piwik no script img

Palästina-Aktivist:innen in BerlinAusweisung wegen Hass und Hetze?

Vier Ak­ti­vis­t:in­nen der Berliner Palästina-Bewegung sollen ausgewiesen werden. Das beschäftigt auch das Landesparlament. Vor der Tür gibt es Protest.

Etwa 400 Menschen protestieren am Montag vor dem Abgeordnetenhaus in Berlin Foto: Annette Riedl/dpa

Berlin. taz | Etwa 400 Personen demonstrierten am Montagmorgen vor dem Abgeordnetenhaus gegen die geplante Ausweisung von vier Mi­gran­t:in­nen aus der palästina-soldarischen Bewegung. „Wahrheit kann man weder töten noch abschieben“, stand auf dem Plakat eines Teilnehmenden.

Der Grund für den Protest: Im Abgeordnetenhaus tagte zeitgleich der Innenausschuss, in dem auch die geplante Ausweisung Thema war. Staatssekretär Christian Hochgrebe (SPD) verteidigte dabei das Vorgehen der Senatsinnenverwaltung.

Diese hat die vier Staatsangehörigen aus Polen, den USA und Irland aufgefordert, Deutschland bis zum 21. April zu verlassen – andernfalls droht ihnen die zwangsweise Abschiebung (taz berichtete). Den Personen wird verschiedenes vorgeworfen.

Teils sollen sie an einer Straßenblockade und an einem Massensitzstreik am Hauptbahnhof beteiligt gewesen sein. Zwei Betroffene sollen einen Polizeibeamten als „Faschisten“ bezeichnet, drei von ihnen mit Gruppen demonstriert haben, die verbotene Parolen wie „From the river to the sea, Palestine will be free“ skandierten.

Innenverwaltung verteidigt Vorgehen

Allen vier wird vorgeworfen, sich im Oktober 2024 an einer Besetzung eines Gebäudes der Freien Universität beteiligt zu haben. Vermummte sollen damals etwa mit Äxten, Sägen, Brecheisen und Knüppeln in das Gebäude eingedrungen sein und Beschäftigte bedroht haben. Die FU schätzt den Sachschaden auf mehr als 100.000 Euro.

Kritik an den Ausweisungen kam unter anderem von Niklas Schrader, dem innenpolitischen Sprecher der Linksfraktion. Natürlich seien bei der Besetzung Dinge passiert, die nicht zu rechtfertigen seien, sagte er im Ausschuss. „Aber die konkrete Tatbeteiligung der Betroffenen steht noch gar nicht fest.“ Eine Ausweisung sei somit nicht gerechtfertigt.

Staatssekretär Hochgrebe entgegnete für die Verwaltung von SPD-Innensenatorin Iris Spranger: „Wenn Hass, wenn Hetze und insbesondere Antisemitismus erfolgen“, sei die „rote Linie“ überschritten. Eine strafrechtliche Beurteilung sei bei Ausweisungen nicht relevant.

Der Grünen-Innenexperte Vasili Franco sagte, es gehe keine „hinreichend schwere Gefährdung“ der öffentlichen Sicherheit von den vier Betroffenen aus. „Der Innenverwaltung scheint die Dimension ihrer Entscheidung gar nicht bewusst zu sein“, die Ausweisungen seien „unverhältnismäßig“. Wenn Menschen ohne vorhergehende rechtskräftige Verurteilung auf politische Anweisung hin ausgewiesen werden sollen, sei das „rechtsstaatlich problematisch“.

Zudem sei die Entscheidung „unbefriedigend“, sagte Franco: „Man gibt vor, im Namen der Sicherheit und des gesellschaftlichen Friedens durchzugreifen, erreicht aber das genaue Gegenteil.“

Protest im Saal

Während der Sitzung kam es auch zu Protest im Saal. „Israelkritik ist kein Antisemitismus“, rief eine Person. Sie wurde von Sicherheitskräften des Saales verwiesen.

Die von den Ausweisungsverfügungen Betroffenen haben inzwischen Klagen vor dem Berliner Verwaltungsgericht eingereicht und einstweiligen Rechtsschutz beantragt.

Für Rechtsanwalt Yunus Ziyal vom Republikanischen Anwaltsverein ist dabei klar: Zumindest in den drei Fällen, wo es um EU-Bürger:innen geht, sei der Entzug des EU-Freizügigkeitsrechts, ohne dass die Betreffenden sich strafrechtlich etwas zu schulden kommen ließen, „eindeutig rechtswidrig“.

Etwas anders gelagert sei der vierte Fall, erklärte Ziyal am Montag der taz. Hier geht es um eine US-Bürgerin, die aus Deutschland ausgewiesen werden soll. Dies sei juristisch möglich ohne vorherige strafrechtliche Verurteilung, sagte Ziyal – ein Umstand, den der RAV seit langem kritisiere. Dennoch müsse man sich ansehen, was genau vorgeworfen wird.

