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Pankows Bürgermeister über seine Wahl„Ich trete nicht zurück“

Seine Wahl lasse sich nicht mit dem Eklat in Thüringen vergleichen, sagt Sören Benn. Er gibt aber zu, die Perfidie der AfD unterschätzt zu haben.

„Wenn ich zurücktrete, spielen wir doch das Spiel der AfD“: Sören Benn Foto: imago
Gareth Joswig
Interview von Gareth Joswig

taz: Herr Benn, Sie haben einen turbulenten Morgen hinter sich. Eben hat Ihnen der AfD-Bundestagsabgeordnete Götz Frömming zu ihrer Wiederwahl als Bezirksbürgermeister in Pankow gratuliert. Sie waren ohne Mehrheit angetreten, möglicherweise hat auch die AfD für Sie gestimmt. Was macht das mit Ihnen?

Sören Benn: Das ist natürlich das Spiel, das die AfD treibt. Das kennen wir schon lange. Es ist nichts Neues, dass sie versucht, das demokratische politische System mit gezielten Sympathiebekundungen zu kontaminieren und kompromittieren.

Viele fordern ihren Rücktritt und vergleichen Ihre Wahl mit der des Kurzzeit-Ministerpräsidenten von Thüringen, Thomas Kemmerich (FDP), der im Februar 2020 mit der Hilfe der AfD ins Amt gekommen war.

Der Fall Kemmerich ist eine ganz andere Baustelle. Selbstverständlich trete ich nicht zurück. Wenn ich zurücktrete, spielen wir doch das Spiel der AfD.

Ganz abwegig ist der Vergleich aber nicht. Können Sie ausschließen, dass Sie mit Stimmen der AfD gewählt wurden?

Sie können doch bei einer geheimen Wahl nie ausschließen, dass ein AfDler mitstimmt. Das können Sie auch nicht in den anderen Wahlgängen. Fakt ist: Wir hatten uns in unserer Zählgemeinschaft aus Linkspartei und SPD eine einfache Mehrheit unter den demokratischen Parteien organisiert. Was wir unterschätzt haben, war die Perfidie der AfD. Auf die Stimmen der AfD wäre es nie angekommen, weil wir uns in Gesprächen mit einzelnen Abgeordneten aus dem demokratischen Spektrum eine Mehrheit gesichert hatten.

Sagen Sie, mit wem sie gesprochen haben?

Nein, selbstverständlich nicht.

Im Interview: Sören Benn

53, ist seit 2016 Bürgermeister des Berliner Bezirks Pankow. Bei der Wahl am 26. September verlor seine Partei allerdings mit 5 Prozentpunkten deutlich gegenüber den Grünen. Eine Zählgemeinschaft zur Wahl der grünen Spitzenkandidatin war jedoch in Verhandlungen in den vergangenen Wochen gescheitert.

Das müssen wir Ihnen jetzt einfach so glauben?

Sie können die AfD glaubwürdiger finden oder sie halten mich für glaubwürdiger. Was soll ich dazu jetzt sagen? Ich wäre in eine solche Wahl nicht gegangen, wenn wir uns nicht im demokratischen Spektrum eine Mehrheit organisiert hätten – gemeinsam mit der SPD.

Eine Abstimmung ohne Mehrheit ist ein Spiel mit dem Feuer, solange die AfD im Parlament sitzt. Verstehen Sie auch die Kritik?

Natürlich verstehe ich die Kritik. Was ich nicht verstehe, ist, welche Glaubwürdigkeit auf einmal der AfD zugebilligt wird – das finde ich überraschend, und auch, dass überhaupt nicht reflektiert wird, wessen Spielregeln man jetzt folgt. Es gibt kein Bündnis mit der AfD. Sie hat überhaupt nichts davon: Sie bekommt einen antifaschistischen Bürgermeister! Selbst wenn die AfD ein solches Manöver gefahren haben sollte, hat sie sich ins eigene Knie geschossen. Die Partei spielt politisch in Pankow keine Rolle. Sie hat gar nichts davon. Es sei denn, die Öffentlichkeit spielt das Spiel der AfD, das in der Vergiftung des politischen Klimas und dem Missbrauch des politischen Systems besteht.

Diese Aufregung ist aber doch insofern verständlich, als dass nicht nachvollziehbar ist, wer für Sie gestimmt hat. Sollten sich diejenigen Demokrat*innen, die für Sie gestimmt haben, zu ihrer Stimme bekennen?

Ich bearbeite keine Menschen, mit denen wir vorher gesprochen haben, um mich zu entlasten. Entweder diejenigen machen es selber oder sie machen es nicht. Ich versuche nicht, irgendjemanden vor mich oder – besser gesagt – vor uns zu stellen. Es ist ja keine One-Man-Show, sondern eine Zählgemeinschaft von SPD und Linken.

