Ostdeutsche Identität: La „Ostdolce Vita“
Auf der Suche nach dem, was ihre Identität geprägt hat, hält Olivia Schneider die Kamera drauf. Den Osten will sie nicht verherrlichen.
Dort folgen ihr unter dem Namen „tumvlt“ mehr als 21.100 Menschen. „Ich sehe der Landtagswahl sehr pessimistisch entgegen. Ich versuche zumindest die zu unterstützen, die sich echt gegen rechts engagieren und finanzielle Unterstützung brauchen. Ich versuche, ihnen irgendwie Sichtbarkeit zu geben.“
Der Text ist aus einem zu den Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im Rahmen eines Online-Workshops der taz Panter Stiftung entstandenen Ostjugend-Dossier, das durch Spenden finanziert wird: taz.de/spenden
Sie erstellte tumvlt 2017 im Rahmen ihres Diplomkunststudiums in Dresden. Was der Name bedeutet? Nichts. Nach dem Abschluss studierte sie Soziale Arbeit und der Account lag still. Bis vor einem Jahr, da postete sie ein Reel, in dem sie Momente ihres Sommers unter dem Titel „Ostdeutsche Vita“ festhielt. „Das ging ziemlich viral und dann hatte ich Lust, mehr zu dem Thema zu machen“, sagt Schneider. Das Thema: Leben und Identität junger Menschen in Ostdeutschland.
Für tumvlt kocht sie DDR-Rezepte, stöbert in sächsischen Trödelläden oder macht Ausflüge in der Region. Die kurzen Videos sind manchmal nachdenklich, oft ironisch: „Ich suche nach Dingen, die irgendwie meine Identität geprägt haben. Bautzner Senf wird zum Beispiel krass abgefeiert. Ich fand es lustig, dann alle möglichen Produkte wie eine Senftorte zu machen.“
Vier Stunden braucht sie in etwa für ein Video. Neben ihren beiden Jobs in der Betreuung und Pflege ist gerade nicht viel Zeit dafür, obwohl ihre Liste mit Ideen lang ist.
Heute will sie das DDR-Museum in Pirna besuchen. Auf dem Weg dorthin erzählt Schneider, dass sie vor vier Jahren das Buch „Ostbewusstsein“ von Valerie Schönian las und merkte: Der Osten hat etwas mit mir zu tun. Ich bin hier aufgewachsen und kann damit selbstbewusst umgehen. Das will sie auch mit tumvlt zeigen: „Mir schreiben Menschen, die sagen, dass sie ihr Ossisein irgendwie immer abgewertet haben und das jetzt annehmen können.“
Ostdeutsche Menschen und Dinge wertschätzen
Angekommen im Museum, stehen dort auf zwei Etagen Tausende Relikte aus der DDR-Zeit: Eine komplett eingerichtete Küche, Autos, ein Café mit typischen Produkten, die Gäste sind große Puppen, über die Schneider schmunzelt. Den Ort würde sie nicht auf ihrem Account präsentieren: „Ich mag die Ästhetik mancher Dinge, aber es geht mir nicht darum, die DDR irgendwie abzukulten.“
Sie erzählt, einige der Exponate besitze sie auch, wie die orangefarbenen Eierbecher oder den Badehocker: „Meine Eltern finden das komisch. Sie haben alles damals weggeschmissen.“
Olivia Schneider erzählt, jemand habe sie auf Instagram gefragt, wie sie es aushalte, im Osten zu leben. Die Person meinte, sie wolle am liebsten eigenhändig die Mauer wieder aufbauen. „Das ist total abwertend. Was habe ich davon? Man könnte auch sagen, dass es ein Problem gibt, das man gesamtdeutsch lösen muss. Dass es Menschen und Initiativen gibt, die sich übelst engagieren und die man unterstützen sollte.“
„Ostdeutschland“, das Wort ist politisch aufgeladen. Als Schneider ihr „Ostdeutsche Vita“-Reel hochlud, folgten ihr plötzlich AfD-Anhänger:innen. Sie habe alle blockiert: „Es gibt eben einen Unterschied zwischen Ostdeutschland und Ostdeutschland in Frakturschrift.“ Ihr ginge es darum, Menschen und Dinge wertzuschätzen, sie wolle nichts verherrlichen, auch das starke Abgrenzen vom Westen oder die Besinnung auf Heimat findet sie schwierig.
Mit ihren Freund:innen würde sie selbst oft schlecht über den Osten reden, nach außen habe sie das Gefühl, ihn verteidigen zu müssen: „Ich hasse diesen Satz, weil er so abgedroschen ist: Es gibt eben auch coole Leute.“ Sie sei hier aufgewachsen, lebe jetzt in Dresden, Freund:innen und Familie, ihr Leben sei hier. Weggehen sei keine Option.
Paula Meister, 24, aufgewachsen in Markkleeberg, Sachsen. Bachelor in Politik- und Sozialwissenschaften, derzeit Masterstudium und Ausbildung zur Redakteurin in München an der LMU und Deutschen Journalistenschule.
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