Physiker über Energiewende: „Mit Klimawandel keinen überzeugt“
Der Physiker Ramón Méndez hat Uruguay unabhängig von Öl und Gas gemacht. Gewirkt hätten vor allem wirtschaftliche Argumente.
taz: Herr Méndez, Uruguay ist ein Vorbild bei der Nutzung erneuerbarer Energien. Wie ist es dazu gekommen?
Ramón Méndez: Bis 2006 bestand die Elektrizitätsmatrix Uruguays zu 56 Prozent aus Erdöl, das zudem 38 Prozent der gesamten Importe des Landes ausmachte. Wir waren in hohem Maße von den weltweiten Schwankungen bei den Ölpreisen und den Unwägbarkeiten der Nachbarländer abhängig, die oft selbst keinen Strom, kein Gas oder Öl für den Export hatten. Wir fragten uns also, wie unsere Elektrizitätsmatrix in 30 Jahren aussehen sollte, und überlegten zurückgehend, was wir in 20 und dann in 10 Jahren getan haben müssten, um dieses Ziel zu erreichen. Seit 2019 besteht die Elektrizitätsmatrix zu 50 Prozent aus Wasserkraft, zu 30 Prozent aus Windenergie, zu 15 Prozent aus Biomasse, zu 3 Prozent aus Solarenergie und nur zu 2 Prozent aus Öl.
war von 2008 bis 2015 Direktor für Energie im Ministerium für Industrie, Energie und Bergbau in Uruguay. Der 63-jährige war die treibende Kraft bei der Energiewende, mit der die Kosten für die Stromerzeugung um die Hälfte gesenkt und Uruguay zum Land mit den niedrigsten CO2-Emissionen in der Region wurde. Heute berät er Regierungen in Lateinamerika in Sachen Energiewende.
taz: Das klingt einfach und plausibel.
Méndez: Zuallererst bedurfte es einer parteiübergreifenden politischen Vereinbarung zur Umsetzung eines noch zu definierenden Szenarios. Die Formel für die Elektrizitätsmatrix war nicht leicht zu finden. Dann galt es, einen Markt mit entsprechenden Regulierungen zu schaffen. Statt Öl und Gas mussten jetzt Windräder und Solarpaneele importiert werden. In den vier Jahren der Umstellung wurden 6 Milliarden Dollar investiert, was 12 Prozent des uruguayischen Bruttoinlandsprodukts entspricht.
taz: Sie sagen, dass für die Energiewende ein Paradigmenwechsel erforderlich ist. Wie müssen wir uns diesen vorstellen?
Méndez: Erneuerbare Energien sind die kostengünstigsten Energiequellen, das muss nicht mehr diskutiert werden. Doch trotz ihrer Kostenvorteile setzen sie sich auf den Energiemärkten nicht durch, weil deren Regulierungen auf der Grundlage der fossilen Brennstoffe geschaffen wurden. Dabei handelt es sich um kurzfristige Märkte, auf denen der Spot-Handel mit Treibstoffen die Preise täglich neu bestimmt. Bei den erneuerbaren Energien gibt es jedoch keine Treibstoffe. Daher sind neue Regelungen für einen langfristigen Markt erforderlich.
taz: Was bedeutet das?
Méndez: In Uruguay ist die gesamte Nachfrage auf 20 Jahre hinaus vertraglich geregelt. Energie ist damit ein stabiler Kostenfaktor, unabhängig von den schwankenden Preisen auf dem Spotmarkt für Treibstoffe oder unvorhergesehenen Ereignissen wie etwa dem Krieg gegen die Ukraine, denn wir sind nur noch zu zwei Prozent von fossilen Brennstoffen abhängig.
taz: Wie kann eine langfristige Marktregulierung in neoliberalen Zeiten geschaffen werden?
Méndez: Die Energiewende wird mit der alten Denkweise nicht gelingen. Die Entscheidung des EU-Parlaments vom Juli 2022, Erdgas als grüne Energie zu klassifizieren, ist ein historischer Fehler. Wenn Europa an seinen kurzfristigen Marktmechanismen festhält, wird es zu einer Bremse für erneuerbare Energien. Wenn wir nicht in die Höhlen zurückkehren wollen, müssen wir alle Kompromisse eingehen. Die Notwendigkeit, den Markt neu zu strukturieren, sprich einen völlig anderen Markt zu schaffen, muss auch in den europäischen Ländern eingesehen werden.
taz: Durch den Krieg in der Ukraine ist sich Deutschland seiner Gasabhängigkeit von Russland voll bewusst geworden. Anstatt diese Abhängigkeit zu verringern, ist der grüne Wirtschaftsminister nach Katar geflogen, um Gas zu kaufen. Hat Deutschland hier eine Chance verpasst?
Méndez: In einer Entfernung von 10.000 Kilometern und ohne die Drohung eines bevorstehenden kalten Winters ist dies leicht zu kritisieren. Dennoch müssen die Lehren daraus gezogen werden. Auch zukünftig wird es unvorhergesehene Ereignisse geben. Uruguay verfügt wie Deutschland über keine eigenen fossilen Brennstoffe und dennoch haben wir die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine nicht zu spüren bekommen. Wer weiterhin von Rohstoffen abhängig ist, deren Preise er nicht kontrollieren kann, wird sich in einer solchen Situation wiederfinden. Erneuerbare Energien sind der Weg, um davon unabhängig zu werden.
taz: Deutschland ist ein kleiner Flächenstaat mit einer hohen Bevölkerungsdichte, hat kaum Rohstoffe, aber eine große Wirtschaft mit hohem Energieverbrauch. Wie kann dieser Weg aussehen?
Méndez: Für Deutschland wird es schwieriger sein, einen Anteil von 98 Prozent an erneuerbaren Energien zu erreichen, als für Uruguay. Zumal die Sonne weniger scheint und der Wind nicht überall so stark weht. Allerdings gibt es inzwischen Technologien, die viel stärker genutzt werden könnten, wie zum Beispiel Offshore-Windräder. Wir müssen heute auch global denken. Ein Beispiel ist die grüne Molekularwirtschaft, zu der auch grüner Wasserstoff gehört.
taz: In Deutschland wehren sich viele Menschen etwa gegen Windräder.
Méndez: Wer heute kein Windrad hinter seinem Haus möchte, muss morgen mit mehr Hitze, Stürmen und Überflutungen leben. Die Alternative ist, mit der Verschmutzung durch Gas, Öl und Kohle fortzufahren und uns selbst eine Falle zu stellen. Wenn alle mit Elektroautos fahren, der Strom dafür aber nicht aus erneuerbaren Energien stammt, macht das keinen Sinn. Die Umstellung wird kommen, aber je später damit angefangen wird, desto höher werden die Kosten sein. Wenn man also fragt, was das geringere Übel ist, lautet die Antwort: erneuerbare Energien.
taz: Was würden Sie den Grünen empfehlen?
Méndez: Das Narrativ muss geändert werden. In Uruguay haben wir niemanden mit dem Klimawandel überzeugt, das war ein zweitrangiges Argument. Wir haben die Leute überzeugt, weil es die beste Lösung für sie und die Wirtschaft war. Als Grüner in Deutschland würde ich sagen, dass die erneuerbaren Energien in erster Linie die beste Lösung für Deutschlands Wirtschaft und seine Menschen und nicht für den Klimawandel sind. Sie machen unabhängig von Importen fossiler Brennstoffe, sie sind billiger und verhindern extreme Preisschwankungen.
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