Pastis trinken: Diskret und unangestrengt
Wer an einem gewöhnlichen Samstagnachmittag einen Pastis trinkt, lebt Eleganz und Beiläufigkeit. Und ein wenig Frankreich in Deutschland.
A ls es dieser Tage mal überraschend mild war, hatte ich das unbändige Bedürfnis, in einem Straßencafé zu sitzen und das Leben an mir vorbeischlendern zu lassen. Es war früher Samstagnachmittag, die Leute vor den Espressobars nippten an ihren Macchiato-Gläsern und stocherten in ihren Blueberry Cheese Cakes herum. Was für eine Verschwendung, dachte ich, einen Draußen-Kaffee kann man immer trinken, dazu braucht es keine ungewöhnlichen 15 Grad an einem gewöhnlichen Februarwochenende.
Wenn man schon in den ersten Wochen des Jahres auf die inflationär über die Bistrostühle gehängten 2,99-Euro-Decken verzichten kann, dann braucht es das entsprechende Getränk: einen Pastis.
Pastis, Pastis, doch, doch, schon mal gehört, werden manche jetzt denken: Aber, sorry, noch nie getrunken. Andere erinnern sich vielleicht: Das ist doch dieser Anisschnaps, oder?
Stimmt, das ist dieser Anisschnaps. Ein zu Unrecht in Deutschland unterbelichtetes Getränk. Nicht einmal alle Bars haben es im Sortiment. Wenn überhaupt serviert der griechische Wirt nach einem üppigen Essen einen Ouzo, die hellenische Version des Anisgetränks. Im türkischen Restaurant bekommt man, so man auf eine üppige Rechnung verweisen kann, einen Raki hingestellt. Aber beides – und das muss deutlich gesagt werden – ist kein Pastis. Denn nur Pastis ist Pastis. Punkt. Ein Pastis besteht aus Alkohol, Anis, Sternanis, Fenchelsamen, Süßholzwurzeln und verschiedenen Kräutern. Alle anderen Variationen sind Imitate.
Eis drauf, Wasser dazu, fertig ist der Louche-Effekt
In Frankreich, wo Pastis so etwas wie das Nationalgetränk ist, gibt es ihn überall. Und man trinkt ihn zu jeder Tageszeit, im Süden sogar schon am Vormittag. Und zwar so: Pastis in einem schmalen Glas, Eiswürfel drauf, Wasser dazu und fertig ist die Laube. Das Wasser kommt in einer kleinen Karaffe an den Tisch und lässt zusammen mit dem Eis aus dem eierschalenfarbenen Alkohol in der Flasche ein milchig trübes Glück im Glas werden. Das nennt man den Louche-Effekt.
Es muss gar nicht viel Pastis sein, in der Kombination mit Eis und Wasser kann man sich mindestens eine Stunde an einem Glas aufhalten. „Simplicity is the keynote of all true elegance“, sagte die französische Modedesignerin Coco Chanel. Oder um es mit einem Pastis zu sagen: Einen Pastis zu sich zu nehmen, ist die stillvollste Art zu trinken, weil sie ohne Nachschenken auskommt.
Hierzulande ist das nicht sonderlich verbreitet, Verzicht, Muße und Langmut sind aber bekanntermaßen keine deutschen Tugenden. Und so muss sich der Pastis verstärkt in diesen Wochen mit einer deutschen Anisvariante herumärgern: dem Linie-Aquavit. Es ist Grünkohlzeit und echte Grünkohlfans stellen alles Mögliche an, um so viel wie möglich von dem Zeug zu bekommen.
Die taz-Nord-Redaktion nimmt sich da nicht aus. Seit Jahren versteckt sie sich regelmäßig im Februar hinter einem Gruppen-Event, dem Boßeln. Dann wandert die Gruppe je nach Wetterlage über eine verschneite oder vermatschte Wiese am Bremer Stadtrand – und landet am Ende des Weges in einer Grünkohlbude in the Middle of Bremer Nowhere. Und die hat nur Linie.
Linie ist die Schichtarbeiterin unter den Anisschnäpsen
Das klingt bitter, ist es aber nur halb. Nach drei Stunden Boßelkugelwerfen, Latschen, Quatschen, Trinken – Kakao mit Brandy, Quittenlikör, Schierker Feuerstein, Batida de Coco Mango (schmeckt so, wie das Shampoo einer Kollegin riecht) – geht auch Linie. Diese Kombination aus Kümmel, Anis, Orangenschalen, einem Hauch Vanille und Kümmel passt sogar ganz gut zu den Bergen aus Grünkohl und Pinkelwürsten, die die Redaktion so wegfuttert. Die Linie, traditionell serviert in einem geeisten Glas mit dickwandigem, langen Stiel, wird in einem Zug hintergekippt. Die Linie ist die Schichtarbeiterin unter den Anisschnäpsen.
Alex, der Lebensgefährte unserer Niedersachsen-Korrespondentin, empfiehlt, nachdem man sich aus seiner Linie gegessen hat, zwar auch Harzer Grubenlicht, ein Schnaps, den das produzierende Unternehmen als „feinen Kräuter-Halb-Bitter Likör aus erlesenen Kräutern“ anpreist. Doch das Harzer Grubenlicht – sorry, Alex! – sollte besser dort bleiben, wo es herkommt: im Harz. Dort kann man jetzt sogar Snowkiten und Schneegolfen. Ist nicht alles schlecht im Osten.
Wer aber elegant und nonchalant trinken will, bestellt einen Pastis. In einem Bistro an einem schlichten Samstagnachmittag, à la française: beiläufig, diskret, unangestrengt.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören
Jens Bisky über historische Vergleiche
Wie Weimar ist die Gegenwart?
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird