiten ist bis über den Atlantik spürbar. Immerhin versucht Joe Biden (anders als sein Vorgänger), zur Besonnenheit aufzurufen. Leicht ist das nicht angesichts immer neuer Vorfälle. Reformen sind machbar, brauchen aber sicher Zeit. Mit dem neuen Präsidenten besteht die Chance, dass die Politik dazu auch wirklich kommt.



    Der laufende Prozess gegen den Mörder von George Floyd zeigt, dass die Polizei sich nicht mehr blind-verblendet solidarisch hinter Kollegen stellt, die glauben, alles ginge durch. Ein erster Sinneswandel - ein Lichtblick aus meiner Sicht.

    Andererseits: Es sollte inzwischen auch der letzte verstanden haben, dass es dumm und lebensgefährlich ist, sich auf ein Handgemenge mit amerikanischen Polizisten einzulassen oder zu versuchen, bei einer Kontrolle davonzulaufen. Auch die Bürger tragen eine Mitverantwortung im Miteinander mit der Polizei. Zu einer funktionierenden Beziehung gehören beide Seiten. Aber das gilt wohl auf der ganzen Welt, nicht nur in den USA.

  • Auch zu Obamas Zeiten gab es unzählige Fälle von tödlicher Polizeigewalt ("mehrere Magazine mit insgesamt über 90 Kugeln in den längst toten Körper entleert"), ohne dass sich irgend etwas änderte.

    Es ist langsam an der Zeit für die deutschen Liberalen, ihre Lichtgestalt Biden auf den Boden der Tatsachen zurück zu holen und damit die USA als das zu sehen, was sie sind, nämlich ein Karren, der immer tiefer in den Dreck fährt. Die Innen- und Außenpolitik setzt fast ausschließlich auf Druckausübung mit Waffen und militärischen Mitteln. So bekommt Biden den längst völlig auseinendergedrifteten gesellschaftlichen Zusammenhalt nicht wieder gekittet, denn Rassismus und tödliche Gewaltbereitschaft bei der Polizei nur ein paar Kleinbaustellen, die obendrein seit Jahren nicht voran kommen.

    • @Khaled Chaabouté:

      Was meinen Sie eigentlich damit "Biden auf den Boden zu holen"? Was wäre denn Ihrer Meinung nach jetzt das "Richtige" zu tun?

  • Also wenn in Deutschland wer vor der Polizei flieht, siehe exemplarisch am Fall eines bayrischen Marujuanaverkäufers, muss er genauso mit Schusswaffengebrauch rechnen wie in jedem anderen Land auch ... wenn zusätzllich ein Haftbefehl vorliegt erst recht ... warum es in den USA anders sein sollte ist mir schleierhaft ...

  • ziemlich schwacher Standpunkt, wenn eine 'Verwechslung' von Taser und Pistole hier nicht zu der Frage führt, welche Art von Training man braucht...

  • Welche Formen der Polizeireform können denn von der Bundesebene aus vorangebracht werden?

    • @Grauton:

      Eine solche könnte durchaus weitreichend ausfallen - wenn sich denn Demokraten und Republikaner einig werden, was ich zu bezweifeln wage.

      Grundsätzlich werden in den USA Polizeigesetze auf "örtlicher" Ebene beschlossen. Das kann (z.B. in Texas) bedeuten, dass ein Polizeigesetz allgemein im ganzen Staat angewendet werden muss, in anderen Staaten ist dies bis auf County-Ebene (vergleichbar unserer Gemeinden) relativ frei gestellt - wobei gewisse "Grundregeln" vorgegeben werden.

      Allerdings gibt es auf Bundesebene (d.h. für ganz Amerika verbindlich) so etwas, was ich als "Richtlinienkompetenz" bezeichnen möchte. Macht der Bund hiervon Gebrauch, dann sind die einzelnen Staaten gezwungen, diese Regelungen zu übernehmen. Verstoßen sie dagegen, kann der Soupreme Court sie zwingen und es gibt kein Geld mehr aus Bundesmitteln.

      So könnte Washington durchaus z.B. den im Fall Floyd angewandten Würgegriff ebenso verbieten, wie rassistische Profilingmethoden oder staatliche Immunität für Polizeibeamte beim Einsatz übermäßiger Gewalt. Sie müssten "nur" eine entsprechende Mehrheit in allen Kammern bei der Abstimmung erreichen, was augenblicklich jedoch nur gemeinsam mit den Republikanern geht. Und da sehe ich kein Licht am Horizont...

    • @Grauton:

      Die Ausbildung z.B.

    • @Grauton:

      ich gehe einfach mal davon aus, dass das eine ernstgemeinte Frage ist und kein "man kann ja eh nichts machen und der Autor hat von dem System in den USA keine Ahnung"

      in dem Fall: während es stimmt, dass das Funding für die Polizei Sache der Counties ist, kann der Gesetzgeber auf Bundesebene ja trotzdem Mindestanforderungen stellen. so geschieht es ja auch zB mit Ärzten wo ja auch nicht von County zu County entschieden wird, wie das mit dem Arztsein funktoniert

    • @Grauton:

      vernünftige mehrjährige Ausbildung,



      keine "nicht-tödlichen Waffen" - die erhöhen nachweislich die Gewaltbereitschaft der Beamten,



      immer min. 2 Beamte pro Einsatzfahrzeug,



      dafür sorgen das man nicht davon ausgehen muss das der Bürger größere und mehr Waffen hat wie der Beamte,...

      • @danny schneider:

        "dafür sorgen das man nicht davon ausgehen muss das der Bürger größere und mehr Waffen hat wie der Beamte,..."



        Dafür in den USA zu sorgen, dürfte ein Ding der Unmöglichkeit sein.