Haben Sie eine Mehrheit in der BVV für Anträge oder wie wollen Sie das machen?

Das ist eine neue Qualität: Durch eine kleinere Zählgemeinschaft sind wir kein monolithischer Block. Wir können zusammen mit den Grünen Anträge beschließen oder mit der CDU und der FDP. Die BVV ist voll handlungsfähig, aber politisch flexibler in alle Richtungen – und sacharbeitsfähiger möglicherweise als in einer großen monolithischen Zählgemeinschaft, wie wir sie in der letzten Legislatur hatten, die aber ja auch gar nicht funktioniert hat.

Viele sehen in Ihnen einen kompetenten Bürgermeister. Das war allerdings auch die Argumentation der AfD, sie zu wählen. Sie seien das kleinere Übel.

Aber das ist doch Teil der Nummer. Ein vergiftetes Lob, als wenn dich ein Zombie berührt in der Hoffnung, dass du auch zum Zombie wirst. Der Zombie findet in unserem Kopf statt. Wenn die AfD links außen lobt, was ist der Zweck davon? Denjenigen zu beschädigen und sich ins Spiel zu bringen. Die ganz Stadt redet seit Stunden über die AfD – über fünf Figuren in einer kleinen BVV. Wahnsinn!

Gleichzeitig hat Lichtenberg gezeigt, wie man sich dieses Schauspiel sparen kann. Dort haben die demokratischen Parteien keine Mehrheit organisiert bekommen und haben die Wahl noch einmal vertagt, um nachzuverhandeln. So geht es doch auch.

Die Verhandlungssituation und konkreten Akteure sind in jedem Bezirk anderes. In Pankow war ausverhandelt in alle Richtungen. Niemand hat eine Mehrheit gefunden. Die größte Schnittmenge war zwischen der SPD und uns. Niemand anderes hat eine größere Zählgemeinschaft gefunden.

Aber ist es nicht riskant und auch ein bisschen blauäugig, so in eine Abstimmung zu gehen?

Es ist nicht riskant, wenn man sich eine Mehrheit organisiert hat. Aber wir haben unterschätzt, wie die AfD hinterher agiert. Ich sage ja nicht, dass ein wunderbarer Plan schiefgegangen ist. Wir sind nicht wie ein Hasardeur in die Abstimmung gegangen. Aber im Übrigen bleibt es dabei: Dass es weiter nichts ist, als eine Behauptung der AfD. Natürlich kann keiner ausschließen, dass sie für uns gestimmt hat. Aber das ändert ja am Resultat nichts: Es gibt keine Zusammenarbeit mit der AfD und die AfD hat keinen erweiterten Einfluss.

Wenn Sie die Wahl noch einmal antreten könnten: Würden Sie es anders machen?

Hinterher ist man immer schlauer. Man kann sich ja einige Szenarien ausdenken, aber nicht alle. Vor allem, wenn du nicht so denkst wie bestimmte Leute. Möglicherweise würde ich es anders machen, aber so ist die Situation nun mal nicht.

Pankow trendet nicht nur in Berlin auf Twitter, erste rechte Trolle benutzen das Hashtag AfDielinke wie beim Dammbruch mit der Afdp. Für die Linkspartei alles andere als eine schöne Situation.

Es ist nicht mit Thüringen vergleichbar. Es gibt dort keine relevanten Schnittmengen. Auch das ist Teil der stinky story, die da gestrickt wird.

Natürlich ist das Bezirksparlament unbedeutender, aber es bleibt ein Parlament.

Wir haben aber auch ein ganz anderes System hier. Wir haben Proporzbezirksämter, nicht Regierung und Opposition und vieles mehr. Es gibt eine ganze Reihe von relevanten Unterschieden. Vielleicht gibt es aus Sicht oberflächlicher Beobachter Parallelen, aber wenn man sich das ernsthaft anguckt, hinkt der Vergleich.

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24 Kommentare

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  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Wird der 3. Weltkrieg ausbrechen wegen dieses Mannes?



    Warum bekommt der solche Aufmerksamkeit?

  • Das eigendlich frappierende ist, wie hilflos die Parteien mit dem Kalkül der AfD umgehen oder noch direkter formuliert: Wie hilflos sie dem ausgesetzt sind.

    Für mich ist das zentrale Problem an den "etablierten" Parteien, dass sie nicht gemeinsam für unsere Demokratie und Gesellschaft eintreten sondern dass sie die eigenen Parteiinteressen stets und jederzeit über die Interessen ihrer parlamentarischen Arbeit stellen.

