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Physische SelbstbestimmungUnsere Körper gehören uns!

Ob gerade im Iran oder in Russland: Je nach Geschlecht wird dem Körper eine Vielzahl vermeintlicher Funktionen aufgezwungen. Zeit, ihn zurückzufordern.

Nach dem Tod der Iranerin Mahsa Amini: Demonstration von Macht gegenüber dem eigenen Körper Foto: Faezeh Afshan/social media/reuters

D ie Frauen Irans verlangen ihre Körper zurück. Sie gehen auf die Straße, im ganzen Land. Sie stellen sich auf die Straßen und schreien, nach dem Tod von Mahsa Amini, wohl durch die sogenannte Moralpolizei. Sie verbrennen Kopftücher auf der Straße, fordern Freiheit, manche schneiden sich ihre Haare ab.

Sie demonstrieren Macht über den eigenen Körper. Einen Körper, auf den die Diktatur zugreifen will. Den der Staat zur Bedrohung erklärt und konfisziert hat. Um ihn zu verhüllen oder ihn zu verprügeln. Das Wiedereinfordern dieser Körper ist Revolution.

Männliche Körper als Kampfmaschinen

Die Männer Russlands wollen ihre Körper retten. Sie fürchten, als Brennstoff für den Krieg verwendet zu werden. Sie demonstrieren, im ganzen Land. Tausende sind festgenommen. Viele versuchen zu fliehen. Flüge in visafreie Länder sind für Tage ausgebucht.

Geschlecht ist Funktionszuweisung an den Körper.

Der männliche Körper ist Held und er ist Feind. Er muss einen Blick auf die Landkarte werfen: Auf dieser Seite der Front ist er Held. Er rettet, stirbt. Auf jener Seite ist er der Feind. Der Aggressor. Damit der Krieg Bedeutung hat. Damit das Regime einen Grund hat zu existieren.

Weibliche Körper als fleischgewordene Versuchung

Der weibliche Körper ist Aggressor von innen. Die moralische Gefahr, die sexuelle Versuchung, die es zu verstecken gilt, vor der es zu retten gilt. Damit das Regime einen Grund hat zu existieren.

Geschlecht ist ein Verwendungszweck.

Queere Körper sind nicht verwendbar, deshalb sind sie abscheulich. Weil sie sich innen- und außenpolitischen Funktionszuweisungen entziehen. Sie dürfte es gar nicht geben, deswegen darf man sie zerstören. Ach nein, sie haben Rechte? Dann sind sie stattdessen Bedrohung für Kinder, müssen reguliert und versteckt werden. Indes sind sie Mysterien, Zauberspiegel für die Träume und Albträume derer, die sie betrachten. Sie sind Lustobjekt und Jagdwild, nie weiß man vorher, welches von beiden.

Das Wiedereinfordern von Körpern ist Revolution. Revolution geschieht aus Not.

In Münster starb beim CSD ein Mann, in Bremen wurde eine Frau in der Bahn schwer verletzt. Beide hatten ihre Körper wiedereingefordert.

Die Deutschen im ganzen Land, die diese Meldungen auf ihren Screens verfolgten, zögerten keine Sekunde. Sie warteten nicht ab, bis jemand „gesamtgesellschaftliche Verantwortung“ fertig ausgesprochen hatte. Sie nahmen die Körper der Täter – junge Menschen, Kinder – und schleiften sie auf den Seziertisch der Weltgeschichte. Sammelten Indizien: Namen, Kulturen, Hautfarben. Verwendungszweck zugewiesen. Aggressor von außen. Sie warfen die Körper weg, die der Täter und der Opfer. Die meisten wendeten sich anderem zu. Einige nagen noch immer an ihren Knochen.

Wenn iranische Frauen und russische Männer hier in Deutschland ankommen: Welchen Verwendungszweck wird man ihnen zuweisen?

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Peter Weissenburger
Autor
Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Medien.
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5 Kommentare

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  • "Unsere Körper gehören uns!"



    Völlig richtig! Und das gilt für jede und jeden!

    Und ich bin froh das wir in einem Land leben in dem niemand, zumindest nicht vom Staat, gezwungen wird das äußere Erscheinungsbild in eine bestimmte Richtung zu entwickeln.

    Mir fällt nur manchmal auf, dass Forderungen was zu tragen oder zu sagen sei heute eher aus vermeintlich linker Ecke kommen...

    taz.de/Kulturelle-...F-Demo/!5840424&s/

    taz.de/Autor-ueber...kultur/!5836450&s/

  • Der Autor hat augenscheinlich nicht gemerkt, dass er 'die Deutschen' genauso auf den 'Seziertisch der Weltgeschichte' schleppt wie es 'die Deutschen' angeblich mit 'den Tätern' getan haben. Und inwiefern haben 'die Deutschen' denn die Körper der Täter (und die der Opfer gleich mit) weggeworfen? Ich habe nichts gegen eine bilderreiche Sprache, aber hier komme ich definitiv nicht mit.

  • Auch ich bin dafür, dass Frauen endlich aus ihrem bisherigen von den Patriarchiatischen Gesellschaften bestimmten "Schatten" bei uns herauskommen - es ist auch gut wenn wir Frauen in anderen Regionen dazu unterstützen, wir sollten sie aber nicht gegen Ihren Staat in den "Krieg" hetzen, bei dem diese Frauen gleich wieder zum Opfer werden.

    Es geht dabei auch um religiöse Vorstellungen, gegen solche Vorstellungen kommt man auch bei uns noch schwer an, obwohl wir damit ein Stück weiter sind - und offiziell die Religion bei uns angeblich keinen Einfluss auf den Staat hat, was für Christen und Juden, aus meiner Sicht, gar nicht stimmt.

    Auch bei uns sterben zu viele Menschen durch Polizeigewalt, ohne dass dagegen genug getan wird.

    • @felix :

      Nachtrag:



      Wir, der US geführte Westen, sind aus meiner Sicht mit unseren Einmischungen in andere Länder mit anderen Ansichten zu Glauben und/oder Politik oft zu unfreundlich und gehen oft zu weit.

      Wenn wir Frauen unterstützen wollen, damit ihr Leben besser wird, so ist das natürlich gut - wenn wir ihnen in ihren Heimatländern oder bei uns dadurch neue große Probleme machen, dann ist das keine gute Hilfe.



      Unterstützung im Kampf gegen ihren Staat, ihren Glauben und gegen ihre Familie, können zu furchtbaren Strafen führen.

      Da halte ich es für wesentlich besser, wenn wir mit mehr gutem Miteinander in unserer gemeinsamen Welt, Wege zu Besserungen für möglichst alle Menschen und Länder erarbeiten.

      Und:



      Blasphemie ist auch in Europa strafbar, wenn sie gegen Juden und Christen gerichtet ist - gegen den Islam nennen wir sie Meinungsfreiheit, wenn das kein dicker Hund ist, weiß ich nicht weiter.

  • "Queere Körper sind nicht verwendbar, deshalb sind sie abscheulich."

    Was ist denn ein "queerer Körper"?