piwik no script img

Parteitag der NRW-SPDDie neue Doppelspitze

Sarah Philipp und Achim Post sind die neuen Vorsitzenden der SPD in Nordrhein-Westfalen. Sie sollen den kriselnden Landesverband einen.

Sollen die SPD in Nordrhein-Westfalen auf Vordermensch bringen: Achim Post und Sarah Philipp Foto: David Young/dpa

Münster taz | Es dauerte ein wenig, aber dann standen sie doch noch auf, die 459 Delegierten auf dem Parteitag der nordrhein-westfälischen SPD in Münster. Gerade hatte Sarah Philipp, 40-jährige Landtagsabgeordnete aus Duisburg, ihre Bewerbungsrede gehalten. Kurz darauf wurde sie mit 87,5 Prozent der Stimmen zur Vorsitzenden gewählt. Ihr zur Seite steht Achim Post, 64-jähriger Bundestagsabgeordneter aus Ost-Westfalen, gewählt mit 91,9 Prozent der Stimmen. Zum ersten Mal in seiner Geschichte hat der größte Landesverband der SPD eine Doppelspitze.

Es ist die größte Neuerung, die die Landesführung den sozial konservativen Ge­nos­s:in­nen in Nordrhein-Westfalen zugemutet hat. Ihre neuen Vorsitzenden bedienten in ihren Reden die große, klassische Erzählung der SPD: Aufstieg durch Bildung, Sicherung des Sozialstaats, gute Arbeit, gesellschaftlicher Zusammenhalt.

Sarah Philipp schilderte ihren eigenen Weg aus einer Familie, die eine Lottoannahmestelle betrieb, ans Gymnasium und dann an die Uni. „Man sollte im Leben nicht erwarten, dass alles einfacher ist“, sagt sie und meint damit auch den „Wiederaufstieg“ ihrer Partei nach zwei nacheinander verlorengegangenen Landtagswahlen. Schließlich begrüßt sie Gäste: drei Betriebsräte, eine Pflegerin, eine Grundschullehrerin und eine Schülerin, die sich bei „Fridays for Future“ engagiert. „Für sie lohnt es sich zu kämpfen“, sagt Philipp: „Wer soll das machen, wenn nicht wir?“ Applaus.

Auch Achim Post, Mitglied im wirtschaftsfreundlichen Seeheimer Kreis, appellierte an die Gefühle der Genoss:innen: „Wir sind das Bollwerk gegen Faschisten und Rassisten“, sagt er zu Beginn seines Vorstellungsfilms. Dann spricht er technokratisch über die Sicherung des Sozialstaats, die Einnahmeseite im Haushalt und fordert mehr Geld für Gesundheit. Sein Schlusswort: „Für wen machen wir Politik? Für die Millionen oder die Millionäre? Ich bin für die Millionen, Glück auf!“ Standing Ovations.

Die neue SPD möchte wieder die Alte sein

„Das tut gut“, sagte SPD-Bundeschef Lars Klingbeil nach der Wahl von Philipp und Post. Warme Worte für die Genoss:innen, die diese Worte nötig haben. Der größte SPD-Landesverband in Deutschland steckt mitten in seiner größten Krise. Zum ersten Mal seit 1966 ist er länger als eine Legislaturperiode nicht an der Landesregierung beteiligt.

2022 ging die Landtagswahl gegen die CDU mit 26,7 Prozent der Stimmen verloren – das schlechteste Ergebnis aller Zeiten. Die NRW-SPD stellt das vor Probleme, die den meisten Ge­nos­s:in­nen bislang fremd waren – finanzielle wie personelle. Im März trat überraschend Landes- und Fraktionschef Thomas Kutschaty zurück, nachdem er seine Kandidatin für das Amt der Landesgeneralsekretärin nicht durchsetzen konnte. Von einem Tag auf den anderen mussten sich Landespartei und Landtagsfraktion neu aufstellen.

