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Pestizide auf Obst und Gemüse aus der EUGift auf Äpfeln, Birnen und Kiwis

Obst und Gemüse in Europa ist zunehmend mit Rückständen gesundheitsgefährdender Pestizide belastet. Dabei verspricht die EU das Gegenteil.

Man sieht es nicht, aber im Supermarkt landet immer mehr Obst mit Pestizidrückständen Foto: epa

Berlin taz | Pestizide gehören zur industriellen Landwirtschaft wie Legebatterien zur Tierhaltung – auch in der angeblich auf die Gesundheit ihrer Bür­ge­r*in­nen bedachten Europäischen Union.

Eine am Dienstag veröffentlichte Studie des Pesticide Action Networks Europe (PAN) zeigt, dass der Einsatz von Pestiziden in der EU nicht so kontrolliert abläuft wie erhofft: Die Analyse von über 200.000 Proben von Obst und Gemüse aus Europa zeige einen „dramatischen Anstieg“ in Häufigkeit und Konzentration von Rückständen der giftigsten in der EU zugelassenen Substanzen.

Demnach waren im Jahr 2019 ein Fünftel der gesammelten Proben mit sogenannten „Substitutionskandidaten“ belastet – auch in Deutschland. Damit sind Stoffe gemeint, die im Verdacht stehen, erhebliche Schäden für Mensch und Umwelt zu verursachen. Sie werden beispielsweise mit Krebs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Verbindung gebracht.

Die Farm-to-Fork-Strategie der EU sieht eine Halbierung dieser Substanzen bis 2030 vor. Sie hätten bereits seit 2011 gemäß einer entsprechenden Verordnung langsam verbannt werden, also die Stoffe durch weniger schädliche ersetzt werden müssen. Die Au­to­r*in­nen der PAN-Studie weisen jedoch einen gegenteiligen Trend nach. EU-Kommission und Mitgliedstaaten hätten bei der Umsetzung der EU-Regularien und beim Schutz der Verbraucher komplett versagt.

Immer mehr Lebensmittel kontaminiert

So waren 2011 lediglich 14 Prozent des untersuchten Obsts und Gemüses kontaminiert. Dieser Anteil stieg jedoch auf 21 Prozent im Jahr 2019. Insbesondere beim Obst sind die Zahlen alarmierend: Hier waren 2019 rund 29 Prozent aller Proben belastet. Besonders dramatisch war der Anstieg bei Kiwis (von 4 auf 32) und Kirschen (von 22 auf 50).

Bei Äpfeln (von 16 auf 34) und Birnen (von 25 auf 47) verdoppelte sich der Anteil der kontaminierten Proben im selben Zeitraum, bei Pfirsichen waren zwischen 2016 und 2018 gar auf über der Hälfte aller Früchte Substitutionskandidaten nachweisbar. Weiterhin zählten Brombeeren, Erdbeeren und Himbeeren sowie Weintrauben zu den am stärksten kontaminierten Obstsorten.

Für Gemüse fällt das Ergebnis weniger katastrophal aus, dennoch zeigt auch hier der Trend nach oben: Sellerie war 2011 in 37 und 2019 in 54 Prozent der untersuchten Fälle belastet. Auch bei Gurken, Spinat und Kopfsalat waren, wenn auch deutlich geringere, Anstiege zu beobachten.

Auf 10,2 Prozent des untersuchten Obstes waren 2019 mindestens zwei der Substanzen zu finden. Kombinationen der Stoffe stehen im Verdacht, durch sogenannte „Cocktaileffekte“ besonders schwerwiegende Beeinträchtigungen der Gesundheit zu verursachen. Insbesondere Obst und Gemüse aus süd- und westeuropäischen Staaten ist laut Studie betroffen.

Als mögliche Erklärung für den stetigen Anstieg führen die Au­to­r*in­nen an, dass Schädlinge durch den fortlaufenden Einsatz Resistenzen ausbildeten. Um sie zu bekämpfen, würden dann wiederum mehr Pestizide verwendet – ein sich selbst verstärkender Kreislauf.

Regelungen werden nicht durchgesetzt

Die EU hatte rechtlich verankert, dass 55 besonders problematische, aber dennoch genehmigte Wirkstoffe durch ungefährlichere Alternativen ersetzt werden sollen. Dies hat sich laut Susanne Smolka, Fachreferentin bei PAN Germany, „in der Praxis als Flop herausgestellt: Kein einziger der Wirkstoffe wurde über das Substitutionsprinzip tatsächlich ersetzt“.

