Palästina-Proteste von Studis: From the Job to the Sofa
Sind Studierende dazu berufen, gegen das Unrecht in der Welt ihre Stimme zu erheben? Mag sein. Die meisten Menschen kommen aber auch gut allein klar.
D ie in Berlin lehrende Sozialwissenschaftlerin Naika Foroutan, die taz-Community hat sie noch in freundlicher Erinnerung, als sie jüngst auf dem taz lab zu Gast war, ist Mitinitiatorin einer Unterschriftenliste, die die – auch in ihren – akademischen Kontexten aufwühlenden propalästinensischen Proteste nicht diskreditiert sehen will, schon gar nicht kriminalisiert. Hier geht es nicht im Detail um die Bewertung dieses universitären Engagements, eben auch seitens Lehrender. Sondern um einen Satz, der landläufig verstanden wird, also als unhinterfragbar weggelesen wird, aber dennoch fragwürdig ist.
Foroutan schreibt in einem ihre Haltung erläuternden Text im Tagesspiegel: „Dass Studierende auf Unrecht aufmerksam machen, hat Tradition. Wer, wenn nicht sie – wo, wenn nicht an Universitäten?“ Mit Unrecht ist Israels Krieg gegen die Terrororganisation Hamas gemeint – und der Hinweis auf traditionell Übliches ist auf die Bewegung der Achtundsechziger gemünzt.
Der entscheidende Befund lautet also: Die Studierenden seien qua Status als angehende Akademikerinnen*, durchaus geschichtsbewusst, gehalten, in den Protest zu gehen. Dabei spricht nichts dafür, dass an Universitäten besonders emanzipatorische und freiheitliche Potenziale stimuliert oder gar besonders geboten werden: Die nationalsozialistische Bewegung in Deutschland, die völkischen oder nationalistischen Moves sind historisch gesehen innerhalb akademischer Kontexte, Giftküchen gleich, hervorgebracht worden – und davon abgesehen hat auch das, was wir als Achtundsechzig verstehen, gerade diskursiv viel Quatsch hervorgebracht.
Was die Sozialwissenschaftlerin aber sagen möchte: Hören wir einander zu, auch in den Seminaren. Außen vor bleibt bei ihrer Analyse, dass nicht nur von rechts Gefahren für Juden und Jüdinnen drohen, vielmehr von dem, was sich als links in postkolonialer Hinsicht begreift. Und ausgespart bleibt nicht minder, dass von den Protestcamps gerade für israelgewogene Studierende ein erhebliches Risiko ausgeht: Die Drohkulissen reichen aus, dass etwa Juden und Jüdinnen ihre Halsketten mit dem Davidstern zu Hause lassen.
Ohnehin privilegierte Schicht
Das gewichtigste Missverständnis ist aber klassistisch zu verstehen: Warum fühlen sich abiturielle Menschen besonders berufen zu protestieren? Warum glaubt diese ohnehin privilegierte Schicht, qua Academia auf dem Weg in die gesellschaftliche und staatliche Elite, dass sie die Topchecker des Lebens sind? Warum kommt auch einer demokratisch orientierten Sprecherin wie Naika Foroutan nicht in den Sinn, dass in nichtakademischen Bereichen, etwa in Industrie- und Handwerksbetrieben, im schlecht bezahlten Dienstleistungs- und Care-Bereich nicht weniger, sondern ebenso viel Kraft zur volksintellektuellen Arbeit steckt? Dass also (formale) Bildung nicht moralischer macht, sondern womöglich oft auch herzensdümmer und politisch dünnsinnig?
Der Fehler, wenn man so will, der Bewegung Fridays for Future war, einschließlich der inzwischen zwielichtig agierenden Greta Thunberg, die Klimastreiks buchstäblich exklusiv aus Gymnasien rekrutiert zu haben, nicht jedoch aus Berufsschulen – sie signalisierten: Ihr seid zu blöd, um unser hehres Anliegen zu begreifen. Dabei lernen Jugendliche exakt dort, die Welt nicht nur dramatisch zu interpretieren, sondern auch fachmenschlich mit Wärmepumpen umgehen zu können.
Und wahr ist ja, dass die propalästinensischen Protestcamps weltweit exklusiv in geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern beheimatet sind. In naturwissenschaftlichen, mathematischen und ökonomischen Disziplinen ist politische Performance nicht untersagt – aber dort laufen mehr Studierende, die oft sehr klare Karriere- und Lebenswünsche haben: nach „Normalität“, nach Kooperation.
Aus dem gleichen Grund – ankommen, durchsetzen und aufsteigen in der (oft noch fremden) Gesellschaft – wird an Berufsschulen nicht protestiert, wenig in der gewöhnlichen arabischen Bevölkerung in Deutschland, gar nicht so viel auch bei den jungen Menschen, die etwa in Neukölln aufwachsen: lernen, lernen, lernen – und keine Zeit für Aufstände, die zu nichts führen.
Wer dort hingegen umherzieht, sind sogenannte antiimperalistische Gruppen ohne Kontakt zur, nun ja, Zivilbevölkerung, linke Kader, die glauben, im Aufstandsland zu sein. Ein Missverständnis ums Ganze, wie der Zwist um die Hamburger Rote Flora nahelegt: Pro-Pali-Kräfte wollen dort das Ruder übernehmen – und verkennen, dass die Rotfloristen im alternativ-bürgerlichen Schanzenviertel inzwischen sehr populär sind: Die tun was fürs Viertel – die anderen wollen nur Radau!
Last but noch least: Der Aufschrei nach dem Versuch des Berliner Kultursenators Joe Chialo, weil der von Kulturiniativen eine gängige, jedenfalls nicht antiisraelische Antisemitismusformel signiert haben wollte, hatte schlicht existenzielle Gründe. Die da rebellierten – wie lächerlich war das denn, mit Kunstboykott zu drohen! –, sind fast durchweg Fördermittelempfänger. Sie fürchten um ihre Apanagen.
Die Mehrheit aller Migrantinnen* in Deutschland hat mit alldem nichts zu tun. Sie wollen das, was sie bei ihrer Flucht oder, neutraler gesagt, Ankunft in Deutschland ersehnten: ein ruhiges Leben ohne Politzwänge und Bekenntnisorgeleien, ein Leben in Respekt und mit Arbeit, die Kinder versorgen, abends ein bisschen gemütlich, gern beim Fernsehen oder mit dem Computer auf dem Sofa, Katzenbilder angucken, so in etwa. Was wir an den Universitäten mit ihren Protestcamps sehen, ist das intellektuell und lebensweltlich insuffiziente Gebölk um alles, nur nicht um die konkrete Verbesserung palästinensischer Lebenslagen. Leider!
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