Die US-Bürgerin soll wegen ihrer Teilnahme an der FU-Besetzung ausgewiesen werden. „Aber die Ermittlungen dazu stehen noch ganz am Anfang und es ist sehr ungewöhnlich, dass die Ausländerbehörde trotzdem schon ausweisen will“, sagte Ziyal. Dies sei für ihn ein Hinweis darauf, „dass es hier politische Implikationen gibt“.

Auch der Begriff der „Staatsräson“, der in den Ausweisungsbescheiden als Begründung herangezogen wird, weist für Ziyal in diese Richtung: „Staatsräson ist kein juristisches Argument. Es ist ja nicht einmal normiert, was genau das sein soll. Was Staatsräson ist, kann jeder jeden Tag neu erfinden.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

13 Kommentare

 / 
  • Ich vermute mal, wenn es sich bei den vier Aktivist*innen um Neonazis handeln würde, die sich hier mit Gruppen wie der »Elblandrevolte« vernetzt hätten und bei den Teilweise gewalttätigen Demonstrationen gegen die CSD's dabei gewesen wären, dann würde jetzt hier nicht über Meinungsfreiheit, individuelle Schuld oder Bürger*innenrechte diskutiert werden. Ich denke das wir solche Leute auch nicht »Migrant*innen« nennen, oder sonst wie in eine unterprivilegierte, schützenswerte Ecke stellen würden.

    Das Problem sind also nicht die Maßnahmen, sondern gegen wen sie angewendet werden. Das Problem ist, das der Hass und die Hetze dieser Antisemit*innen und Antizionist*innen -- im Gegensatz zu dem ihrer rechten Spiegelbilder verharmlost und als »palästina-solidarisch« oder friedensbemüht verklärt werden.

    Dabei kommt zu kurz, das solche zweifelhaften, staatlichen Reaktionen gar nicht nötig wären, wenn sich die Zivilgesellschaft und gerade linke Menschen mit ihren jüdischen Mitbürger*innen, Nachbar*innen und Genoss*innen solidarisieren würden, anstatt mit antisemitischen Propagandist*innen und Aktivist*innen.

  • Den hier verwendeten Begriff "palästina-solidarische Bewegung" halte ich für hochproblematisch.



    Für Personen, die eine weltweite Intifada herbeischreien, Dozenten einschüchtern, indem sie ihre Büros mit roten Dreiecken markieren und sich mit der Parole "from the river to the sea" für einen judenfreien Raum zwischen Jordan und Mittelmeer stark machen, ist diese Bezeichnung beschönigend und irreführend.



    Die identitäre Bewegung ist schließlich auch keine Solidaritätsbewegung für die autochtone Bevölkerung zwischen Maas und Memel, der IS keine islam-solidarische Organisation und Putin kein pro-russischer Aktivist.



    Wir müssen doch auch beim Nahostkonflikt die Dinge beim Namen nennen: Wer die Propaganda der Hamas reproduziert, ist doch nicht palästina-solidarisch. Wer dies tut, verherrlicht den Terror,. Und zwar nicht nur den Terror gegen Israel, sondern auch gegen jene Palästinenser, die sich ein Leben in Freiheit und Selbstbestimmung ohne islamistische Unterdrückung wünschen.

  • Also sorry liebe taz aber hier wird doch einiges aus dem Originalartikel von Hanno Hauenstein weggelassen oder nicht klar dargestellt. Keinem der vier wird was die Uni-Besetzung oder der Teilnahme an Protesten ein auf die jeweilige Person zugeschriebene Tat vorgeworfen. Kollektive Bestrafung oder Sippenhaft gibt es nicht in Deutschland. Die Begründungen für die Deportationen enthalten eine Menge Vorwürfe, die nicht von Beweisen unterlegt werden. Gerade wenn man Leuten vorwirft die Hamas zu unterstützen ohne Beweise ist das doch mehr als grenzwertig. Zumal die Unterstützung einer Terrororganisation verboten ist und sich dann die Frage stellt, wieso man keine Anklage gegen die vier erhebt. Der einzige der tatsächlich eine Anklage erhalten hatte, war der Ire O´Brien, weil er einen Polizisten als Faschisten bezeichnet haben soll, die Anklage wurde aber fallengelassen. Das Vorgehen wurde selbst innerhalb der Behörden gerade für die drei EU-Bürger als nicht legal bezeichnet. Originalartikel theintercept.com/2...protesters-deport/

  • „ Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet 1) (Aufenthaltsgesetz - AufenthG)



    § 53 Ausweisung



    (1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.“

    Also relativ leicht Kriterien zu erfüllen die genannt sind, wenn sich unkritisch Hamas Parolen und Symbole (rote Dreiecke für Feldmarkierung) zu eigen gemacht werden, Sachschaden erzeugt wird und gar Personen bedroht werden.

