Polizeiberichte über Leipzig-Connewitz: Die Bösen sind immer die Linken
Lebensbedrohliche Gewaltszenarien und hinterhältige Angriffe: Wenn die Polizei über ihre Arbeit berichtet, wird es schnell fantasievoll.
Was haben Eisenspeere mit einem Angriff auf die Hamburger Davidwache, einem unter Strom gesetzten Türknauf und einer lebensrettenden Notoperation gemeinsam? Klingt nach einem etwas bemühten Witz, ist es aber nicht. Denn die Antwort lautet: Sie alle wurden von der Polizei erfunden, um eine Erzählung zu verbreiten, in der linke Aktivist*innen oder Demonstrant*innen Polizeieinheiten in bürgerkriegsartige Kämpfe verwickeln. So auch jüngst in Leipzig-Connewitz.
Was anfangs schockierend klang – einem Polizisten wurde von linken Krawallos so zugesetzt, dass er notoperiert werden musste –, entpuppte sich als Fake News. Und zwar nicht, weil die Polizei ihre Falschmeldung von alleine korrigierte, sondern weil Journalist*innen die Angaben überprüft haben (was schließlich ihre Aufgabe ist), auch mithilfe eines Privat-Videos. Die Polizei hat daraufhin eingeräumt, was nicht mehr zu leugnen war – allerdings nicht auf eine besonders erwachsene oder professionelle Art.
Das hätte ungefähr so klingen können: „Im Eifer des Gefechts ist uns ein bedauerlicher Fehler in der Kommunikation unterlaufen. Die Verletzung des Beamten ist weniger schlimm, als wir es anfangs dargestellt hatten. Er musste nicht notoperiert, sondern lediglich am Ohr genäht werden.“ Stattdessen versucht der Leipziger Polizeipräsident Torsten Schultze noch den Fehler zu vertuschen. „Eine Not-OP im engeren Sinn lag nicht vor“, räumte er ein, und es wäre besser gewesen, „von einem dringlich erforderlichen Eingriff zu sprechen – was aber noch immer eine Not-OP im weiteren Sinn ist.“ Ähm, sorry, aber nein.
Auch die anfängliche Behauptung Schultzes, der Angriff auf die Polizisten sei „von Unmenschen“ „geplant und organisiert“ gewesen, stellte sich als falsch heraus. Aber anstatt sich für die Wortwahl und die Falschbehauptungen zu entschuldigen, schoss der sächsische Landespolizeipräsident Horst Kretzschmar am 3. Januar den Vogel ab. Er sagte zur Leipziger Volkszeitung: „Die Polizei wird nie Falschmeldungen verbreiten.“
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Das ist eine ziemlich dreiste Aussage. Natürlich kann schon mal niemand in die Zukunft gucken, aber geschenkt. Die Aussage ist auch deshalb extrem ärgerlich, weil die Polizei im Ranking der Verbreitung von Falschmeldungen sehr weit vorne liegt.
Beweise? Indizien? Irgendwas?
Eine kleine Gedächtnisstütze: Als die Hamburger Polizei 2014 mehrere Innenstadtviertel zum Gefahrengebiet erklärte, reagierte sie damit auf einen Angriff von 40 Autonomen auf die Davidwache auf St. Pauli. Nur dass es den nie gab. Ähnlich war es beim G20-Einsatz im Schanzenviertel, wo die Polizei stundenlang abwesend war und das später mit Sorge vor einem Hinterhalt rechtfertigte. Linke hätten sich mit Eisenspeeren bewaffnet. Beweise? Indizien? Irgendwas? Legte die Polizei nie vor, Eisenspeere hat es aller Wahrscheinlichkeit nach nie gegeben.
Die Behörde rückte dennoch nicht von ihrer Behauptung ab. Als ebenfalls im Jahr 2017 die Berliner Polizei den Kiezladen Friedel54 räumte, twitterte sie, ein Türknauf sei unter Strom gesetzt worden, mit 230 Volt Spannung. Lebensgefahr habe für die Beamt*innen bestanden. Erst am nächsten Tag korrigierte sie die Falschmeldung. Die Liste ließe sich problemlos fortsetzen.
Was sagt das über die Polizei? Einerseits, dass sie Fehler macht, wie alle Menschen Fehler machen, aber das ist eh klar. Andererseits aber auch, dass es dort keinen guten Umgang mit Fehlern gibt – keine Bereitschaft, sie zu korrigieren, schon gar nicht öffentlich, außer es ist unvermeidbar.
Hinzu kommt, dass es doch das tägliche Geschäft der Polizei ist, einen Tathergang zu rekonstruieren. Aber wenn sie selbst involviert ist, wie bei Konfrontationen mit Linken auf Demos, bei der Räumung von Blockaden oder Häusern, neigt sie dazu, den Tathergang zu ihren eigenen Gunsten zu verfälschen. Erwachsene Menschen in Verantwortungspositionen erfinden dann Geschichten von lebensbedrohlichen Gewaltszenarien und hinterhältigen Angriffen.
Die Rollen in diesen Märchen sind klar verteilt: Die Bösen sind immer die Linken. Man könnte sich glatt gruseln – je nachdem, vor den Bösen, oder vor den Märchenonkeln –, wenn man die Geschichten nicht schon so oft gehört hätte.
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