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Konflikt an der Alice Salomon HochschuleSolidarität mit Präsidentin nach Palästina-Besetzung

Jüdische Studierende und Mit­ar­bei­te­r der Berliner Hochschule stellen sich hinter Präsidentin Völter. Die Antisemitismusvorwürfe seien ungerechtfertigt.

Geduldete Besetzung: Banner hängen aus den Fenstern des Audimax der Alice Salomon Hochschule am 7. Januar Foto: Hanno Fleckenstein

Berlin taz | Nach der geduldeten Besetzung eines Hörsaals an der Alice Salomon Hochschule (ASH) durch propalästinensische Ak­ti­vis­t*in­nen haben jüdische Studierende und Mit­ar­bei­te­r*in­nen ihre Solidarität mit Hochschulpräsidentin Bettina Völter erklärt.

Sieben derzeitige und ehemalige Lehrbeauftragte sowie Studierende der Hochschule schreiben in einem öffentlichen Statement, sie stünden „voll und ganz hinter der Entscheidung des Präsidiums, die Besetzung und die damit verbundenen Äußerungen und Symboliken intern und deeskalierend zu beenden und keine polizeiliche Räumung zu veranlassen“. Zudem verteidigten sie Völter gegen den Vorwurf, sie habe „in ihrem Handeln Antisemitismus geduldet, gefördert oder unterstützt“. Das Gegenteil sei der Fall.

Bettina Völter und die gesamte Leitung der ASH waren wegen ihres Umgangs mit der Aktion in die Kritik geraten. Am vergangenen Montag hatten Studierende aus Protest gegen das israelische Vorgehen im Gazastreifen das Audimax der Hochschule in Hellersdorf besetzt. Nach Gesprächen erlaubte die Hochschule den Protestierenden, den Hörsaal bis einschließlich vergangenen Donnerstag für „Wissensaneignung, zum Austausch und zur kritischen Auseinandersetzung“ zu nutzen. Im Gegenzug mussten die Be­set­ze­r*in­nen den Raum jeden Abend zur üblichen Schließzeit der Hochschule verlassen.

Dabei stellte sich Völter schützend vor die Aktivist*innen, als diese am ersten Abend aus dem Gebäude traten. Videos in den sozialen Netzwerken zeigen ein Wortgefecht mit einem Polizisten, der sich neben der Tür postiert hatte. „Wir erleben es als bedrohlich, dass Sie vorn am Eingang stehen“, sagt Völter darin, und: „Ich habe Sie nicht gerufen. Wir brauchen Sie nicht.“

Beihilfe zu Straftaten?

Seitdem reißt die Kritik an Völter nicht ab. Bereits in der vergangenen Woche hatten sich der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU), Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) und weitere Berliner Po­li­ti­ke­r*in­nen zu Wort gemeldet. Wegner etwa nannte Völters Handeln „völlig unverständlich“ und sprach von „vermummten und gewalttätigen Antisemiten“. Zudem bat Wegner Czyborra, „mögliche Maßnahmen“ gegen die Hochschulleitung „zu prüfen“. CDU-Fraktionschef Dirk Stettner forderte Völter zum Rücktritt auf.

Am Montag befasste sich auch der Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses mit dem Thema. Innensenatorin Iris Spranger (SPD) kritisierte „Verhalten und Äußerungen“ von Völter als „nicht nachvollziehbar und deplatziert“. CDU-Innenpolitiker Burkard Dregger warf der Hochschulleitung vor, durch die Genehmigung der Besetzung Beihilfe zu Straftaten geleistet zu haben.

Raum für jüdische Stimmen geschaffen

Die Gruppe jüdischer Hochschulangehöriger widerspricht diesen Darstellungen. In dem Schreiben lobt sie zunächst das Handeln von Bettina Völter seit dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023. Völter habe sich nicht angemaßt, über die Sorgen und Bedürfnisse der jüdischen Studierenden und Mitarbeitenden zu sprechen, sondern diese „aktiv mit ins Boot geholt und Raum für unsere eigenen Stimmen geschaffen“. Damit habe sie etwas geschafft, „was wir im allgemeinen Diskurs schmerzlich vermissen“.