Ein Grund für das Scheitern des Prinzips sei, dass die Alternativen ebenso „wirtschaftlich“ sein müssten. Laut Smolka müsse „endlich engagierter gehandelt und die Umwelt- und Gesundheitskosten in den Abwägungsprozess mit einbezogen werden“. Zudem müssten „landwirtschaftliche Betriebe besser bei der Umstellung auf diese Alternativen unterstützt werden – auch finanziell“.

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10 Kommentare

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  • Inzwischen habe ich mir die PAN Studie in Ruhe durchgelesen, inklusive Anhang im pdf und xcl-Format. Die Lektüre an sich erinnerte mich eher an Peter Moosleitners interessantes Magazin denn an das Journal of Pesticide Sciences. Beachtet man, dass MRLs pro kg Produkt angegeben werden (z.B. Kiwis) und ADIs pro kg Körpergewicht des Konsumenten, so erhalte ich für mich (80 kg Lebendgewicht) unter Zugrundelegung der im PAN-Artikelanhang gegebenen MRL- und ADI-Werte nach kurzer Rechnung das Ergebnis, dass ich von den am höchsten mit Fludioxonil von der Syngenta kontaminierten Kiwis ab sofort bis an mein Lebensende täglich mindestens 80 kg Kiwis verspeisen muss, um die von der EFSA festgelegte gesundheitlich bedenkliche Schwelle zu erreichen. Das kann ich mir sofort abschmatzen, das kriege ich im Leben nicht hin.

    • @Magic Theo:

      Danke fürs Nachrechnen - also alles Unfug.

    • @Magic Theo:

      Danke, mein Eindruck war auch, das die Studie eher für auf PR Arbeit ausgelegt war - um jeden Preis auffallen.

  • Gesetze tun nur jenem gut, der sie kontrollieren tut.



    Keine Kontrolle - keine Einhaltung.

  • Legebatterien sind in Deutschland seit 2010, in der EU (27) ab 2012 verboten.



    Eine Untersuchung von 2011 - 2019 ist jetzt aktuell ?? Welche Mengen an Rückständen wurden gefunden ? heute kann man ein Stück Zucker im Bodensee nachweisen, ist jetzt der Bodensee überzuckert ? Warum wird nicht erwähnt das in Deutschen Produkten ( fast ) nie was gefunden wurde ? Wurden BIO Produkte auch untersucht ? Ein Beitrag der mehr Fragen aufwirft als er beantwortet.

    • @Günter Witte:

      Leider sind manche dieser Rückstände so giftig, dass alle Fische im Bodensee verenden würden falls jemand ein zuckerwürfelgroßes Stück dort hinein würfe - eine entsrechende Verteilung im Wasser vorrausgesetzt.

    • @Günter Witte:

      In der zitierten Studie steht auf S 42, das Deutschland auf Platz 5 (von 35) der Länder steht, die kontaminierte Lebensmittel herstellen. Von "nie was gefunden" kann also schon mal nicht die Rede sein.



      Dazu müsste Sie allerdings bereit sein, von der bewährten globalen Leugnungsstrategie hiesiger Interessenverbände einmal abzuweichen.



      Aber das schaffen Sie schon.



      Und hinterher wissen sie besser Bescheid. :-)

  • Also am besten lokal (wo möglich) und/oder ökologisch produzierte Produkte einkaufen.



    Im Restaurant gerne einmal nachfragen: Angeblich sind ja ökologische Produkte nicht wirtschaftlich weil zu teuer für den Kunden.



    Aber der 100ste Gast, der dann nur einen Kaffee bestellt, lädt auch hier vielleicht zum Umdenken ein.



    Wäre schön, wenn die Bundesregierung die Subventionspraxis von der Pestizidwirtschaft in Richtung nachhaltiger &/oder ökologischer Landbau umschichtet.

    Mit den Grünen ist so etwas aktuell wohl nicht zu machen. Das muß jedem klar sein.

    • @neu_mann:

      ... dann nur einen Kaffee bestellt ...

      aus lokaler Produktion natürlich.

    • @neu_mann:

      Wieso denken Sie, diese Umschichtung sei mit den Grünen aktuell nicht zu machen? Mit wem denn sonst?