Organisator von „Dorf der Jugend“: Jung, links, unerwünscht

Mit einem Projekt kämpft er in Sachsen gegen rechts. Behörden kritisieren Tobias Burdukats politische Haltung – und verweigern mehr Geld.

Tobias Burdukats sitzt auf einer Halfpipe, ein junger Mann fährt dort mit seinem Skateboard

Tobias Burdukats (links) hat mit Jugendlichen das Projekt „Dorf der Jugend“ aufgebaut Foto: Christian A. Werner

GRIMMA/BORNA taz | Das sächsische Städtchen Grimma hat ein Problem: Es verliert seine Jugend. Wer kann, sucht nach dem Schulabschluss sein Glück woanders. Doch einmal im Jahr ändert sich das für einen Tag, dann kommen ganze Züge voll junger Leute am Bahnhof an, die sich auf den Weg zum Areal der alten Spitzenfabrik am Stadtrand machen. Hier ist das „Dorf der Jugend“ zu Hause. Die Jugendlichen in Grimma haben das Projekt gemeinsam mit Sozialarbeiter Tobias Burdukat aufgebaut. Sie verwalten es selbst, finanzieren es mit einem Containercafé, haben einen Skatepark gebaut, eine Fahrradwerkstatt eröffnet, einen Bolzplatz vom Dickicht befreit und feiern ab und zu Feste.

Doch das Vorzeigeprojekt ist in Gefahr. Es geht um Unterstellungen, um politische Machtspiele – und um Geld. Denn Sozialarbeiter Burdukat ist auf eine öffentliche Finanzierung angewiesen. Doch genau die wird ihm nun verweigert – zumindest teilweise.

Im vergangenen August geht es im Dorf der Jugend in vielen Gesprächen um Chemnitz, wo gleichzeitig Tausende Neonazis aufmarschieren und Hetzjagden auf Migranten stattfinden. Die linke Band Egotronic kommt an diesem Abend von der Gegendemo und spielt auf dem Festival ihr zweites Konzert an diesem Tag. Der Rechtsruck in Ostdeutschland beherrscht an diesem Abend viele Gespräche an den Infoständen, an den Bar. Viele hier sehen die Ursache auch in der sterbenden Jugendkultur auf dem Land. Denn es gibt immer weniger Angebote, das macht es den Neonazis leicht, junge Leute anzuziehen. Das Dorf der Jugend ist bei dieser Entwicklung ein Gegenbeispiel: Für seine Arbeit hat Burdukat 2016 den Panter Preis der taz und die „Goldene Henne“ gewonnen. Seitdem kann er sich vor Anfragen anderer Vereine, die sich Beratung wünschen, kaum retten.

Doch nun verwehrt das Jugendamt im Landkreis Leipzig dem Projekt die unabhängige, finanzielle Weiterentwicklung. An diesem Mittwoch kam der Bescheid: „Die freie Trägerschaft des Vereins hinter dem ‚Dorf der Jugend‘ wird abgelehnt.“ „Unser Projekt hat mittlerweile ein Ausmaß angenommen, das mit nur einer Stelle nicht mehr leistbar ist“, sagt Burdukat. „Ich hätte nie gedacht, dass es so viel Erfolg haben könnte. Sonst wäre das hier vielleicht auch nicht ganz so bitter.“

Das Jugendamt verlangt politische Neutralität

Das Jugendamt hat ein Problem mit Burdukat und dem Projekt. Es geht um ein Graffiti in der Toilette mit den Worten „Kacken ist wichtiger als Deutschland“, ein paar Sticker, den Auftritt von Egotronic auf dem Crossover-Festival im August und letztendlich die politische Einstellung von Burdukat.

Am ersten Dienstag im April steht Projektleiter Burdukat auf dem Flur der Behörde im nahegelegenen Borna und streicht sich nervös durch seinen langen, braunen Vollbart. Er trägt eine Cap mit „FCKAFD“-Button – noch ein Schriftzug, den das Jugendamt auf dem Gelände angekreidet hat. „Das geht nicht gut“, sagt er. Hinter verschlossenen Türen verhandelt gerade der Jugendausschuss die finanzielle Zukunft seines Projektes. Es geht darum, ob der Trägerverein des Dorfs der Jugend, der Förderverein für Jugendkultur und Zwischenmenschlichkeit (FJZ), als freier Träger anerkannt wird.

Genau dies wäre ein wichtiger Schritt für das Vorzeigeprojekt: Es würde für den Verein mehr Mitbestimmung in kommunalen Gremien, mehr Fördermöglichkeiten aus verschiedenen Geldquellen und eine langfristige Finanzplanung bedeuten. Vereine können die freie Trägerschaft nach einem Jahr Jugendarbeit beantragen, dann entscheidet das Jugendamt nach Ermessen über die Anerkennung. Nach drei Jahren haben sie dann einen Rechtsanspruch. Der FJZ macht seit 2006 Jugendarbeit, seit 2017 fördert der Landkreis das Dorf der Jugend mit einer 30-Stunden-Stelle. Die Anerkennung sollte eigentlich kein Problem sein. Doch dem ist nicht so.

