Politologe über Ausweisung aus China: „Die Anweisungen ignoriert“
Neun Jahre lang forschte der Politikwisschenschaftler Alexander Düben an einer chinesischen Universität. Dann wurde er über Nacht ausgewiesen. Warum?
taz: Herr Düben, vor wenigen Monaten sind Sie aus China ausgewiesen worden. Wie geht es Ihnen?
Alexander Düben: So weit ganz gut. Ich hatte ja durchaus damit gerechnet, dass dies eines Tages passieren könnte. Denn ich habe öfters kritische Artikel veröffentlicht oder Kommentare gegenüber der Presse gegeben. Aber schlussendlich war der Anlass dann doch überraschend – und auch, wie abrupt alles passiert ist.
taz: Rollen wir Ihren Fall einmal von vorne auf: Sie haben an der renommierten London School of Economics promoviert und später am King’s College unterrichtet. Was hat Sie an eine Uni in der nordostchinesischen Provinz verschlagen?
Düben: Nun, ich habe bereits seit meinem Master-Abschluss zu den chinesisch-russischen Beziehungen geforscht. Das war auch das Thema meiner Promotion. Und in Russland kannte ich mich auch aus, hatte da bereits gelebt und geforscht. Doch ich hatte das Gefühl, dass mir ein bisschen das Wissen von chinesischer Seite fehlt. Als mir dann vor neun Jahren eine Stelle an der Jilin-Universität in der Provinzhauptstadt Changchun angeboten wurde, habe ich dies angenommen. Dies ist eine relativ gute Uni, und sie ist nahe der russischen Grenze.
hat neun Jahre als Assistenzprofessor an der Jilin-Universität im nordostchinesischen Changchun gearbeitet. Zuvor lehrte der gebürtige Deutsche am King’s College London und an der London School of Economics, wo er auch promoviert hat.
taz: Ihr Forschungsthema ist politisch durchaus sensibel. Klassische Feldforschung oder Experteninterviews konnten Sie wohl kaum führen, oder?
Düben: Ich habe zumindest hin und wieder informelle Interviews geführt, aber in den letzten Jahren ging auch das nicht mehr. Was aber sehr hilfreich war, waren Gespräche, die man zwischendurch mit akademischen Kollegen geführt hat – etwa während der Kaffeepause bei Konferenzen. Aber natürlich ist es so, dass in China sich die Leute immer gut überlegen, was sie sagen, wenn sie mit einem Ausländer sprechen.
taz: War das vergleichbar mit Ihren Erfahrungen im autoritären Russland?
Düben: Die beiden Systeme haben sich immer mehr angeglichen, und mittlerweile ist die Pressefreiheit in Russland fast genauso eingeschränkt wie in China. Doch lange Zeit gab es dort immer noch Journalisten, die es gewohnt waren, kritisch zu berichten – in China war das in diesem Ausmaß seit Gründung der Volksrepublik niemals der Fall.
taz: Inwiefern haben Sie die akademischen Einschränkungen in China gemerkt? Düben: Ich bin logischerweise nicht nach China mit der Annahme gegangen, dass es dort Wissenschaftsfreiheit gibt. Zunächst war ich daher durchaus überrascht, dass ich in meiner Rolle doch recht viel sagen konnte. Auch im Unterricht gab es kaum spürbare Restriktionen – bis vor Kurzem.
taz: Wie haben sich die Repressionen dann bemerkbar gemacht?
Düben: Es gab Anweisungen an Kollegen, aber auch Doktoranden, dass sie ihre Sachen, die sie zu veröffentlichen gedenken, einer Vorzensur unterwerfen und vorlegen müssen. Auch ich habe solche Anweisungen erhalten, aber habe sie einfach ignoriert. Zudem habe ich mitbekommen, dass ausländische Wissenschaftler in meinem Feld zu informellen Gesprächen mit den Sicherheitsbehörden zitiert wurden. Und bei den chinesischen Studierenden sind viele im Verlauf ihres Studiums Mitglieder der Kommunistischen Partei geworden. Ich nehme an, dass sie vielleicht auch gebeten wurden, ein Auge auf mich zu haben.
taz: Ohnehin gibt es verpflichtende ideologische Kurse an den Universitäten – vor allem über Marxismus.
Düben: Ja, da müssen alle Studierende in China durch. Interessant war: Wenn die Rede auf Marxismusstudien fiel, erhielt ich meist eine etwas genervte Reaktion – Augenrollen und Seufzer. Ohnehin hatte ich das Gefühl, dass die Parteimitgliedschaft bei den Studierenden und den Kollegen etwas ist, das man hauptsächlich macht, weil es der Karriere dient. Das Problem aber ist: Sich offen kritisch zu äußern, hat in China Konsequenzen. In meinem Fall bin ich als Ausländer in der luxuriösen Position, dass ich lediglich das Land verlassen muss.
taz: Sie spielen auf Ihren Rausschmiss im Mai an. Der Anlass war interessanterweise keine wissenschaftliche Publikation von Ihnen, sondern ein Medieninterview. Was ist genau vorgefallen?
Düben: Ich habe in den vergangenen Jahren regelmäßig Anfragen von internationalen Medien erhalten, die ich dann nach bestem Wissen und Gewissen beantwortet habe – natürlich auch öfter kritisch. Anfang Mai bekam ich dann eine E-Mail-Anfrage von Voice of America, das ist der Auslandssender der USA, vergleichbar mit der Deutschen Welle.
taz: Worum ging es thematisch?