Nach der verlorenen Landtagswahl hätte in der NRW-Partei keine Einigkeit geherrscht, erzählt Jochen Ott, der Kutschaty im Mai bereits als Chef der Landtagsfraktion beerbt hatte. Zwischen Landtags-, Bundestagsabgeordneten und Kom­mu­nal­po­li­ti­ke­r:in­nen gab es zu selten eine gemeinsame Linie. „Da waren viele Ich-AGs unterwegs“, so Ott.

Von der Wahl der Landtagsabgeordneten Philipp und des Bundestagsabgeordneten Post erwartet er, dass dies in Zukunft anders wird. Ein gemeinsamer Gegner ist schon ausgemacht: die schwarz-grüne Landesregierung von CDU-Ministerpräsident Hendrik Wüst. „Handwerklich gesehen ist es die schlechteste Regierung in der Geschichte NRWs“, sagt Ott. „Wir werden jetzt den Angriff starten.“

Dabei helfen soll ein Grundsatzpapier: „Die neue SPD im Westen“. Es wurde auf dem Parteitag debattiert. Als Zielgruppe für ihre Politik macht die NRW-SPD die „arbeitende Mitte“ aus, deren Themen am „Abendbrottisch“ sie bedienen will. Der Inhalt ist wenig überraschend: NRW bleibt Industrieland; die Klimawende muss kommen, aber sozial sein, Schulen und Infrastruktur müssen erneuert werden. Ein großer Wurf ist das nicht, eher eine Selbstvergewisserung. Die „neue SPD im Westen“, sie möchte schon auch gerne wieder die Alte sein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Na danke



    Die Seeheimer sind nicht von der CDU zu unterscheiden. Da ist es auch eigentlich egal,ob CDU oder SPD mit regiert.



    Aber hey, immerhin 3 Jahre jünger als Merz. Das liest sich wie Aufbruch und Innovation. Da geht bestimmt noch die Post ab. Von dem werden wir noch viel hören.

  • "Es wurde auf dem Parteitag debattiert. Als Zielgruppe für ihre Politik macht die NRW-SPD die „arbeitende Mitte“ aus, deren Themen am „Abendbrottisch“ sie bedienen will. Der Inhalt ist wenig überraschend: NRW bleibt Industrieland"



    Wir bleiben im "Status Quo", - nix wirklich internalisiert zum Tempo, mit dem sich die (Arbeits-)Welt wandelt:



    'Arbeitende Mitte', wer ist das noch wirklich, bemessen nach Status, Abschluss, Entlohnung, Perspektive?



    Ist das Wecker'sche Mittelmäßigkeit in der Analyse und Projektion, die jeden Streit verhindert?



    Hier in der (ehemaligen) Herzkammer der Sozialdemokratie wird sich gewaltig was ändern wegen Fachkräftemangels, KI, digitaler Infrastruktur, Boomer-Rente und wegen der vielen Jobs, von denen ihre zukünftigen InhaberInnen noch gar nicht wissen, dass es sie gibt. Grüner Wasserstoff ist nur ein Thema.



    'Abendbrottisch' mit heiterer Diskussion im Kreise der Familie ist für viele BürgerInnen ähnlich realitätsnah wie das "letzte große Lagerfeuer", wobei das hier im Revier oft noch Fußball zu sein scheint. Aber da gehen die Meinungen zu Qualität und Kommerz auch gewaltig auseinander.



    /



    "Was bedeutet die KI-Revolution für meinen Job? In einer exklusiven Studie zeigen Fraunhofer-Forscher, welche Berufe auch in Zukunft noch gefragt sein werden – und wer sich anpassen muss."



    Quelle Handelsblatt



    Heute muss ich doch mal wieder an Karl Marx denken:



    www.google.com/sea...me-mobile&ie=UTF-8



    //



    Kohei Saito, "SYSTEMSTURZ", Karl Marx als Kronzeuge der Grünen