Burdukat ist fraktionsloses Kreisratsmitglied und trägt am Hals ein kleines Anarchietattoo. Seine politische Einstellung und sein Engagement gegen Nazis sind bekannt. Doch das Jugendamt verlangt von ihm politische Neutralität – und damit auch, dass er die AfD nicht angreift. In einer Gesprächsnotiz des Landratsamtes vom Dezember kritisiert die Behörde: „Auf dem Gelände des Projektes Dorf der Jugend findet sich an mehreren Stellen eine ablehnende Haltung gegenüber der AfD.“ Außerdem bemängelt das Amt „die Positionierung der Fachkraft öffentlich als Anarchist“. Es zitiert aus einem persönlichen Blogeintrag Burdukats, wonach „die Demokratie nicht die perfekte und beste Form der Herrschaft und vor allem mit vielen Hierarchien in seiner jetzigen Form versehen“ sei. Auch habe er „mangelndes Verantwortungsbewusstsein“ bei Kommunalpolitik und -verwaltung kritisiert.

Ein Fabrikgebäude steht am Wasser

Die alte Spitzenfabrik am Stadtrand Foto: Christian A. Werner

„Ich vertrete ein humanistisches Weltbild“

Auch der Auftritt von Egotronic ist im Visier der Behörde. Deren Sänger Torsun Burkhardt sagt dazu, nicht Burdukats Verhältnis zum Grundgesetz sei das Problem: Vielmehr müssten sich die Verantwortlichen im Amt „die Frage gefallen lassen, ob nicht sie es sind, die den Boden des Grundgesetzes verlassen und Gelder nur nach Gesinnung und nicht nach Gemeinnutz verteilen“.

Das Schriftstück des Jugendamtes gipfelt in der Aussage: „Neutrale politische Haltung der Fachkraft, wie es im Rahmen der Jugendarbeit nach § 11 SGB VIII geboten ist, ist nur schwer erkennbar.“ Daher werde man dem Ausschuss nahelegen, den Antrag auf freie Trägerschaft abzulehnen. „Ich finde das unglaublich“, sagt Burdukat auf dem Amtsflur. „Ich bin Sozialarbeiter und vertrete ein humanistisches Weltbild. Die AfD tut das nicht, und das müssen Jugendliche auch diskutieren dürfen.“

Die Entscheidung trifft die Verwaltung im Jugendhilfeausschuss unter Ausschluss der Öffentlichkeit – und ohne auf den Protest anderer freier Träger einzugehen. Und: Von den Jugendlichen ist niemand eingeladen worden. Der Verein darf sie über Ablauf und Ausgang der späteren Sitzung vorerst nicht einmal informieren. Daher hatten die Jugendlichen entschieden, die Fragestunde im öffentlichen Teil zu nutzen, um Kritik zu üben.

Sarah, Mitorganisatorin des Crossover-Festivals

„Ich sehe an Ihren Stirnfalten, dass Sie weitere Fragen ungern sehen, aber wir wollen es doch einfach verstehen“

Ein Vorgehen, das die Verwaltung nicht gut zu finden scheint: Als die Jugendlichen nach und nach aufstehen und ihre Fragen stellen, verweist die Sitzungsleitung auf den Schriftweg und will den Frageteil mehrmals abbrechen. „Ich sehe an Ihren Stirnfalten, dass Sie weitere Fragen ungern sehen, aber wir wollen es doch einfach verstehen“, sagt Sarah, die in Grimma geboren wurde, sich regelmäßig im Dorf engagiert und das Crossover-Festival mitorganisiert hat.

Erst spät regt sich im Ausschuss der Vertreter des Leipziger Kinder- und Jugendrings. „Das Dorf der Jugend ist ein Leuchtturmprojekt von bundesweiter Strahlkraft, das für seine innovativen Ideen bekannt ist“, sagt Andreas Rauhut. „Wir empfehlen eine positive Entscheidung.“ Seine Anmerkung bleibt unkommentiert. Am Ende müssen die Jugendlichen für den nichtöffentlichen Teil den Raum verlassen.

„Der Prozess hier ist ein Schlag ins Gesicht für meine Arbeit“, sagt Burdukat auf dem Gang. Er dreht sich eine Zigarette, schaut immer wieder zur Tür vom Verhandlungsraum. „Es geht hier um die Belange der Jugendlichen, aber wenn sie dann hier sind, sollen sie nicht sprechen.“ Der Vorwurf, er würde nicht nah am Grundgesetz stehen, trifft ihn hart. „Für meinen Ruf ist das vernichtend, meine inhaltliche und pädagogische Arbeit im Dorf bleibt in der Entscheidung hier völlig außen vor.“ Er hätte keinen Lehrauftrag an der Hochschule Mittweida, wenn er nicht hinter dem Grundgesetz stehen würde, sagt er. Die Grundfrage in diesem Prozess sei eine ganz andere, glaubt auch die Grimmaerin Sarah. „Durch Jugendarbeit sollen junge Leute befähigt werden, sich zivilgesellschaftlich einzubringen“, sagt sie. „Aber Projekte, die das umsetzen, produzieren Menschen, die sich dem System entgegenstellen – und die dann hier in der Fragestunde auftauchen. Das ist nicht gewollt.“