Düben: Es ging um den damaligen Besuch von Xi Jinping in Europa. Ich habe mich kritisch mit der Europapolitik Chinas und seiner Position gegenüber der Ukraine auseinandergesetzt. Also konkret, dass Xi Jinping sich als Vermittler darstellt, aber eigentlich sehr wenig getan hat, um gerade mit der ukrainischen Seite in Kontakt zu treten.
taz: Wirklich kontrovers ist das nicht, eher eine sachliche Analyse.
Düben: Und ich habe ähnliche Dinge auch zuvor geäußert. Der Unterschied war allerdings diesmal, dass die Anfrage sowohl von einem Medium der US-Regierung kam als auch in chinesischer Sprache erschien.
taz: Wie ging es weiter?
Düben: Als der Artikel publiziert wurde, war ich gerade in Peking. Und schon am nächsten Tag habe ich einige Nachrichten von meiner Fakultät erhalten, die mich darauf aufmerksam machten, dass ich vorher Bescheid geben müsste, wenn ich Interviews gebe. Zudem wollten sie wissen, wann ich wieder zurück an der Universität bin. Ich dachte, vielleicht hat sich die Angelegenheit mit einem klärendem Gespräch erledigt.
taz: Eine krasse Fehleinschätzung.
Düben: Als ich am Morgen des 15. Mai zurück am Campus meine Vorlesung vorbereitete, wurde mir mitgeteilt, dass diese nicht stattfinden wird – offiziell aus Gründen der Raumbuchung. Später wurde mir von einem Kollegen gesagt, dass meine Vorlesungen mit sofortigem Effekt gestrichen wurden und ich meine Kündigung einreichen müsse. Wenn ich dies nicht täte, dann würde es eine Art Disziplinarverfahren gegen mich geben – und das wäre wesentlich schlechter für alle Beteiligten. Und dann sagte er, dass ich China verlassen müsste. Und wenn ich noch mal versuchen würde, nach China einzureisen, würde dies nicht funktionieren.
taz: Wer hat Ihre Ausweisung angeordnet?
Düben: Das wollte man mir nicht sagen. Auch die konkreten Gründe durfte mir der Überbringer der Nachricht nicht nennen. Nur, dass es angeordnet wurde von höherer Stelle – also nicht von der Fakultät oder der Universität, sondern auf höherer behördlicher Ebene.
taz: Wie haben Sie emotional reagiert?
Düben: Am ehesten mit Traurigkeit, muss ich sagen. Weil ich eben wusste, dass jetzt plötzlich dieses Kapitel meines Lebens zu Ende sein wird. Ich habe viel Zeit in China verbracht, habe dort viele gute Freunde. Wenn einem dann gesagt wird, dass man noch zwei Wochen hat, bevor man das Land verlassen muss und vermutlich niemals zurückkehren kann, dann ist plötzlich alles, was man im Alltag tut, etwas besonders – weil es potenziell das letzte Mal ist. Zum Beispiel in sein Lieblingsrestaurant gehen.
taz: Wie haben Ihre Studenten reagiert?
Düben: Denen wurde zunächst erzählt, dass ich freiwillig das Land verlassen würde. Aber natürlich haben viele die Situation durchblickt. In der Tat gab es eine ganze Reihe von Solidaritätsbekundungen. Gerne würde ich mehr ins Detail gehen, aber ich möchte nicht, dass meine Aussagen irgendwelche Konsequenzen für sie haben würden.
taz: Ihnen wurde angeraten, nicht mehr nach China zu reisen. Offiziell gibt es jedoch eine zweiwöchige, visumfreie Einreise für deutsche Staatsbürger. Werden Sie es probieren?
Düben: Tatsächlich habe ich sogar noch ein valides Visum für mehrere Jahre. Das wurde mir am Ende nach meiner Kündigung gar nicht gestrichen. Ich denke aber, es ist den Versuch nicht wert: Zwar habe ich es nicht schwarz auf weiß, aber mir wurde schon relativ klar kommuniziert, dass eine Einreise nicht mehr klappen würde. Und diese Unklarheit ist eben etwas, was meinen ganzen Prozess gekennzeichnet hat – ja im Grunde, was vieles in China sowohl politisch als auch gesellschaftlich kennzeichnet.
taz: Wie meinen Sie das?
Düben: Es gibt zwar Recht und Gesetz, und auf einer Arbeitsebene funktioniert das auch. Aber sobald es in den politischen Bereich überschwappt, dann spielen selbst vertragliche Konditionen keine Rolle mehr. Das ist eben der Modus Operandi des Systems in China.
taz: Welche Rückschlüsse ziehen Sie daraus?
Düben: Man kann ja zum chinesischen System stehen, wie man will. Aber eine derartige Intransparenz und Geheimniskrämerei ist objektiv schlecht und problematisch – selbst die Regierenden haben oft nicht unbedingt den Durchblick, was vor Ort passiert. Und der Rest der Welt steht einem Land gegenüber, das zwar global betrachtet enorm wichtig geworden ist, aber dessen kommunistische Regierung möglichst nichts über sich preisgeben möchte und immer genau versucht, das Narrativ über sich mit aller Macht zu formen. Diese Tendenz hat in den letzten Jahren nur weiter zugenommen.
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