Pläne für Gazastreifen nach dem Krieg: Wer füllt das Machtvakuum?
Im Schifa-Krankenhaus gehen die Kämpfe weiter. Derweil kursieren Pläne, wie eine Nachkriegsordnung im Gazastreifen aussehen könnte.
Der neuerliche Einsatz auf dem Gelände legt eine zentrale Herausforderung für die israelische Armee offen: Die Truppen sind zwar erfolgreich vorgerückt, doch offenbar nutzen Hamas-Kämpfer jede Chance, um sich neu aufzustellen. Entweder müsste die israelische Armee große Gebiete dauerhaft halten oder es bräuchte andere Kräfte, die eine Rückeroberung und ein Wiedererstarken der Hamas verhindern. Diese gibt es aber auch deshalb nicht, weil es keinen Plan gibt, was nach dem Krieg eigentlich passieren soll. Konkret: wer die Zivilverwaltung in Gaza übernimmt und wer für öffentliche Ordnung sorgt.
Hinter den Kulissen wird jedoch an genau diesen Fragen gearbeitet. Israel, die USA und diverse arabische Staaten überlegen verschiedenen Medienberichten zufolge, wie im Gazastreifen Kräfte aufgebaut werden können, denen zunächst begrenzt Sicherheitsaufgaben übertragen werden können, aktuell vor allem die Absicherung von humanitären Hilfslieferungen. Ein zentrales Problem von Hilfsorganisationen ist seit Monaten der Transport und die geregelte Verteilung von Hilfsgütern, da in Teilen Gazas Anarchie herrscht. Immer wieder werden Lkw überfallen und kommt es bei der Güter-Verteilung zu Massenansammlungen, die von niemandem kontrolliert werden können.
Das Wall Street Journal berichtet, dass in israelischen Sicherheitskreisen im Geheimen an einem Plan zur Verteilung von Hilfsgütern durch Palästinenser gearbeitet wird, die keine Verbindungen zur Hamas haben. Die Zeitung beruft sich auf israelische und arabische Quellen. Die Idee sei, unbelastete palästinensische „Führungskräfte und Geschäftsleute“ für die Absicherung der Hilfsgüter zu gewinnen, die künftig auch über einen Seekorridor direkt nach Nordgaza gelangen sollen.
Grundlage für eine neue Regierungsbehörde
Israel habe darüber mit Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Jordanien gesprochen. Möglicherweise würden Zivilisten im Süden dann aufgefordert, in den Norden zu gehen, was wiederum eine Offensive auf Rafah ermöglichen würde.
Mittelfristig könnte der Plan die Grundlage schaffen für eine neue Regierungsbehörde, die den Küstenstreifen verwaltet und für öffentliche Ordnung sorgt – also das Machtvakuum füllt, das durch die Ausschaltung der Hamas entsteht. Israel dürfte sich in einem solchen Prozess die operative Handlungsfreiheit vorbehalten, also regelmäßig militärisch gegen Militante in Gaza vorgehen, ähnlich wie derzeit im Westjordanland.
Wer die aufzubauenden Kräfte sein könnten, ist aber unklar. Bis in die 80er Jahre spielten Großfamilien in Gaza eine wichtige Rolle, die dann aber von Kräften der palästinensischen Nationalbewegung abgelöst wurden. Zwischen Israels Abzug aus Gaza 2005 und der Machtübernahme der Hamas 2007 hatten einige Großfamilien ein kurzes Revival. Sie waren damals „eines der größten Hindernisse für die Hamas beim Versuch, ihre Autorität zu festigen“, wie die NGO Crisis Group 2007 in einer Analyse schrieb.
Nun auf diese Familien zu setzen hält Yohanan Tzoreff vom Institute for National Security Studies in Tel Aviv allerdings nicht für sinnvoll. „Wer hinter dem Rücken der nationalistischen Bewegungen mit Israel spricht, wird Probleme bekommen“, sagte er der Times of Israel.
Tatsächlich hat die Hamas Berichten zufolge am 13. März einen Vertreter einer Großfamilie in Gaza-Stadt getötet, „wahrscheinlich im Rahmen ihrer Bemühungen, ihre Autorität im nördlichen Gazastreifen wiederherzustellen“, wie das Institute for the Study of War schreibt. Die Hamas habe den Anführer und andere Mitglieder des bewaffneten Dughmusch-Clans ins Visier genommen und ihnen vorgeworfen, mit Israel zu kooperieren. Die Hamas dementierte die Berichte.
Ohne die Bevölkerung geht es nicht
Statt auf lokale Familien setzt man in Israel offenbar eher auf palästinensische Geheimdienstler. Die israelische Nachrichtenseite Ynet berichtete von Überlegungen, dass eine Kraft unter der Führung von Madschid Faradsch die zivile Administration in Gaza übernimmt und Israel parallel ausgewählte Palästinenser aus Gaza im Westjordanland oder in Jordanien militärisch ausbildet.
Faradsch ist Chef des Geheimdienstes der von der Fatah-Partei geführten Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), die in Teilen des Westjordanlands regiert. Er ist international vernetzt und in israelischen Sicherheitskreisen angesehen. Auch das Wall Street Journal nannte Faradsch als mögliche zentrale Figur; daneben werden offenbar der Geschäftsmann Baschar Masri sowie Mohammed Dahlan gehandelt. Dahlan, geboren in Chan Junis, war Sicherheitschef der Fatah im Gazastreifen, bevor diese von der Hamas 2007 vertrieben wurde. Heute lebt er in Abu Dhabi.
Eine grundlegende Frage ist, inwieweit Israel mit Personal der PA kooperieren wird. Premier Benjamin Netanjahu hat sich, anders als die USA, gegen eine Zusammenarbeit ausgesprochen. Zudem stellt sich die Frage, ob es realistisch ist, an der Hamas vorbei eine politische Kraft in Gaza aufzubauen. Dahlan selbst sagte im vergangenen Jahr, man müsse akzeptieren, dass die Hamas weiterhin eine Rolle spielen werde. Israels Regierung hat nach wie vor das Ziel, die Hamas zu vernichten.
Hinzu kommt, dass jede Kraft, die in Gaza Verantwortung übertragen bekommt, mit dem Makel behaftet sein wird, von Israel und seinen Verbündeten installiert worden zu sein – eine Steilvorlage für radikale Kräfte. Um Gaza nachhaltig zu stabilisieren, ist eine gewisse Legitimierung durch die Bevölkerung wohl unverzichtbar.
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