  • Wenn jedes Abstimmungsergebnis und jeder Beschluss, den die AfD mitgetragen hat, gekippt werden muss, bzw. der Gewählte zurücktreten muss, dann gibt es der Partei mehr Möglichkeiten die Demokratie zu bekämpfen, als wenn man sie rechts liegen lässt.

    Ist mir ehrlich gesagt unbegreiflich, wie man den Fall hier nmit dem Fall Kemmerich vergleichen kann, wo ganz gezeielt mit den Stimmen der AfD gearbeitet wurde, um einen klaren Wahlsieger zu verhindern.

  • Ich verstehe den Skandal nicht. Wenn die AFD in einer geheimen Wahl möglicherweise für einen Kandidaten stimmt, dann ist die ganze Wahl anrüchig und der oder die Kandidatin soll zurücktreten? Das heißt, die AFD soll jetzt ein Veto-Recht bekommen? Es reicht, dass sie behaupten, für jemanden gestimmt zu haben, um der Person die Legitimation zu entziehen? Das ist doch absurd. Und letztlich nützt das mit der AFD, die sich dann als Märtyrer inszenieren kann. Und in diesem Fall frage ich mich wirklich, ob die Inhalte langsam in den Hintergrund rücken bei der reflexartigen Abwehr von allem, was auch nur möglicherweise von der AFD okay gefunden wird.

  • 8G
    86548 (Profil gelöscht)

    sören benn wird ab jetzt immer der sein, der von den nazis ins amt gehievt wurde.

    • @86548 (Profil gelöscht):

      Und die Linke steht neben der FDP als Kumpelpartei der AfD.

  • Den Fall mit Kemmerich zu vergleichen halte ich für falsch, da es bei Kemmerich, wenn ich mich recht entsinne, vorher Absprachen gegeben hat über die Frage, wer wen wählt. Die fanden hier ja offenbar nicht statt, die Linke wird also auch von der Wahl der AfD überrascht gewesen sein.

    • @John Farson:

      Sind Sie sich da sicher?

      Das würde bedeuten, dass Benn sich zur Wahl gestellt hätte, obwohl er wusste, dass er durchfallen wird.

      Ganz blöd ist er ja nun auch nicht.

      Vielleicht hat da doch ein_e AFD'ler_in signalisiert, dass sie seine Arbeit in der Vergangenheit nicht schlecht fanden...

  • “ Viele sehen in Ihnen einen kompetenten Bürgermeister. Das war allerdings auch die Argumentation der AfD, sie zu wählen. Sie seien das kleinere Übel.” sagt doch alles. Denn Kemmerich hat im Gegensatz zu ihm keiner für besonders kompetent gehalten. Man kann Demokratie auch abschaffen indem man übersensibel verallgemeinert.

  • Der Mann klingt sehr vernünftig. Geheime Wahl ist geheime Wahl. Einfach demokratisch legitimiert im Amt bleiben, und einen Scheiss auf diese Manöver der AfD geben. Ich könnte keinen besseren Rat geben.

    Wenn die Heinis meinen, für einen wirklichen Linken stimmen zu müssen, nur um das System vorzuführen, dann sollten sie einfach vom System vorgeführt werden. Nach dem Motto: Eure Stimmen nehmen wir, aber wir geben euch nix dafür!

    (das kann sich Herr Benn gern von allen großen Parteien abschauen, die das für gewöhnlich erfolgreich und ohne große Nachteile mit dem Bürger machen )

  • Die Ähnlichkeiten mit der Wahl von Kemmerich (FDP) im Feb. 2020 sind offensichtlich, auch wenn es Herr Benn nicht wahrhaben will. Der Unterschied, den er macht, ist nur ein ideologischer: Damals traf es FDP und CDU, denen ohnehin eine klammheimliche Sympathie mit der AfD unterstellt wurde. Doch nun trifft es einen Links-Politiker - was nun? Was soll die Klage über die „Perfidie“ der AFD – was hat Herr Benn denn von der AfD erwartet? Er kann nur noch an den „Glauben“ seiner Zuhörer appellieren, was ungewöhnlich für einen Linkspartei-Sozialisten ist!



    Aber das Grundproblem wird weiterbestehen, z. B. bei jeder Abstimmung im Bundestag, wenn die Mehrheit unsicher ist: Die „perfide“ AfD wird für die Ampel stimmen und sie so der Lächerlichkeit preisgeben wollen. Die Parteien sollten sich baldmöglichst eine Gegen-Strategie ausdenken.