Vor diesem Hintergrund habe die Besetzung ohne Räumung die Chance geboten, „mit den Studierenden an den Erfahrungen zu arbeiten und sie nicht nur auszuschließen und gesellschaftlich zu stigmatisieren“. Alle Beteiligten der Besetzung pauschal als „Antisemiten“ zu bezeichnen, sei „diskriminierend und in dieser Verallgemeinerung schlichtweg falsch“, schreiben die Ver­fas­se­r*in­nen mit Blick auf die Äußerungen von Wegner. „Wenn jede Solidaritätsbekundung mit den Menschen in Gaza als Antisemitismus markiert wird, verlieren tatsächliche antisemitische Äußerungen und Taten an Bedeutung.“

Anzeigen wegen Hamas-Slogans

Gleichwohl sei es während der Besetzung zu antisemitischen Äußerungen und Handlungen gekommen, heißt es in dem Statement. Man habe Hamas-verherrlichende Symbole gesehen und Parolen gehört. Doch die Hochschulleitung habe „mit persönlichem Einsatz deeskalierende Gespräche geführt und klare Grenzen formuliert“. Daraufhin seien diskriminierende Plakate von den Besetzenden selbst entfernt worden.

Das widerspricht einer Darstellung der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (DJU), wonach die Hochschulleitung bei einem Besuch von Pressevertretern vergangenen Donnerstag „eilig belastendes Material von den Wänden gerissen“ und Journalisten daran gehindert habe, „es zu dokumentieren“.

Die Hochschulleitung hat zwölf Vorfälle allerdings auch zur Anzeige gebracht, wie am Montag bekannt wurde. Es seien vier Variationen der Parole „From the River to the Sea“ auf Postkarten sowie sechs rote Dreiecke registriert worden, berichtete Wissenschaftsstaatssekretär Henry Marx (SPD) im Innenausschuss.

Darüber hinaus sei in „verschieden kontextualisierten Sprüchen“ auf die Hamas verwiesen worden – etwa mit dem Schriftzug „Hamas Habibi“ („Hamas, mein Liebling“). „Dies sind klar Dinge, die gewalt- und terrorverherrlichend sind und einen antisemitischen Charakter aufweisen“, sagte Marx.

Büste verhüllt

Nicht angezeigt wurde demnach eine Aktion der Protestierenden, die weiterhin für heftige Diskussionen sorgt: Zu Beginn der Besetzung war eine Büste von Alice Salomon, jüdische Namensgeberin der Hochschule, mit einer Kufija verhüllt und auf den Sockel „Palestine“ in roter Schrift gekrakelt worden. Tuch und Schriftzug wurden bald wieder entfernt, von wem, ist unklar. Von einer „Schändung“ sprach am Montag die „Ständige Konferenz der NS-Gedenkorte im Berliner Raum“. Es handele sich um eine „durch nichts zu rechtfertigende antisemitische Verhöhnung ihrer Namensgeberin“. Zuvor hatten auch Bild-Zeitung und B.Z. den Vorfall als „Schändung“ bezeichnet; ein Sprecher der ASH hingegen erklärte laut DJU, die Hochschule würde nicht von einer „Schändung“ sprechen.

Neben der Gruppe jüdischer Hochschulangehöriger haben sich in den vergangenen Tagen weitere ASH-Mitarbeiter*innen geäußert. Am Freitag wurde bekannt, dass Hochschul-Kanzlerin Jana Einsporn, verantwortlich für Verwaltung und Finanzen, einen Brief an den Senat geschrieben hat. Darin bat sie den Regierenden Bürgermeister um Hilfe. Kollegen hätten ihr „von Ängsten und Unsicherheiten berichtet, da die Situation vor Ort weniger friedlich wahrgenommen wird, als dies in den Medien dargestellt wird“. Die Besetzung verschärfe das Unsicherheitsgefühl der Mitarbeitenden.

Gleichzeitig erhielt Bettina Völter von mehr als 40 Pro­fes­so­r*in­nen und weiteren ASH-Mitarbeiter*innen Rückendeckung. In einem weiteren offenen Brief, der ebenfalls bereits am Freitag veröffentlicht wurde, erklären sie, dass sich die Hochschulleitung im Umgang mit der Besetzung „ihrem Bildungsauftrag entsprechend“ verhalten habe. Inzwischen haben knapp 200 weitere Wis­sen­schaft­le­r*in­nen den Brief unterzeichnet.

„Ein absoluter Skandal“

Dass die Universitätsleitung die Besetzung geduldet habe, sei „ein absoluter Skandal“, sagte dagegen Hanna Esther Veiler, Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion (JSUD) in einem auf Instagram veröffentlichten Video. Menschen studierten an der ASH Bildung und Erziehung oder soziale Arbeit. „Menschen, die gerade mit Plakaten wie ‚I love Hamas‘ über den Campus laufen, das sind Menschen, die in ein paar Jahren So­zi­al­ar­bei­te­r*in­nen werden“, sagt Veiler.