    Eine mehrfache Beteiligung an Aktionen die nicht friedlich blieben macht es für mich verständlich, dass die Personen wohl nicht beim nächsten mal eine weniger militante oder weniger Hamas unterstützende Auswahl bei protestteilnahme Entscheidungen an den Tag legen.

    Strafverfahren sollten jedoch angestrengt werden, für die Wahrheit.

  • Wo ist die Taz Berichterstattung über den Antisemiten der eine Person ins Krankenhaus getreten hat, Hirnblutungen verursachte?

    Der Prozess gegen ihn hat begonnen und die Taz druckt bisher nicht dazu: www.rbb24.de/panor...udent-shapira.html

    • @AlHozo Hoto:

      Einfach mal die Suchfunktion der taz-Website bedienen, dann finden Sie die Berichterstattung. Aber irgendwie deucht mich, dass es Ihnen gar nicht aus ehrlichem Interesse darum geht...

  • Heute beginnt der Prozess gegen einen Studenten der einen jüdischen Mitstudenten der FU angegriffen hat. Dieser erlitt massive Gesichtsfrakturen und eine Gehirnblutung. Im selben Zeitraum besetzen "Aktivisten" Teile der FU, bedrohten Mitarbeiter und Andersdenkende mit "Palästina-solidarischen" Äxten und Knüppeln und verursachen einen Sachschaden von 100K€. Was sich hier als anti-kolonial, progressiv maskiert, weisst doch massive Ähnlichkeiten mit eher unakademischen Sturmtruppen der späten 20ziger Jahre auf. Der einzige Unterschied scheint mir zu sein, dass der neuzeitliche Pöbel keine mit Haken verzierte Armbinden sondern orientalisch anmutende Stofffetzen als Erkennungsmerkmal benutzen.

  • Das Versammlungsrecht nach Art. 8 GG steht ausdrücklich "Deutschen" zu, - jedenfalls steht das da wortwörtlich. (Mal abgesehen davon, ob das, was die 'Demonstrierenden' da gemacht haben, eine politische Versammlung war.)

  • Einfach Ermittlungen abwarten. Der hohe Sachschaden, die Bedrohung des FH-Personals und evtl. Volksverhetzung etc. sind kein Pappenstiel. Deshalb sind übereilte Aktionen, wie Ausweisungen nicht sinnvoll. Nicht zuletzt auch für die Verdächtigten, falls sich die Vermutungen nicht bestätigen sollten.

    • @Black & White:

      Man könnte auch exakt umgekehrt argumentieren.

      Gerade weil die Taten kein Pappenstiel sind.

      Hass und Hetze ließe sich ausweisen.

    • @Black & White:

      Da es bei gemeinschaftlich begangegen Straftaten in aller Regel schwer bis unmöglich ist einzelnen Tätern konkrete Straftaten sicher zuzuordnen, bin ich da etwas skeptisch.



      Ich mache es mir da deutlich einfacher. Wer mit Nazis demonstriert, ist selber auch einer. Was in Chemnitz gilt, kann hier auch nicht falsch sein.

      • @Šarru-kīnu:

        Die Analogie geht nicht auf: denn bei den Demonstranten in Chemnitz ging es um eine erst einmal folgenlose kollektive Beschreibung durch einige Beobachter, in diesem Fall aber um massive rechtliche Konsequenzen. Es ist ein Unterschied, ob ein Journalist jemand aufgrund der Teilnahme an einer Demonstration als Nazi oder Rechtsextremist bezeichnet oder ob eine Landesregierung Menschen abschiebt, denen bisher keine individuelle Straftat nachgewiesen wurde. Das eine ist Kritik, das andere staatliche Willkür – und auch wenn ich damit auf taube Ohren stoße, weise ich mal wieder darauf hin, dass man einer solchen Erosion rechtsstaatlicher Standards auch dann mit einer gesunden Skepsis begegnen sollte, wenn man die Ansichten der Betroffenen nicht teilt. Manchmal geht es tatsächlich ums Prinzip.

      • @Šarru-kīnu:

        Unser Rechtsstaat beruht darauf, dass individuelle Schuld nachgewiesen werden muss.

        Ich hoffe, dass Sie, Sarru-kinu, kein Richteramt ausüben, wenn Sie es sich "deutlich einfacher" machen wollen. Und ich hoffe, dass diese juristisch deutlich bedenkliche Schritte von einem Gericht einkassiert werden, das nach Recht und Gesetz urteilt.