    Wie sagte vor einiger Zeit Herr Gauland (AfD) über die anderen Parteien: „Wir werden sie jagen!“

    • @Pfanni:

      Die Ähnlichkeiten mit der Kemmerich-Wahl sind herbeigeredet und von der afd herbeigewünscht. Ergebnis: Die Presse springt über´s Stöckchen! Die afd kann doch wählen, wen sie will, aber hören Sie auf, denen mit Sensationsberichterstattung eine große Bühne zu bieten!

      • @Christian Lange:

        Welche Sensationsberichterstattung meinen Sie?

        Die Ähnlichkeit mit Thüringen springt ins Auge, ebenfalls die politische Sackgasse.

        Wenn das für die AfD erst ein Testballon war, wird es noch viel Spaß mit ihr geben.

        Eine neue Strategie ist dringend notwendig.

  • das ganze ist doch ein schlechter witz! sollte herr benn auch zurück treten, wenn er 100% geholt hätte?



    nur weil Ihn die afd auch gewählt hätte?



    nimmt man das nicht die tumben nazis etwas zu wichtig?

    • @beck jürgen:

      Die (post-Thüringen) Spielregeln sind: Du musst eine Mehrheit ohne AfD haben. Hast Du 50% + 1 Stimme, ist egal was die AfD macht. Hast Du keine Mehrheit, kannst Du die Wahl nicht annehmen, wenn der Verdacht besteht, AfD Stimmen hätten Dich über die Ziellinie getragen.

      Sorry, aber Herr Benn wird zurück treten müssen. Die Frage ist, wie lange er das noch hinauszögern will.

      • @HugoHabicht:

        und wer kann das denn bei einer geheimen wahl beweisen?

    • @beck jürgen:

      Haha. Haben sie das bei kemmerich auch gesagt? ;-D

  • Was bitte war denn bei Kennerich wesentlich anders?

  • Der Fall Kemmerich ist eine ganz andere Baustelle. Selbstverständlich trete ich nicht zurück. Wenn ich zurücktrete, spielen wir doch das Spiel der AFD.

    Das heißt Kemmerich hätte gar nicht zurück treten müssen?

  • Dieser ständige Schwachsinn damit, woher die stimmen kommen: wenn wir einen neuen Spielplatz bauen wollen, bauen wir den dann nicht nur weil eventuell jemand von der AfD das gut findet? Und da das hier leider nunmal eine Demokratie ist, können wir uns nicht aussuchen, wer in den Parlamenten sitzt. Und nach jeder Wahl, bei der die AfD eventuell mitgestimmt hat, das Ergebnis rückgängig machen zu wollen durch massiven öffentlichen Druck aus dem Internet zeugt auch von einem seltsamen Demokratieverständnis das festigt die ganzen Verschwörungstheoretiker in ihrem Weltbild nur noch mehr

    • @Vincent Braun:

      Wenn Sie für Ihren Spielplatz 50%+1 Stimme organisiert bekommen, ist alles in Ordnung und die AfD macht was sie will. Haben Sie weniger als 50% und die AfD besorgt Ihnen die entscheidenden Stimmen, ist es ein Nazispielplatz, der nicht gebaut werden darf.

      Die Regeln sind ziemlich einfach. Das Problem ist, dass Herr Benn keine Mehrheit jenseits der AfD hat, zumal nachdem die CDU klargestellt hat, dass die Schattenabreden, die er im Interview insinuiert, nicht stattgefunden haben.

    • @Vincent Braun:

      sehe ich ähnlich; wenn ein Nazi bei Alnatura einkauft, wird dadurch der Babybrei nicht rechts, das wäre doch eine Umkehr von Ursache und Wirkung.



      Nun kenne ich den Hintergrund von Herrn Benn nicht gut genug, um das zu beurteilen, aber oberflächlich betrachtet wirkt die Kritik an einem etablierten Linken-Politiker, in den Augen der Mitglieder einer rechten Partei "das kleinere Übel" zu sein und daher auch (!) deren Zustimmung zu finden, etwas zu sehr aus der Luft gegriffen.

  • Hat Ihnen Frau Henning Wesslow schon gratuliert Herr Benn?



    www.youtube.com/watch?v=MUROIxzKhLc



    Sie wissen, dass Sie den Scheiß so nicht stehen lassen können, wenn bei der Linke auch nur noch ein Hauch von Glaubwürdigkeit vermutet werden soll .....Aber, „Was gebe ich auf mein dummes Geschwätz von gestern!“

  • Die das Interview führten & die anderen ... sollten sich einfach mal fragen, warum Wahlen in Demokratien überhaupt geheim sind. Und wenn sie darauf keine Antwort finden, weil sie vielleicht auch noch nie über solche Feagen nachgedacht haben, wäre diese Einsicht ein guter Anlass, daran etwas zu ändern. Oder auch den Broterwerb zu wechseln.