Ihr gehe „das Bild nicht aus dem Kopf“, dass diese Leute dann „für Menschen verantwortlich sind, die aus Ländern geflohen sind vor genau solchen Terrororganisationen, vor Regimen, die die gleiche Ideologie haben wie Hamas“ oder auch vor jüdischen älteren Menschen, die oft wegen Armut auf Sozialhilfe angewiesen seien. „Und dann haben sie jemanden vor sich, die in ihrer Studienzeit Hamas ganz super fand“, sagt Veiler.

„Das fände ich auch bedenklich – wenn diese Studenten kommentarlos agieren dürften“, sagt Vered Berman. Sie ist Mitverfasserin des offenen Briefs und Lehrbeauftragte an der ASH. „Aber das ist hier nicht passiert. Und das schätze ich an der ASH“, sagt sie. Manche Be­set­ze­r*in­nen hätten Grenzen überschritten – aber dazu habe es Gespräche gegeben. „Diese Gespräche wurden nicht beendet. Es gibt hier eine Diskussionskultur“, sagt Berman.

Auch in ihrem Seminar zum Nahost-Konflikt gäbe es konstruktiven Austausch, Meinungen dürften dort aufeinanderprallen. „Ich kämpfe für den Frieden“, sagt Berman. Intifada-Rufe oder Hamas-Dreiecke zeigten dagegen den Wunsch nach Vernichtung der anderen Seite. „Doch ohne Diskussion gewinnen am Ende nur die Radikalen. Dagegen kämpfe ich, so gut ich kann.“

Mitarbeit: Uta Schleiermacher

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4 Kommentare

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  • "Man habe Hamas-verherrlichende Symbole gesehen und Parolen gehört. Doch die Hochschulleitung habe „mit persönlichem Einsatz deeskalierende Gespräche geführt und klare Grenzen formuliert“. Daraufhin seien diskriminierende Plakate von den Besetzenden selbst entfernt worden. "



    Ich stelle mir den Aufschrei vor, wenn an einer Hochschule in Deutschland Nazi-verherrlichende Symbole und Plakate öffentlich gezeigt würden - aber wenn es um die Hamas geht, ist das ja nur "diskriminierend". Dass die Hamas Israel und israelische Menschen erklärtermaßen vernichten will - egal.



    Und anders als von den Sieben dargestellt wird in Deutschland weder "jede Solidaritätsbekundung für die Menschen in Gaza als antisemitisch markiert", noch werden "kritische jüdische und israelische Perspektiven ignoriert oder gar bekämpft" - im Gegenteil.



    Andere "jüdische und israelische" Menschen habe die ASH mittlerweile verlassen oder schweigen. Es ist nicht nur dort nicht ratsam, sich offen zum Zionismus zu bekennen.



    "Zionists not welcome" - wird man bald auch die Delegitimierung Israels diskutieren - multiperspektivisch, dialogisch und partizipativ?

  • Chapeau. Konflikt de-eskalieren, andere Meinungen zulassen, Dialog foerdern, Kompromisse aushandeln und dafuer den Respekt von allen Beteiligten bekommen.



    Warum geht das nicht anderswo?

  • Schön, wenn Professoren mal mutig sind.

  • Laut einem, leider kostenpflichtigen, Bericht in der FAZ, soll Frau Völter Journalisten zunächst den Zutritt in die Hochschulgebäude verwehrt haben. Als die dann doch rein durften, hätten Angehörige der Hochschulleitung eilig Plakate mit antisemitischen Inhalten heruntergerissen und Versuche, das zu filmen, zu verhindern gesucht. Auch habe man den Besetzern praktisch das Hausrecht übertragen, die dann alleine entscheiden konnten, wer das besetzte Gebäude betreten durfte.

    Auch sonst hätten Frau Völter und andere Mitglieder der Hochschulleitung sich so verhalten, als ob sie mit den Besetzern solidarisch wären.

    Eventuell könnte man diese, vom -Geschäftsführer DJU-in verdi, Jörg Reichel, erhobenen Vorwürfe mal überprüfen.

    Dass sich Teile des Leitungspersonals an Berliner Hochschulen etwas schwer damit tun, sich von antisemitischen Demonstranten und Besetzern zu distanzieren, ist ja nichts Neues.

    Link zum Artikel:



    www.faz.net/aktuel...eit-110226522.html