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Polizei und trans PersonenAus Angst nicht zur Staatsgewalt

Ausweiskontrolle, Zeugenbefragung oder eine Anzeige erstatten: Für trans Personen sind solche Vorfälle und Schritte besonders sensibel.

Von Ergänzungsausweisen für trans Personen haben viele Beamte noch nie etwas gehört Foto: David YoungDavid Young/picture alliance

Hamburg taz | In einem Schreiben der Hamburger Polizei an die Mutter eines Jugendlichen heißt es: „Ihre Tochter“ sei als Zeugin vorgeladen. Es geht bei dem Vorgang um ein Foto vor einer Polizeiwache, das der Jugendliche gemeinsam mit einigen Freunden im Frühjahr aufnahm. Sie hatten sich vor die Wache gestellt – mit einem eilig gemalten Transparent, auf dem ein Gruß an einen Freund stand. Sie wollten diesen Schnappschuss als eine solidarische Botschaft direkt an ihren Bekannten schicken, der von der Polizei festgenommen und dabei verletzt worden war.

Die Jugendlichen knipsten also lediglich ein Foto, doch die Polizei wollte in dem kurzen Treffen vor der Polizeiwache eine illegale Versammlung erkannt haben – und leitete daher ein Strafverfahren ein. Vor Ort nahm sie die Personalien eines Jugendlichen auf, der nur wenige Wochen später per Post eine Zeugenvorladung erhielt – vom Staatsschutz des Landeskriminalamts Hamburg. Diese verweigerte er, wenig später meldete sich die Polizei erneut, nun führte sie „die Tochter“ als Beschuldigte.

Ergänzungsausweis sollte anerkannt werden

Bei dem Jugendlichen handelt es sich um eine trans Person; der Polizei zeigte er seinen Ergänzungsausweis der Deutschen Gesellschaft für Trans­identität und Intersexualität (dtgi). Doch die Beamten wiesen diesen seinen Angaben zufolge zurück, das Dokument sei ihnen nicht bekannt gewesen, berichtet der Jugendliche im Gespräch mit der taz. Sie notierten zwar die Angaben, nutzten aber die amtlichen Angaben und schrieben in den an die Mutter adressierten Briefen mehrfach von „Ihrer Tochter“, anstatt zumindest eine geschlechtsneutrale Formulierung zu nutzen. Das Geschlecht spiele bei dem Sachverhalt ohnehin überhaupt keine Rolle, sagt der Betroffene.

Der Ergänzungsausweis der dgti solle von der Polizei eigentlich anerkannt oder zumindest erkannt werden, betont Petra Weitzel von der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität. So gebe es unter anderem in Rheinland-Pfalz und Bayern Richtlinien, in denen der Ergänzungsausweis erwähnt werde und die dazu aufforderten, „das geäußerte Geschlecht zu berücksichtigen, auch wenn die amtlichen Dokumente abweichen“. Allerdings seien diese Richtlinien intern und nicht öffentlich, so Weitzel.

Die dgti-Vorsitzende erklärt, alle Po­li­zis­t*in­nen hätten die Möglichkeit, in einem Informationssystem (DOKIS) nach dem Ergänzungsausweis zu suchen. Dort sei es als ein beim Bundesinnenministerium registriertes Zusatzdokument zu finden, betont Weitzel und verweist auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die allen trans Personen die Ansprache und schriftliche Kommunikation im geäußerten Geschlecht durch staatliche Stellen zuspreche. Eine Personenstandsänderung sei dazu nicht notwendig, erklärt die dgti-Vorsitzende: „Dies nicht zu beachten, ist ein Verstoß gegen Persönlichkeitsrechte“ – im konkreten Fall aber nur mit einem langwierigen Verfahren vor einem Verwaltungsgericht zu lösen. Der Abschluss eines solchen Verfahrens stehe noch aus.

Fehlendes Vertrauen kann fatale Folgen haben

Markus Ulrich, Sprecher des Lesben- und Schwulenverband Deutschlands (LSVD), erklärt, der Umgang der Polizei mit trans Menschen sei ein „riesiges Thema“. Dazu gehöre beispielsweise die Frage, wer von wem durchsucht werde. Oder ob eben Ergänzungsausweise bekannt und akzeptiert würden. Ulrich sagt, viele trans Personen trauten der Polizei nicht. Ähnliche Erfahrungen machen andere Fachleute und Verbände aus der LGTBQI*-Community. Eine Studie aus den USA aus dem vergangenen Jahr kam zu dem Ergebnis, dass 22 Prozent der befragten LGBTQI-Personen eher darauf verzichteten, die Polizei zu kontaktieren. Bei der Gesamtbevölkerung liegt dieser Wert demnach lediglich bei 6 Prozent.

Das fehlende Vertrauen in die Polizei kann fatale Folgen haben – beispielsweise für Opfer von Straftaten, die sich aus Angst vor diskriminierendem Verhalten nicht trauen, Vorfälle anzuzeigen. Dadurch dürfte es insbesondere eine Untererfassung transfeindlicher Delikte geben. Die Statistik über politisch motivierte Kriminalität (PMK) soll seit einem Jahr auch transfeindliche Straftaten darstellen. Für das Jahr 2021 weist das Bundeskriminalamt in der PMK-Statistik 340 Straftaten „Geschlecht/sexuelle Identität“ aus, darunter 57 Gewaltdelikte – also im Schnitt eine Gewalttat pro Woche. Eine deutliche Steigerung zum Vorjahr, was allerdings auch damit zusammenhängen kann, dass die Kategorie noch recht neu ist und erst nach und nach von der Polizei genutzt wird.

