Politische Kommunikation: Mehr Emotionen für die Demokratie
Gegen Rechts helfen keine Predigten. Trotzdem braucht es wieder Anstand, Zusammenhalt und Mitgefühl in politischen Reden.
D as Verhältnis von materiellem Wohlstand zu demokratischem Wohlsein ist vielschichtig. Der Augenschein bestätigte zuletzt allerdings die eher triste These, wonach Ungleichheit den demokratischen Verfall ziemlich sicher begünstigt, dies umgekehrt jedoch nicht funktioniert: Versuche, mehr Gleichheit herzustellen, werden nicht unbedingt durch mehr demokratische Zustimmung belohnt.
Die SPD weiß darüber gut Bescheid. Der historische Sprung auf 12 Euro Mindestlohn zum Beispiel hat ihr in besonders Mindestlohn-betroffenen Bundesländern ganz genauso wenig gebracht wie in Bundesländern, wo die Höhe des Mindestlohns nur wenige beschäftigt. Die Freude an der Demokratie insgesamt ist ausweislich der AfD-Werte eigentlich auch nirgends gewachsen.
Damit ist die deutsche Sozialdemokratie nicht allein. Joe Biden gewinnt mit der Schaffung von Millionen anständig bezahlter Industriearbeitsplätze in den USA derzeit auch keinen Blumentopf. Es lohnt sich also, über die nicht-materiellen Methoden zur Bekämpfung der Demokratie- und Rechtsstaatsverachtung nachzudenken.
Das drängt mit Blick auf den Wahlkalender dieses Jahres wirklich – Europa wählt im Juni, im September sind Thüringen, Sachsen und Brandenburg dran. Der Zeit-Leitartikler hatte Anfang des Monats schon einen Punkt, als er schrieb, der „liberale Teil der Gesellschaft“ (er rechnete hier von Linkspartei bis Merz) sei zur Selbstkritik aufgerufen: Die „vernünftigen Kräfte“ hätten den Zugang zu den Gefühlen der Menschen verloren, sie sprächen zu technokratisch.
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Krisenzeiten erfordern Anstand und Mitgefühl
Was nun, könnte man meinen, vor allem am Wesen der Vernunft liegt. Während das Ressentiment ungeniert herumpöbelt und Angstmache sowieso immer funktioniert, ist die Vernunft halt meistens trocken und kennt nur komplexe Lösungen für komplexe Probleme.
So wäre jedenfalls eine typische Antwort eines typischen Sachpolitikers, etwa von den Grünen, und oft ist das auch genau die Tour, mit der dieser ein kleines Bündnis mit der Presse eingehen möchte: Wir zwei beide habens ja verstanden, wie schwierig alles ist! Aber was tun wir bloß mit all den Leuten, die sich nicht hauptberuflich mit den Übergangsvorschriften zum Heizungsgesetz beschäftigen?
In Deutschland, hieß es ja immer, könnten PolitikerInnen gar nicht langweilig genug sein, und die Wahl Olaf Scholz’ als Merkels Bruder-in-Sprödigkeit schien das nur zu belegen. Inzwischen denke ich, das stimmte nur so lange, wie die Wirtschaft halt brummte, von Krieg niemand sprach und Klimaschutz als Kür galt. In dem Augenblick, da es ernsthafte Herausforderungen gibt, beziehungsweise ernsthafte Herausforderungen als solche auch gesehen werden, erfordert die Ansprache womöglich doch mehr Mühe.
Gegen Demokratiefeinde hilft dabei kaum der Appell an gemeinsame Leistungsfähigkeit, wie er in Obamas „Yes, we can“ oder in Merkels „Wir schaffen das“ steckte. Ich fürchte fast, für wirksame emotionale Kommunikation braucht es dazu noch etwas Moralisches von der Sorte Anstand, Zusammenhalt und Mitgefühl – womit ich natürlich sofort zu hadern beginne, denn man landet dann sofort im Intonationsfeld von evangelischen PfarrerInnen (bitte um Entschuldigung bei den durchweg reizenden PfarrerInnen, die ich kenne).
Aber irgendwo müssen sie herkommen, die emotionalen Botschaften von oder vielmehr für liberale DemokratInnen, die der organisierten Menschenfeindlichkeit etwas entgegensetzen. Ich traue es einem Gutteil der demokratischen PolitikerInnen zu, sie auch glaubwürdig vorzutragen. Sie haben es nur verlernt, es schien ja auch lange Zeit nicht nötig zu sein. Und wir haben verlernt, es ernstzunehmen.
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