Hamburger Polizei korrigiert sich: Zweifel am Angriff auf Davidwache
Der schwer verletzte Polizist der Hamburger Davidwache ist laut Polizei 200 Meter entfernt verletzt worden – und nicht bei einer Attacke auf die Davidwache.
HAMBURG taz | Der gewaltsame Angriff von 30 bis 40 Vermummten auf die Davidwache in St. Pauli, bei der Polizisten angeblich schwer verletzt wurden, hat nicht so stattgefunden, wie anfangs von der Polizei dargestellt. Das hat Polizeisprecher Mirko Streiber am Montag eingeräumt. „Der schwer verletzte Kollege ist nicht an der Reeperbahn, sondern in 200 Metern Entfernung in der Hein-Hoyer-Straße verletzt worden“, sagte Streiber der taz.
Streiber bleibt aber dabei, dass es Steinwürfe auf das Revier gegeben habe, wodurch aber niemand verletzt worden sei. „Dafür gibt es Zeugen“, behauptet Streiber. Video-Bilder vom vermeintlichen Angriff gibt es allerdings nicht. „Die Davidwache hat zwar zum Schutz Videoüberwachung“, betont Streiber. „Es wird aber nichts aufgezeichnet – so sind die datenschutzrechtlichen Bestimmungen.“
Ursprünglich hatte die Polizei behauptet, die Davidwache sei am Abend des 28. Dezember um 23.03 Uhr von dunkel gekleideten und teilweise mit St. Pauli-Schals vermummten Personen attackiert worden, die Sprechchöre skandiert hätten: „St. Pauli – Scheißbullen – habt ihr immer noch nicht genug!“
Als Polizeibeamte aus der Wache gekommen seien, seien sie an der Ecke Reeperbahn/Davidstraße „aus der Personengruppe heraus gezielt und unvermittelt mit Stein und Flaschenwürfen angegriffen“ worden. Dabei habe ein 45-jährige Beamte einen Kiefer und Nasenbeinbruch erlitten, als ihm einer der „Täter aus nächster Nähe heraus einen Stein ins Gesicht schlug“. Einer Polizistin sei Pfefferspray in die Augen gesprüht worden, ein dritter Beamter habe ein Bauchhämatom erlitten. Polizeipräsident Wolfgang Kopitzsch (SPD) zeigte sich entrüstet. „Derart zielgerichtete und massive Übergriffe auf Polizeibeamte sind unerträglich“, sagte er.
„Zu keinem Zeitpunkt Stein- oder Flaschenwürfe“
Die vermeintliche Gewalt-Attacke auf die Davidwache hatte eine regelrechte Medienkampagne zum Thema Gewalt gegen Polizisten ausgelöst, in deren Verlauf Polizeigewerkschafter den Einsatz von Schusswaffen legitimieren wollten und die Einführung von Elektroschockern – sogenannten Tasern – forderten.
Rechtsanwalt Andreas Beuth hatte bereits am Sonntag die Polizei-Version zurückgewiesen, gestützt auf Augenzeugen und Mandaten, die sich zum fraglichen Zeitpunkt vor der Davidwache aufgehalten haben. „So gab es keine zum Teil vermummte Personengruppe von 30 bis 40 Personen“, sagte Beuth. Es habe auch keine Personen vor der Davidwache gegeben, deren Plan und Ziel es gewesen wäre, die Polizeirevierwache oder deren BeamtInnen zu attackieren. „Entsprechend hat es zu keinem Zeitpunkt Stein oder Flaschenwürfe auf das Gebäude der Revierwache gegeben; erst recht nicht auf aus der Wache herauskommende Polizeibeamte“, so Beuth.
Hinter der „bewusst falschen Darstellung“ vermutet Beuth „augenscheinlich politische Interessen der Polizeiführung und ihrer Gewerkschaften“ wie Forderungen nach zusätzlichen Stellen, einer besseren Bezahlung der Polizei, einer „Aufrüstung“ der Polizei und aktuell die Einrichtung eines unbefristeten Gefahrengebiets von nie dagewesener Ausdehnung.
Dass es 200 Meter entfernt in der Hein-Hoyer-Straße/Seilerstraße zu einem Zwischenfall gekommen sein könne, bei dem uniformierte Polizisten von Kiezbesuchern attackiert worden seien, wollte Beuth nicht ausschließen.
In diesem Zusammenhang hat die Staatsanwaltschaft jetzt ein Ermittlungsverfahren wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung gegen einen Unbekannten eingeleitet. Polizeisprecher Streiber appellierte an Beuth, seine Zeugen zu den Ereignissen der Polizei zu benennen, „damit man sich ein klares Bild machen kann“.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alleingang des Finanzministers
Lindner will Bürgergeld kürzen
Putins Brics-Gipfel in Kasan
Club der falschen Freunde
Deutsche Asylpolitik
Die Hölle der anderen
Kritik an Initiative Finanzielle Bildung
Ministeriumsattacke auf Attac
Linke in Berlin
Parteiaustritte nach Antisemitismus-Streit
Investitionsbonus für Unternehmen
Das habecksche Gießkannenprinzip