Die Kategorie soll ab 2022 weiter ausdifferenziert werden in die Themenfelder „Frauenfeindlich“, „Geschlechtsbezogene Diversität“, „Männerfeindlich“. LSVD-Sprecher Ulrich hält es zwar für eine positive Entwicklung, dass die Statistik um neue Kategorien erweitert wird – doch seien diese teilweise schwammig und unklar, könnten sogar zu Verzerrungen führen. So fehle eine eindeutige Kategorie für transfeindliche Straftaten. Wo nun genau ein Übergriff auf eine trans Person lande, sei wohl eher Zufall, vermutet Ulrich. Denn so könnte eine Straftat gegen einen homosexuellen trans Mann in einer anderen Kategorie erfasst werden als ein Übergriff auf eine trans Frau, selbst wenn es sich bei beiden Motiven tatsächlich um Transfeindlichkeit handelt.

In vielen Bundesländern gibt es bei den Polizeien spezielle Stellen für LGTBQI-Personen, diese werden zumeist als „Ansprechpartner für gleichgeschlechtliche Lebensweisen“ (AgL) bezeichnet. Doch sind deren Aufgaben und die Ausstattung höchst unterschiedlich. Petra Weitzel von der dgti betont, die An­sprech­part­ne­r*in­nen der Polizei in den Ländern mühten sich redlich, hätten aber viel zu knappe Zeitbudgets. Zudem seien einige zuständig für externe Personen, einige nur für interne oder für beide Personenkreise; in dem bevölkerungsreichsten Bundesland NRW gebe es eine solche Stelle überhaupt nicht. Berlin gilt hingegen als Vorreiter in diesem Bereich. Von einer einheitlichen Regelung ist man in der Bundesrepublik aber weit entfernt.

Das Bundesinnenministerium verwies bei einer Anfrage, ob es Empfehlungen für eine geschlechtsneutrale Sprache bei den Polizeien gebe oder Pläne für Maßnahmen, um das Vertrauen von trans Personen in die Polizei zu verbessern, auf die Zuständigkeit der Länder. Allerdings betrifft dieses Thema auch das Bundeskriminalamt und die Bundespolizei. Der Verband Velspol, ein Mitarbeiternetzwerk für LSBT in Polizei, Justiz und Zoll, erklärte auf Anfrage, betroffene Personen könnten sich an die Organisation wenden, denn diese setze sich „genau bei solchen Fällen dafür ein, dass dies aufgeklärt und sichtbar gemacht wird“.

Nicht nur bei der Polizei

Die Hamburger Polizei teilte auf Anfrage mit, sie richte sich bei geschlechtsneutraler Sprache nach den für die hamburgische Verwaltung geltenden Vorgaben des Senats. Zudem komme dem dgti-Ergänzungsausweis „eine gewichtige Rolle“ zu. Dieser sei „ein fester Bestandteil der Aus- und Fortbildung“. Dabei werde „darauf hingewiesen, dass die sich ausweisende Person mit dem auf dem dgti-Ergänzungsausweis genannten Namen und Personalpronomen anzusprechen ist“. In den polizeilichen Auskunftssystemen sei bis zum Abschluss einer Personenstandsänderung zwar der Name und das Geschlecht aus dem amtlichen Ausweisdokument zu verwenden, im Freitext sei aber „unter kurzer Erläuterung mit der Geschlechtsidentität der Person fortzufahren“. Auch der Schriftverkehr sei „an das gelebte Geschlecht der Person zu adressieren bzw. in der Anrede zu verwenden“. Dies ist in dem geschilderten Fall nicht geschehen.

Die Polizei Hamburg betont zudem, dass bereits seit vielen Jahren versucht werde, die Anzeigebereitschaft von LGBTQI-Personen zu erhöhen – durch zwei hauptamtliche Ansprechpartnerinnen und Fortbildungen. „Durch die Intensivierung von (bestehender) Netzwerkarbeit sollen Kontakte und Vertrauen in der Community aufgebaut und weiter gestärkt werden.“ Man verstehe sich „als bunte, moderne und offene Großstadtpolizei. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind grundsätzlich auf einen sehr sensiblen und wertschätzenden Umgang bedacht. Situationen, bei denen es im Einzelfall vielleicht nicht so geklappt hat, wie es wünschenswert gewesen wäre, sind uns Ansporn zur Verbesserung.“

Bis sich die Praxis überall durchgesetzt hat, dürfte wohl noch etwas Zeit vergehen. Doch nicht nur durch Kontakt mit der Polizei, auch beispielsweise bei Fahrscheinkontrollen in der Bahn kann es zu diskriminierenden Verhalten und einem Zwangsouting von trans Personen kommen – wenn diese nämlich zusätzlich zur Fahrkarte den Ausweis zeigen müssen und das dort eingetragene Geschlecht nicht zu den gängigen Normen für das jeweilige Aussehen passt.

Die Ampelkoalition will daher das Selbstbestimmungsgesetz so schnell wie möglich realisieren, so dass trans Menschen ihre offiziellen Papiere ohne demütigende Prozeduren schneller anpassen können. Für sie bleibt somit zum einen die Hoffnung auf eine zeitnahe Umsetzung – und bis dahin zum anderen nur die Option, sich im Alltag möglichst allen Situationen zu entziehen, die potenziell zu unangenehmen Nachfragen und Zwangsoutings führen könnten.

Im Fall des Hamburger Jugendlichen schreibt die Polizei laut taz-Informationen in den Akten, dass es gar keine Versammlung mit einer Außenwirkung gegeben habe. Mit anderen Worten hätte man dem Jugendlichen sowohl den rechtlichen Ärger als auch die Diskriminierung einfach sparen können.

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