Tobias Burdukats und eine Frau tragen einen roten Sonnenschirm

Tobias Burdukats mangelt es an Geld und Hilfe, nicht an Ideen und Möglichkeiten Foto: Christian A. Werner

Das Kinderschutzkonzept liege vor

Im Bescheid, der dann am Mittwoch dieser Woche eintrudelt, sieht das Jugendamt dann doch keinen Grund mehr, die Anerkennung wegen Burdukats politischer Einstellung zu verwehren, „da keine verfassungsfeindlichen Ziele unter agitatorischen Methoden erkennbar sind“. Auf Anfrage zu diesem Umschwenken heißt es vom Landkreisamt: „Weil Steuergelder verbraucht werden, stellt sich immer die Frage, ob das Projekt oder die Projektträger mit den Zielen des Grundgesetzes vereinbar sind.“ Der Verein habe seine Antwort darauf plausibel und ausführlich dargestellt, man wolle im Gespräch bleiben.

Doch nun bemängelt das Amt ein fehlendes Kinderschutzkonzept und die noch nicht ein Jahr alte, veränderte Satzung. Der Bescheid ist auf Ende März datiert, einen Tag, bevor dort das Kinderschutzkonzept vorlag, sagt Burdukat – und sechs Tage vor der Sitzung des Jugendhilfeausschusses in Borna. Auf Nachfrage korrigiert sich das Amt: Das Kinderschutzkonzept liege vor – allerdings verweist das Amt wiederum darauf, dass erst nach drei Jahren ein Rechtsanspruch auf die freie Trägerschaft vorliegt. Die Anerkennung werde auch in anderen Fällen im Landkreis so gehandhabt. Es bleibt also dabei: Das Lob für das Projekt schlägt sich nicht in einer Anerkennung der freien Trägerschaft und damit nicht in zusätzlichen finanziellen Möglichkeiten nieder.

Zurück in Grimma sitzen Burdukat und seine Mitstreiter im Garten hinter der Spitzenfabrik. Die Runde hat ihren Mut wiedergefunden und bastelt an einer Stellungnahme und Crowdfunding. „Wir müssen jetzt sehen, wie wir an Spenden kommen, um endlich noch jemanden einzustellen“, sagt Burdukat. Bisher macht er das alles allein, mit der ehrenamtlichen Unterstützung der Jugendlichen – und damit zusätzlich zur Sozialarbeit, die er hauptamtlich im Dorf leistet. Am dringendsten würden Streetworker gebraucht, sagt er.

Denn es gibt eine Alterslücke zwischen denen, die mittlerweile während des Studiums von Leipzig nach Grimma zum Dorf pendeln, und der heranwachsenden Generation junger Leute in der Stadt, die Angebote für ihre Altersgruppe brauchen. „Wir müssten die Jungs und Mädels, die hier gerade am Lagerfeuerplatz sitzen, eigentlich mit den jungen Leuten von den Bushaltestellen zusammenbringen und ihnen gemeinsam was zu tun geben“, sagt Burdukat und seine Augen leuchten schon wieder – es mangelt an Geld und Hilfe, nicht an Ideen und Möglichkeiten.

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Nicht das erste Projekt, das unter Druck gerät

Das Projekt weiß die Unterstützung anderer sächsischer Jugendkulturvereine hinter sich. Viele hatten sich vor der Entscheidung des Jugendamtes hinter den Verein gestellt. Das Jugendamt hat angekündigt, sich noch einmal mit den Jugendlichen zusammenzusetzen, betont die Wichtigkeit eines konstruktiven Austauschs. Für die Entscheidung kommt das aber zu spät, auch wenn der Verein Widerspruch einlegen will. Vor allem braucht das Dorf der Jugend dringend seine bestehende, öffentlich geförderte Stelle. Sonst scheitert das Projekt.

Das Jugendamt betont dagegen, die Stelle sei nicht gefährdet, aber sie muss jedes Jahr verlängert werden. Und bis dahin kann sich einiges ändern, denn im Mai stehen Kommunalwahlen im Landkreis an. Ein starkes Ergebnis der AfD scheint erwartbar. Und das Dorf der Jugend wäre nicht das erste Projekt für offene Kinder- und Jugendarbeit im Landkreis, das von rechts unter Druck gerät.

Nach den Erfahrungen der letzten Monate will sich der Verein deshalb so unabhängig wie möglich machen. Eine Kampagne mit dem Slogan #saveyourhinterland startet in dieser Woche.

Burdukat zieht an seiner Zigarette, zupft sich einen Tabakfussel aus dem Bart und schaut kampflustig auf seine alte Spitzenfabrik. „Es geht schon irgendwie weiter“, sagt er. „Aufgeben ist keine Option.“

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